Olympia kompakt: Ein Hoch auf die Isabell Werth des Wintersports

Von Stefan Petri/Chris Lugert
Natalie Geisenberger gewann im Einzel ihre insgesamt fünfte olympische Goldmedaille.
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Der vierte Olympia-Tag bei den Winterspielen in Peking hält aus deutscher Sicht ein paar Enttäuschungen, dafür aber auch einen krönenden Abschluss inklusive Gold- und Silbermedaille im Rodeln parat. Natalie Geisenberger mausert sich dabei zur absoluten Sport-Legende. Außerdem bei Olympia kompakt: Grüße von Manuel Neuer, ein bitteres Loch im Eis und der Tiroler Zeltverleih.

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Es ist ja doch schon wieder einiges schiefgelaufen aus deutscher Sicht bei den Winterspielen in und um Peking. Keine Medaille beim Snowboard-Riesenslalom - trotz mehrerer Favoriten. Der Absturz von Karl Geiger und Co. von der Normalschanze. Die verballerte Biathlon-Mixed-Staffel. Und natürlich das Skisprung-Desaster im Team-Mixed.

Andererseits: Manchmal gibt es negative Überraschungen - und manchmal positive, siehe: Herrmann, Denise. Das gehört eben zum Sport.

Was auch zum Sport gehört: Rodelgold für Deutschland!

Heute in Person von Natalie Geisenberger, die die 19. Goldene im 27. Olympia-Wettbewerb seit 1992 perfekt machte. Eine Siegquote von über 70 Prozent, die wir in den kommenden Tagen im Doppelsitzer und Team noch steigern könnten - und von den Bobfahrern haben wir noch gar nicht gesprochen. Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe zum Eiskanal nicht! Was den Holländern das National Speed Skating Oval ist, ist uns Deutschen das Yanqing National Sliding Centre. Und wenn nichts mehr geht: Rodeln geht immer!

Natalie Geisenberger: Die Isabell Werth des Wintersports

Gefühlt ist es ja fast egal, wer für Team Deutschland in die Rinne steigt: Am Ende gibt es mindestens einen Doppelsieg. Selbst wenn mit Julia Taubitz die große Favoritin den zweiten Lauf aufgrund der fiesen Kurve 13 bäuchlings auf dem Eis beendet, springen eben andere in die Bresche.

So wie Natalie Geisenberger: Die ließ sich von der schwierigen Bahn keine Angst machen und fuhr souverän zu ihrem dritten Einzel-Gold in Folge und fünften Olympia-Gold insgesamt. Dabei ist die 34-Jährige im Mai 2020 Mutter geworden, was die Vorbereitung auf die Spiele mit Sicherheit nicht erleichtert hat.

Natalie Geisenberger (r.) hat erneut Olympia-Gold gewonnen, Anna Berreiter gewann Silber.
© getty
Natalie Geisenberger (r.) hat erneut Olympia-Gold gewonnen, Anna Berreiter gewann Silber.

Jetzt winkt im Team das sechste Gold. Damit würde Geisenberger zur erfolgreichsten deutschen Winter-Olympionikin überhaupt aufsteigen und die ewige Claudia Pechstein überflügeln.

Gut möglich, dass uns am Donnerstag also die Superlative ausgehen. Wie wäre es mit: "Natalie Geisenberger - die Isabell Werth des Wintersports"? Okay, Werth hat sogar siebenmal Olympia-Gold gewonnen, aber die mittlerweile 52-Jährige darf dabei ja auch auf regelmäßig ausgetauschte Pferdestärken zurückgreifen. Gigolo, Satchmo, Bella Rose und wie sie alle hießen. "Geisi" dagegen kämpft mit einem kleinen Stück Blech gegen die Schwerkraft und Geschwindigkeiten von bis zu 135 Stundenkilometern.

Der Tag zum Nachlesen im Ticker

In vier Jahren in Turin wird Geisenberger 38 sein, wahrscheinlich gehören die Spiele 2026 dann eher Taubitz oder der Silbermedaillen-Gewinnerin Anna Berreiter, mit erst 22 Jahren ja fast noch taufrisch. Umso mehr ein Grund, die Leistung Geisenbergers mal so richtig zu würdigen. Einfach nur grandios!

PS: Die Bob-und Rodelbahn in Yanqing soll an einen chinesischen Drachen erinnern. Ich kenne mich in der chinesischen Mythologie nicht so gut aus, aber sind die dortigen Drachen protzige Ungetüme, die in ihrem Gigantismus insgesamt über zwei Milliarden Euro kosten und die Nachhaltigkeit eines Papptellers haben - also einmal benutzt und dann weg damit? Nein? Dachte ich mir doch. Mich erinnert der Eiskanal eher an einen "Weißen Elefanten".

Olympia: Die Entscheidungen des Tages

Was sonst noch wichtig war

Skispringen: Die Lachnummer von gestern im Team-Mixed zieht weiter ihre Kreise. Mittlerweile haben sich die Kontrolleure zu Wort gemeldet, die selbstverständlich jegliche Schuld von sich weisen. Was für sie spricht: Die Anzüge der Österreicherin und der Japanerin waren tatsächlich zu groß, das bestätigten die betroffenen Teams. Was gegen sie spricht: So ziemlich alles andere. Die Zahl der Kritiker wächst. "Für mich ist er momentan nicht der richtige Mann auf dem Platz, da hat man sich wohl geirrt", sagte etwa der frühere Männer-Kontrolleur Sepp Gratzer über seinen Nachfolger Mika Jukkara. Weitere Infos gibt es hier.

Beim deutschen Team herrscht mittlerweile auf jeden Fall Fatalismus, man fühlt sich nicht zum ersten Mal ungerecht behandelt. "Ich hoffe, dass die FIS nach meinem Interview nicht noch mehr auf die Deutschen draufhaut", sagte Bundestrainer Stefan Horngacher. Und weiter: "Wir werden auf der Großen [Schanze] wieder alles geben und wenn sie uns disqualifizieren, haben wir Pech gehabt." Klingt nicht nach sonderlich viel Vertrauen ins Regelwerk und die Kontrollen.

Snowboard: Für die deutschen Starter gab es im Parallel-Riesenslalom nichts zu holen, Ramona Hofmeister und Carolin Langenhorst schieden im Viertelfinale aus, Weltcup-Spitzenreiter Stefan Baumeister überstand gar nicht erst die Qualifikation. Sein Kommentar: "Geh mir nicht auf die Eier" in Richtung eines Volunteers, als er zur Dopingprobe musste. Dafür glänzte Golden Girl Ester Ledecka: Die Tschechin erfüllte Teil eins ihrer Mission, zum zweiten Mal nach Pyeongchang Doppelgold im Snowboard und Ski Alpin zu holen.

Enttäuschung des Tages: Yuzuru Hanyu

Gut, die große Ansage von Yuzuru Hanyu galt erst für die Kür. Aber vor jeder Kür gibt es nicht nur im Eiskunstlauf eine Pflicht. Und die hat der Japaner heute ziemlich vermasselt. In seinem Kurzprogramm misslang dem Olympiasieger von 2014 und 2018 der geplante vierfache Salchow komplett, es wurde nur ein einfacher - Platz acht, weil ihn ein Loch im Eis beim Anlauf aus dem Rhythmus brachte. Der Gold-Traum ist vorbei, selbst wenn er als Erster überhaupt den vierfachen Axel steht. Und sein Konkurrent Nathan Chen? Der US-Amerikaner zeigte ein Kurzprogramm vom anderen Stern und stellte mit 113,97 Punkten einen Weltrekord auf. In dieser Form ist eher ihm der vierfache Axel zuzutrauen - nur dass er ihn nicht braucht.

Medaillenspiegel: Deutschland auf Rang drei

Lagerkoller des Tages: Eric Frenzel

Stellt Euch vor, Ihr kommt als olympischer Athlet nach China und alles, was Ihr dort seht, ist ein winziges Zimmer in einem Quarantäne-Hotel. Kombinierer Eric Frenzel hatte vermutlich schon nach fünf Minuten genug davon, inzwischen aber wird es zäh. Der Kombinierer wird seine Corona-Infektion einfach nicht los, jeder Test ist positiv. "Mir geht es gesundheitlich sehr gut, aber die Situation ist unverändert", sagt er. Der erste Wettkampf am Mittwoch kommt zu früh, noch hofft Frenzel aber. Sonst bestand sein olympisches Dasein anno 2022 tatsächlich aus einem mehrwöchigen Ein-Sterne-Urlaub. Und dafür muss man nicht nach China fliegen.

Forderung des Tages: Rene Spies

Die Diskussionen darüber, wie der olympische Sport in Deutschland angemessen gewürdigt werden soll, sind nicht neu. Vor allem geht es dabei immer um das liebe Geld. Nun hat Bob-Bundestrainer Rene Spies offen eine bessere Bezahlung für die deutschen Trainer gefordert - um in Zukunft überhaupt noch Trainer zu haben. "Die Aktiven, die bei uns aufhören, versuchen wir natürlich zu halten. Das geht mit der Gehaltsstruktur aber nicht, die betroffenen Personen bleiben dann häufig lieber bei der Behörde, gehen studieren oder woanders hin", sagte Spies.

Sprung des Tages: Eileen Gu

Als Chinesin bei Olympia in Peking, und dann auch noch Doppelweltmeisterin? Der Druck auf Eileen Gu war vor der Olympia-Premiere des Big-Air-Wettbewerbs der Ski-Freestylerinnen enorm. Und lange sah es so aus, als wäre Gold außer Reichweite. Zu stark war die Französin Tess Ledeux in den ersten beiden Durchgängen. Doch die gebürtige US-Amerikanerin Gu schlug zurück und zauberte einen unfassbaren "Left Double 1620" in den Schnee von Shougang. Damit fing sie Ledeux noch ab. "Das ist der beste Moment meines Lebens. Ich kann nicht glauben, was gerade passiert ist", sagte die 18-Jährige, die den Gastgeber zwischenzeitlich sogar an die Spitze des Medaillenspiegels hievte.

Glückwünsche des Tages: Denise Herrmann

Nach ihrem Coup im Biathlon-Einzel ist Denise Herrmann immer noch in aller Munde. Aus der Heimat gab es unzählige Glückwünsche, darunter auch von Prominenz mit richtig viel Strahlkraft. So gratulierten unter anderem die Bayern-Profis Thomas Müller und Manuel Neuer - letzterer sogar aus dem Krankenhaus. In ihrer Instagram-Story schickt Herrmann dann prompt Grüße zurück in die Heimat.

Sprüche des Tages

"Alle sagen zu mir: In vier Jahren gibt es die nächste Chance. Das stimmt, aber es sind vier verdammte Jahre." (Julia Taubitz über ihre verpasste Rodel-Medaille)

"Da ich nicht ganz dumm bin, habe ich mir schon gedacht: Wenn ich fehlerfrei bleibe, kann ich ums Podest laufen. Ich weiß gar nicht so ganz, ob ich jetzt heulen oder mich freuen soll." (Biathlet Benedikt Doll nach zwei Strafminuten und Rang sechs im Einzel)

"Das hatte fast schon Deportationscharakter." (Snowboarder Alexander Payer über den Umgang mit seiner positiv getesten Freundin Sabine Schöffmann. Die wurde von fünf Personen in weißen Ganzkörperschutzanzügen abgeholt und ins Quarantäne-Hotel gebracht.)

"Im Weltcup gibt es teilweise Anzüge, die so groß sind, dass man glaubt, man ist beim Tiroler Zeltverleih." (Österreichs Skisprung-Sportdirektor Mario Stecher)

"Ich habe daran gedacht, wie ich im nächsten Lauf besser fahren könnte. Und dann habe ich begriffen: Es gibt keinen nächsten Lauf." (Ester Ledecka nach ihrem Gold im Parallel-Riesenslalom)

"Der Mothl ist mental ein Monster. Wenn's um die Wurscht geht, bringt er's auf den Punkt." (Romed Baumann über Super-G-Olympiasieger Matthias Mayer)

Zahlen des Tages

4 Hundertstelsekunden trennten Sieger Matthias Mayer und den US-Amerikaner Ryan Cochran-Siegle im Super-G-Rennen. Damit kam es heute zur knappsten Entscheidung in der olympischen Geschichte dieser Disziplin.

5 Medaillen hat Deutschland bisher gewonnen, dreimal Gold, zweimal Silber. Das bedeutet Rang drei im Medaillenspiegel.

11 Siege in elf Turnierspielen: Souveräner als die Italiener Stefania Constantini und Amos Mosaner kann man den Mixed-Doubles-Wettbewerb im Curling nicht gewinnen.

46 Das Alter von Brasiliens Jaqueline Mourao, die ihre achten Olympischen Spiele bestreitet. Diesmal im Skilanglauf, sie war aber auch schon im Biathlon und Radsport dabei.

50 Sportler sind in Peking und Umgebung mittlerweile aus der Quarantäne entkommen. 32 befinden sich nach positiven Tests immer noch in Isolation.

113,97 Punkte holte Eiskunstläufer Nathan Chen in seinem Kurzprogramm und stellte damit einen Weltrekord auf. Nach dieser Darbietung dürfte Gold für ihn nur noch Formsache sein.

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