FC Bayern München und die Standardsituationen in der Analyse: Wo haben die Kritiker Recht?

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Zuletzt gab es vermehrt Kritik an den schwachen Standardsituationen des FC Bayern München. Wie schneidet der Rekordmeister bei eigenen und gegnerischen Standards im Vergleich wirklich ab? Eine statistische Annäherung.

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Die Statistiken stammen vom Daten-Zulieferer opta. Für eine bessere Vergleichbarkeit wurden nur Zahlen aus den nationalen Ligen herangezogen.

FC Bayern München
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FC Bayern München: Tore nach Standards

Es fing alles so gut an: 1. Spieltag, 5. Spielminute - und schon erzielte der FC Bayern München gegen Eintracht Frankfurt sein erstes direktes Freistoßtor dieser Saison. Wohl alle Beobachter inklusive des gegnerischen Keepers Kevin Trapp rechneten mit einer Flanke, doch Joshua Kimmich versenkte den Ball aus großer Distanz ohne Umwege im Tor.

Die anschließenden Feierlichkeiten absolvierte Kimmich mit Julian Nagelsmanns Co-Trainer Dino Toppmöller, beim FC Bayern damals für das Training von Standardsituationen verantwortlich. Wie Kimmich im Anschluss verriet, habe Toppmöller ihm den entscheidenden Tipp gegeben: "Wir haben seitliche Freistöße trainiert und er hat gesagt: 'Du kannst mal gucken, der Trappo steht immer ein bisschen höher.' Und ich dachte: Dann probiere ich es mal."

Bis heute ist dieses Tor der einzige direkt verwandelte Freistoß des FC Bayern in dieser Bundesliga-Saison. Dazu kommen vier weitere Tore nach Freistößen, sieben nach Ecken und zwei nach Elfmetern (bei vier Versuchen). Mit insgesamt 14 Treffern nach Standards liegt der FC Bayern in absoluten Zahlen im Liga-Durchschnitt. Am besten ist der SC Freiburg mit 22.

Blickt man aber auf die relativen Zahlen, entsteht ein anderes Bild: Nur 17 Prozent aller Treffer des FC Bayern resultieren aus Standardsituationen, das ist der schlechteste Wert aller Bundesligisten. Titelrivale Borussia Dortmund ist etwas besser, Spitzenreiter ist auch hier der SC Freiburg mit beeindruckenden 48 Prozent.

Klub

nach Ecke

nach Freistoß

nach Elfmeter

nach Einwurf

Tore gesamt

Tore nach Standards

Prozent Tore nach Standards

Köln

5

2

3

3

42

13

31%

Union

10

5

3

0

44

18

41%

Mainz

8

4

4

2

51

18

35%

Leverkusen

4

3

4

0

54

11

20%

Dortmund

7

6

3

0

73

16

22%

Gladbach

8

2

3

0

46

13

28%

Frankfurt

6

4

5

0

51

15

29%

Augsburg

7

2

4

0

40

13

32%

FC Bayern

7

5

2

0

83

14

17%

Schalke

1

4

4

2

31

11

35%

Hertha

1

4

7

0

37

12

32%

Leipzig

6

6

4

0

55

16

29%

Freiburg

9

6

6

1

46

22

48%

Werder

3

5

5

0

49

13

27%

Hoffenheim

3

1

6

0

42

10

24%

Stuttgart

3

3

4

0

39

10

26%

Bochum

6

2

3

3

33

14

42%

Wolfsburg

6

9

4

0

54

19

35%

FC Bayern München
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Tore nach Standards: Europäischer Vergleich

Im europäischen Vergleich schneidet der FC Bayern erwartungsgemäß ebenfalls schwach ab. In den Top-5-Ligen erzielten insgesamt 31 Klubs mehr Tore nach Standards als die Münchner, am meisten der italienische Meister SSC Napoli (25). Prozentual sind sogar nur sechs Klubs schlechter als der FC Bayern mit seinen 17 Prozent - unter anderem die AC Milan (16), Manchester United (14) und der FC Barcelona (12).

Klub

Tore nach Standards

SSC Napoli

25

FC Brentford

23

Manchester City

22

Olympique Marseille

22

SC Freiburg

22

AS Monaco

21

Stade Brest

20

Juventus Turin

20

Real Madrid

20

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FC Bayern München: Tore nach Ecken

So sehr Kimmich in Frankfurt für sein kreatives Freistoßtor gefeiert wurde, so sehr wird er seit Jahren für seine Ecken kritisiert. Bisher kam beim FC Bayern aber noch kein Trainer auf die Idee, ihn von dieser verantwortungsvollen Aufgabe zu entbinden. "Ich bin gespannt, wie lange Kimmich die Ecken noch von beiden Seiten schießen darf", sagte der einstige Standard-Spezialist Mario Basler dem kicker. "Es ist komplett enttäuschend, wie die geschossen werden. Da passiert viel zu wenig. Ich sitze bei den Spielen auf der Couch und wundere mich nur."

Tatsächlich ist der FC Bayern bei eigenen Ecken - genau wie Dortmund - nur Durchschnitt. Für einen Treffer benötigen die Münchner im Schnitt 30,7 Ecken. Das ist der elftbeste Wert in der Bundesliga. Am effektivsten ist abermals Freiburg, am ineffektivsten der FC Schalke 04.

Allerdings geht die Kritik von "Super Mario" ins Leere - schließlich wird er selbst in puncto Ecken überflügelt: Wie der Datenanbieter Sportec Solutions errechnet hat, bereitete Kimmich ins seiner bisherigen Bundesliga-Karriere 36 Tore durch Ecken vor. Das ist Bestwert seit Beginn der Datenerfassung 1992, und zwar vor Basler (32).

Auch Kimmichs Schnitt fällt besser aus: Bei 886 in der Liga getretenen Ecken führte jede 25. zum Tor. Basler schlug in seiner Karriere 1105 Ecken und brauchte damit 35 Versuche pro Treffer.

Klub

Ecken

Tore nach Ecken

Ecken/Tor

Schalke

153

1

153,0

Hertha

132

1

132,0

Hoffenheim

151

3

50,3

Stuttgart

137

3

45,7

Köln

177

5

35,4

Werder

102

3

34,0

Leverkusen

129

4

32,3

FC Bayern

215

7

30,7

Frankfurt

178

6

29,7

Dortmund

203

7

29,0

Leipzig

158

6

26,3

Wolfsburg

139

6

23,2

Augsburg

152

7

21,7

Bochum

127

6

21,2

Mainz

145

8

18,1

Gladbach

140

8

17,5

Union

144

10

14,4

Freiburg

124

9

13,8

FC Bayern München
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FC Bayern München: Gegentore nach Standards

Nachdem der FC Bayern beim 1:1 gegen den 1. FC Köln Ende Januar ein Gegentor nach einer Ecke kassiert hatte, moserte Kimmich: "Das müssen wir schleunigst abstellen." Auch Nagelsmann erkannte das Problem und forderte, dass seine Mannschaft "aggressiver draufgehen" müsse.

Tatsächlich kassiert der FC Bayern unverhältnismäßig viele Gegentore nach Standardsituationen. Die absolute Zahl 13 bewegt sich zwar im Ligadurchschnitt, der Prozentanteil von 38 ist aber nach RB Leipzig (46 Prozent) der zweitschlechteste der Liga. Auffällig: Die Münchner mussten schon sechs Gegentore nach Elfmetern hinnehmen. Diesen Wert übertreffen lediglich Leipzig und der VfL Bochum.

Besonders stark beim Verteidigen gegnerischer Standards ist übrigens Dortmund. Sieben Gegentore sind der Bestwert in absoluten Zahlen, 18 Prozent der zweitbeste Wert knapp hinter Werder Bremen. Auffällig dabei: Abgesehen von sechs Gegentoren nach Ecken kassierte der BVB nur ein weiteres aus allen anderen Standardsituationen zusammen.

Klub

nach Ecke

nach Freistoß

nach Elfmeter

nach Einwurf

Gegentore gesamt

Gegentore nach Standards

Prozent Gegentore nach Standards

Köln

4

7

4

0

49

15

31%

Union

5

1

5

0

32

11

34%

Mainz

4

3

3

0

46

10

22%

Leverkusen

4

2

6

1

43

13

30%

Dortmund

6

1

0

0

40

7

18%

Gladbach

4

1

5

1

48

11

23%

Frankfurt

8

6

2

2

49

18

37%

Augsburg

4

11

1

2

55

18

33%

FC Bayern

2

5

6

0

34

13

38%

Schalke

7

3

4

0

59

14

24%

Hertha

7

9

5

1

62

22

35%

Leipzig

5

3

7

2

37

17

46%

Freiburg

4

1

5

1

38

11

29%

Werder

6

1

2

1

60

10

17%

Hoffenheim

11

3

2

0

52

16

31%

Stuttgart

5

6

5

0

54

16

30%

Bochum

8

9

8

0

69

25

36%

Wolfsburg

6

1

4

0

43

11

26%

FC Bayern München
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FC Bayern: Gegentore nach Ecken

Und jetzt zum großen Lichtblick: Anders als Kimmichs General-Kritik nach dem Köln-Spiel vermuten lassen könnte, verteidigt der FC Bayern Ecken eigentlich ausgesprochen gut. Auf diesem Weg kassierten die Münchner erst zwei Gegentore. Das ist genauso Bundesliga-Bestwert wie das Ecken/Gegentor-Verhältnis von 57.

Klub

gegn. Ecken

Gegentore nach Ecken

Ecken/Gegentor

FC Bayern

114

2

57,0

Gladbach

165

4

41,3

Köln

146

4

36,5

Augsburg

146

4

36,5

Freiburg

140

4

35,0

Mainz

128

4

32,0

Wolfsburg

191

6

31,8

Stuttgart

152

5

30,4

Union

149

5

29,8

Leverkusen

119

4

29,8

Schalke

195

7

27,9

Werder

163

6

27,2

Hertha

179

7

25,6

Dortmund

143

6

23,8

Bochum

174

8

21,8

Leipzig

106

5

21,2

Frankfurt

126

8

15,8

Hoffenheim

170

11

15,5

FC Bayern München, Thomas Tuchel, Zsolf Löw, Arno Michels, Olaf Meinking, FC Chelsea, Anthony Barry
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FC Bayern: Anthony Barry künftig für Standards zuständig

Durch den Trainerwechsel von Nagelsmann zu Thomas Tuchel hat sich beim FC Bayern auch die Verantwortlichkeit für das Training von Standardsituationen verändert. Toppmöller musste gemeinsam mit Nagelsmann den Klub verlassen, mittlerweile wird er als Cheftrainer bei Eintracht Frankfurt gehandelt - dem Klub also, den er am 1. Spieltag noch ausgektrickst hatte.

Tuchels Wunschkandidat für die Nachfolge war von Anfang an der Engländer Anthony Barry. Fast einen Monat musste der FC Bayern aber auf ihn warten. Sein vorheriger Arbeitgeber FC Chelsea wollte ihn erst freigeben, als ein mögliches Aufeinandertreffen im Champions-League-Halbfinale nicht mehr möglich war. Beide Klubs scheiterten im Viertelfinale.

"Ich bin sehr glücklich. Wir haben hart gekämpft und wollten ihn unbedingt dabei haben", sagte Tuchel, als der Wechsel Ende April schließlich fixiert war. "Er hat das ganze Paket: Persönlichkeit, Liebe zum Spiel und zum Beruf, Leidenschaft und Qualität. So ein Niveau der Standardsituationen wie bei ihm habe ich zuvor nicht gesehen."

Tuchel und Barry arbeiteten bei Chelsea eineinhalb Jahre zusammen. Für den Wechsel musste der FC Bayern laut Sport Bild 500.000 Euro Ablöse bezahlen, über diverse Boni könnte die Summe noch auf eine Million Euro ansteigen. Nebenbei ist Barry weiterhin als Co-Trainer von Roberto Martinez bei der portugiesischen Nationalmannschaft tätig.

Bundestrainer Flick gönnt sich bei der deutschen Nationalmannschaft mit Mads Buttgereit übrigens ebenfalls einen Standard-Spezialisten. Zuvor war der Däne in seiner Heimat für den FC Midtjylland tätig, der dank einer datenbasierten Herangehensweise große Erfolge bei Standards vorzuweisen hatte.