Kein Spielraum nach unten

Von Stefan Rommel
Der Hamburger SV durchlebt einen gewaltigen Umbruch
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Der Kader bleibt eine einzige große Baustelle. Als "echten" Zugang hat der HSV bisher lediglich Zoltan Stieber aus Fürth verpflichtet. Pierre-Michel Lasogga und Johan Djourou wurden von ihren Klubs nach der Leihe gekauft, Artjoms Rudnevs, Per Skjelbred und Gojko Kacar kehren nach ihren Leihen zurück. Philipp Müller aus der A-Jugend des VfL Wolfsburg ist zunächst als Verstärkung für die U 23 gedacht.

Auf der anderen Seite wiegt der Abgang von Hakan Calhanoglu sportlich unheimlich schwer, war der Türke doch einer der beständigsten Spieler der abgelaufenen Saison und ein Garant für den Klassenerhalt. Dazu sind Michael Mancienne, Lasse Sobiech, Zhi Gin Lam, Robert Tesche, Tomas Rincon, Ouasim Bouy und Ola John weg. Dennis Aogos Verkauf zum FC Schalke war ohnehin längst klar.

Beiersdorfer hat bei der Suche nach frischen Kräfte gleich mehrere Probleme: Seine persönliche Mehrfachbelastung, die unklare finanzielle Lage - und der Faktor Zeit. Die meisten anderen Klubs sind in den Planungen für die kommende Saison viel weiter, einige haben ihre Kader bereits zusammen. Der HSV steht noch am Anfang aller Bemühungen.

Nichts als Baustellen

"Wir werden uns einen Kader basteln, der wettbewerbsfähig ist", verspricht Beiersdorfer. Baustellen gibt es bis auf die Torhüterposition in jedem Mannschaftsteil.

Der HSV sucht mindestens einen neuen Innenverteidiger. Daniel van Buyten ist kein Kandidat mehr, der Belgier hat stets angekündigt, wieder mehr Zeit mit seiner Familie verbringen zu wollen und tendiert deshalb zu einer Rückkehr nach Belgien. Der RSC Anderlecht ist heißester Kandidat. Die "Sport-Bild" bringt Fernando Amorebieta ins Gespräch, ein 29-jähriger Venezuelaner vom Premier-League-Absteiger FC Fulham.

Matthias Ostrzolek vom FC Augsburg bleibt der erste Kandidat für die Position des Linksverteidigers. Der Spieler will unbedingt nach Hamburg. Allerdings liegen die beiden Klubs bei ihren Vorstellungen der Ablösesumme noch weit auseinander. Augsburg ruft drei Millionen Euro auf, der HSV kann und will so viel nicht bezahlen.

Die Königspersonalien dürften aber der Calhanoglu-Ersatz und ein dringend benötigter Spieler für das zentrale defensive Mittelfeld sein. Grzegorz Krychowiak von Stade Reims hat sich gegen den HSV und für den FC Sevilla entschieden, also rückt Valon Behrami vom SSC Neapel in den Fokus. "Ein interessanter Spieler", sagt Beiersdorfer. "Ein interessanter Klub", sagt Behrami. Aber auch hier hakt es am lieben Geld.

Nicolai Müller könnte die Offensive verstärken, jedenfalls gilt der Nationalspieler aus Mainz als Wunschkandidat von Trainer Mirko Slomka. Bisher stehen aber lediglich haltlose Gerüchte im Raum. Die Personalie Hiroshi Kiyotake hat sich auch erledigt, der Japaner wechselt nach Hannover. Dazu kommen noch Nikica Jelavic (Hull City) und Nicklas Bendtner, zuletzt FC Arsenal und nun vereinslos...

Slomka unter kritischer Beobachtung

Die erfahrenen Spieler im Kader haben längst Alarm geschlagen. "Die Mannschaft ist schon gut. Aber wir brauchen neue Spieler, und wir brauchen Konkurrenz im Kader", sagt Djourou. "Wir haben keinen Spielraum nach unten mehr. Tiefer, als auf dem Relegationsrang zu stehen, würde Abstieg heißen", sagt Marcell Jansen. Die Gerüchte um Rafael van der Vaart tragen ebenfalls nicht zur Beruhigung der Situation bei.

Was bei aller Aufgeregtheit um mögliche neue Spieler gerne untergeht: Beiersdorfer muss sich auch um die zehn Spieler kümmern, deren Vertrag zum Ende der anstehenden Saison ausläuft. Eine Mammutaufgabe in so kurzer Zeit. Vermutlich auch deshalb betont der 50-Jährige, dass es jetzt "nicht um ein, zwei neue Spieler geht. Es geht um mehr!"

Für Mirko Slomka geht es auch um einiges. Der Coach hat sein erstes (Minimal-)Ziel mit dem Klassenerhalt erreicht. Ab sofort geht es um den Neuaufbau einer konkurrenzfähigen Mannschaft. Bereits am 18. Juni bat Slomka deshalb seine Profis zum Trainingsauftakt, als Erster aller Bundesligisten.

Die China-Reise war aus sportlicher Sicht eher kontraproduktiv. "Die hat uns einiges abverlangt hat, jetzt spüre ich bei der Mannschaft eine ganz andere Frische. Ich spüre Spaß und Freunde, wieder dabei zu sein. Jetzt geben wir richtig Gas", sagt Slomka, der in der Leistungsdiagnostik endlich auch neue Wege geht - solche, die bei der Konkurrenz längst Gang und Gäbe sind.

Neben der konditionellen Basis benötigt die Mannschaft auch ein tragendes Spielkonzept. 75 Gegentore in der abgelaufenen Saison waren schlicht blamabel, in der Offensive gilt die Formel "Calhanoglu + Lasogga = Tor" nicht mehr. Bisher hat Slomka auch viel improvisieren müssen, für die Leistungen in der kommenden Saison ist er vollumfänglich verantwortlich.

Dabei wird der 46-Jährige schon vor dem Start kritisch beäugt und steht unter Beobachtung. Ähnlich wie Beiersdorfer ist sein größter Gegner die fehlende Zeit. "Ich habe das Gefühl, im Sprinttempo Erfolg haben zu müssen", sagte er. "Aber okay, ich nehme das an."

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