Kein Spielraum nach unten

Von Stefan Rommel
Der Hamburger SV durchlebt einen gewaltigen Umbruch
© getty

Rund vier Wochen vor dem Beginn der neuen Saison steckt der Hamburger SV so tief im Umbruch wie kein anderer Bundesligist. Einige Schritte sind schon gemacht, Dietmar Beiersdorfer schafft Strukturen und verzeichnet erste Erfolge. Es überwiegt aber immer noch die Zahl der Probleme. Vor allem die Mannschaft ist noch nicht reif für den Start in eine neue Ära.

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Viele Klubs formulieren in der Sommerpause gerne die Geschichte vom Umbruch. Der HSV muss diesen aber in der Tat leben und praktizieren wie kein anderer Verein. Die jahrelange Misswirtschaft hat sowohl sportlich als auch finanziell tiefe Gräben hinterlassen, der Beinahe-Abstieg vor wenigen Wochen war der allerletzte Warnschuss.

Seitdem haben sich grundlegende Dinge verändert: Die Initiative HSVPlus ist abgesegnet und schiebt bereits die ersten Veränderungen an. Mit der Rückholaktion von Dietmar Beiersdorfer als neuer starker Mann richten sich die Hamburger auch in der sportlichen Führung sowohl personell als auch konzeptionell wieder neu aus.

Beiersdorfer hat in den ersten beiden Wochen seiner Amtszeit als Vorstandsvorsitzender zuerst Sportchef Oliver Kreuzer vor die Tür gesetzt und dann einen Tag später Bernhard Peters als "Direktor Sport" präsentiert. Der ehemalige Hockey-Bundestrainer, der zuletzt acht Jahre in vergleichbarer Funktion bei 1899 Hoffenheim aktiv war, beginnt seinen Job offiziell am 1. August.

Peters soll ein verbessertes Ausbildungskonzept entwickeln, die Nachwuchsarbeit beim HSV war in den letzten Jahren teuer, aber wenig ertragreich. Im Prinzip hat sich seit Beiersdorfers Abgang vor fünf Jahren nur wenig getan, um die Durchlässigkeit eigener Talente in den Profibereich zu verbessern. Ein Manko, das bereits Beiersdorfer (zurecht) stets angekreidet wurde.

"Unser Ziel ist es, dem HSV eine eigene fußballerische Identität zu geben: Eine Philosophie, aus der heraus vom Kinder- über den Jugend-. Bis hin zum Profibereich eine unverwechselbare Handschrift entwickelt wird", setzt Peters sich und seiner Arbeit selbst höchste Ziele.

"Bernhard Peters Verpflichtung stellt einen wesentlichen Teil der sportlichen Neuausrichtung dar", sagt Beiersdorfer.

Knäbel als Direktor Profifußball?

Als Dritten im Bunde hätte der HSV-Boss gerne noch Peter Knäbel als neuen Sportdirektor an Bord. Der 47-Jährige ist derzeit noch Technischer Direktor beim Schweizer Fußballverband.

Sollten die "paar Gespräche", die es längst gibt, demnächst in ein Engagement münden, wird Knäbel sich als "Direktor Profifußball" ausschließlich um die Belange der Profis kümmern. Die Gewaltenteilung auf Führungsebene soll so noch klarer geregelt werden.

Allerdings steht die Einigung noch längst nicht fest, was automatisch dazu führt, dass der ohnehin schon viel beschäftigte Beiersdorfer auch noch diese Baustelle bis auf weiteres übernehmen muss. "Es ist nichts entschieden", sagt Beiersdorfer. "Bis zum Ende der Transferperiode werde ich die Aufgaben mit übernehmen."

Positive Signale und Kollateralschäden

Seit Anfang Juli ist der HSV als Aktiengesellschaft im Handelsregister notiert. Bereits im Frühjahr wurde der Vertrag mit Ausrüster Adidas bis 2024 verlängert. "Es ist ein tolles Signal, dass Adidas sieht, dass der Neuaufbau des HSV ein echtes Zukunftsmodell ist", sagt HSV-Finanzvorstand Joachim Hilke. Allerdings ist der neue Vertrag auch leistungsbezogener ausformuliert als bisher.

Mit der Ausgliederung der Profiabteilung sollen in den kommenden Jahren aber noch mehr strategische Partner und Investoren gewonnen werden. So lautet zumindest der Plan. Ohne den dafür nötigen sportlichen Erfolg wird aber auch das schwer.

Wie die Zusammenarbeit mit Gönner Klaus-Michael Kühne zukünftig laufen soll, ob Beiersdorfer (oder der künftige Direktor Profifußball) wegen jeder Investition einzeln beim Milliardär anfragen muss oder ob Kühne wie eigentlich angedacht einen gewissen Finanzrahmen bereitstellt, innerhalb dessen sich der HSV bedienen darf, ist offen.

Die Misserfolge stellen die in dieser Beziehung verwöhnten Hamburger aber auch immer wieder vor neue Probleme: Nachdem die Fans dem Klub jahrelang quasi die Türen eingerannt haben, sind nun vier Wochen vor dem Start in die neue Saison noch fast die Hälfte der VIP-Logen frei.

Als Kollateralschaden wird der Rückzug der Fan-Vereinigung "Chosen Few" in der Arena hingenommen. Bisher waren es auch die "Chosen Few", die hauptsächlich für die gute Stimmung bei den Heim-und Auswärtsspielen verantwortlich waren. Wie sich das Schweigen der Gruppierung und anderer auf die Atmosphäre auswirken wird, dürfte sich bereits am Wochenende beim Telekom Cup erstmals zeigen.

Beiersdorfer als Friedensstifter

Immerhin dürfen sich die Fans auf die Rückkehr eines ihrer Idole freuen. David Jarolim steht nach dem Ende seiner aktiven Karriere vor einem Engagement als Jugendtrainer in Hamburg. Noch sind sich der Tscheche und der HSV nicht einig.

Trotz einiger offener Fragen hat Beiersdorfer in relativ kurzer Zeit schon viele Dinge auf den Weg gebracht oder zumindest im Hinterkopf.

Der 50-Jährige hat den unruhigen Klub fürs erste befriedet und das Chaos ein wenig sortiert. Es gibt jetzt eine zentrale und kompetente Anlaufstelle, was einen großen Unterschied zur Kultur der Flickschusterei darstellt, bei der die unzähligen Baustellen nur immer notdürftig zugeschüttet wurden.

Es wird wohl noch eine ganze Zeit dauern, bis der HSV planvoll und initiativ agieren und gestalten kann und nicht von den eigenen Problemen getrieben wird. Aber die ersten zaghaften Schritte sind gemacht.

Seite 1: Hinter den Kulissen: Beiersdorfer Kampf mit dem Chaos

Seite 2: Mannschaft und Trainer: Nichts als Baustellen

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