"Alle einmal alles vergessen": Interessante Einblicke in Thomas Tuchels Arbeitsweisen beim FC Bayern München

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Die Blamage des FC Bayern gegen Eintracht Frankfurt hat nicht nur dazu geführt, dass der Bundesliga-Titelkampf noch spannender geworden ist und in München Unruhe aufkeimt. Sie eröffnet als Nebeneffekt auch Einblicke in Thomas Tuchels Arbeitsweisen.

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"Wir haben nicht gut gespielt, die Höhe ist aber ein wenig kurios", erklärte Trainer Thomas Tuchel direkt nach der völlig überraschenden 1:5-Blamage des FC Bayern am Samstag gegen Eintracht Frankfurt und verwies auf die sogenannten Expected Goals (xG). Das ist die Anzahl der statistisch zu erwartenden Toren aus allen Chancen einer Mannschaft während eines Spiels. Trotz der deutlichen Niederlage sprach der xG-Wert in Frankfurt mit 2,09 zu 1,53 für den FC Bayern.

Wie es dennoch zur Blamage kommen konnte, führte Tuchel bei einer Pressekonferenz am Montag auf eine weitere Statistik zurück. "Wir hatten 22 kritische Ballverluste. Das bedeutet, dass beim Fehler fünf oder mehr unserer Spieler aus dem Spiel sind. Zehn davon sind schon zu viel. Du solltest definitiv einstellig sein bei unseren Ansprüchen. 22 ist also eine absurd hohe Zahl."

Die vier Abwehrspieler Noussair Mazraoui, Min-Jae-Kim, Dayot Upamecano und Alphonso Davies sowie Sechser Joshua Kimmich patzten jeweils übel. Doch diese kritischen Ballverluste an sich waren laut Tuchel nur die Hälfte des Problems. "Wir hätten uns in jeder einzelnen Situation retten können, waren vor den ersten vier Gegentoren nach den Fehlern in Überzahl", erklärte der Trainer. "Doch unsere Reaktion war weit, weit, weit unter dem Standard, den wir von uns erwarten."

Laut Tuchel seien die Summe an kritischen Ballverlusten gepaart mit der Reaktion der übrigen Spieler darauf entscheidend gewesen. "Das sind die zwei absoluten Knackpunkte für diese Niederlage. Nur so kannst du fünf Gegentore bekommen aus 1,5 Expected Goals." Diese Ausführungen zeigen deutlich, welch wichtige Rolle Statistiken in Tuchels Überlegungen und Analysen spielen.

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Tuchel gibt Einblicke in seine Ansprache-Routinen

Aber warum präsentierte sich seine Mannschaft in Frankfurt so unkonzentriert, dass diese Zahlen überhaupt zustande kommen konnten? Laut Jamal Musiala hätten ein paar ominöse "Prozente" gefehlt, Sportdirektor Christoph Freund kritisierte die eher abstrakte "Einstellung".

Tuchel nannte als Erklärungsansatz bereits am Samstag selbstkritisch seine Ansprache vor dem Spiel, in der er die Mannschaft womöglich überfrachtet habe. "Wir hatten eine Viererkette erwartet, es war auch eine Viererkette. Aber auf dem Spielberichtsbogen sah es von den Namen her aus wie eine Fünferkette", erklärte Tuchel. "Vielleicht haben wir ganz kurz vor dem Spiel nach dem Aufwärmen zu viele Informationen gegeben und den Fokus weggebracht von dem, was wir eigentlich haben wollten."

Nachfragen zu dieser Thematik eröffneten bei der Pressekonferenz am Montag Einblicke in Tuchels Ansprache-Routinen vor Spielen. "Es ist untypisch, in diesem Moment so eine Sachinformation zu geben. Eigentlich ist es zu dem Zeitpunkt eher so, dass wir wollen, dass alle einmal alles vergessen", erklärte der Trainer. Sämtliche inhaltlichen Aspekte werden bereits in den Tagen zuvor besprochen und sollten bei der finalen Einpeitschung vor Anpfiff längst in den Hinterköpfen der Spieler verankert sein. "Aber wir wollten diese Information unbedingt geben", erklärte Tuchel die Abkehr von seiner Routine. Womöglich sei dadurch in der Mannschaft die nötige "Emotionalität" verloren gegangen.

Manuel Neuer, Thomas Tuchel, FC Bayern München, Fußball heute, Bundesliga
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Thomas Tuchel: "Schwierig, immer das Gleiche zu machen"

Frankfurt habe gegen den FC Bayern letztlich "mit einer Viererkette gespielt und zwei Sechsern, was sie bis dahin noch nie getan haben". Solche Überraschungs-Manöver sind gegen den FC Bayern nichts Ungewöhnliches. "Aus der Rolle des Underdogs versuchen Mannschaften, sich bestmöglich an unsere Systematik anzupassen", sagte Tuchel. "Das macht es uns schwierig, immer nur das Gleiche zu machen."

Es bedarf also eine Reaktion auf die Reaktion. Laut Tuchel sei auch bei großen Klubs, bei chronischen Dauer-Favoriten wie dem FC Bayern "die Zeit ein bisschen vorbei, wo man immer das Gleiche macht und das reicht. Im Spielaufbau und im Verteidigungsverhalten kann es deshalb schon Sinn machen, Dinge anzupassen." Sofern man die eigene Mannschaft damit nicht spontan überfrachtet.

Bereits am Dienstag bietet sich dem FC Bayern die Gelegenheit zur Wiedergutmachung - im eigentlich bedeutungslosen letzten Champions-League-Gruppenspiel gegen Manchester United im Old Trafford. Die Münchner stehen längst als Gruppensieger fest. "Das Vertrauen ist groß, dass eine Reaktion stattfinden wird", sagte Tuchel. "Dazu haben wir am Dienstag auf einer der größten Bühnen des Weltfußballs die Gelegenheit."