Ralph Krueger im Interview: "Der Sport wird ein Impfstoff sein für die Menschheit"

Ralph Krueger erzählt im Interview, wie er Jürgen Klopp kennenlernte.
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Wie sehr hat es Sie auch deswegen in die NHL zurückgezogen, weil dort einfach die Chancen viel höher sind, etwas zu gewinnen als in Southampton?

Krueger: Es war ein wichtiger Grund. Nach sechs Jahren in Southampton hat es sich für mich ähnlich angefühlt wie mit der Schweizer Nationalmannschaft im Eishockey. Inzwischen sind die Schweiz oder auch Deutschland näher an der Weltspitze dran, aber zu meiner Zeit war das Erreichen des Viertelfinals eigentlich das Ende der Fahnenstange. Mich hat auch mein Hunger auf eine Championship in die NHL zurückgeführt. Dank des Draft-Systems und des Salary Caps hat in der NHL wirklich jede Mannschaft die realistische Chance, innerhalb von drei oder vier Jahren Meister zu werden. So ausgeglichen geht es in der NHL zu. In Southampton ist das am Rande des Unmöglichen. Dort war es das Ziel, irgendwo in der zweiten Gruppe zwischen Rang acht und zwölf zu landen. Leider mussten wir uns auch einige Male dahinter einreihen. Ich hatte am Ende auch nicht mehr das Gefühl, selbst weiter wachsen zu können. Und mir war immer klar: Wenn ich das nicht mehr kann, kann ich meine Mitarbeiter auch nicht mehr in dem Maße führen und dann ist der Zeitpunkt gekommen, um zu gehen. In Buffalo arbeiten wir jetzt jeden Tag auf das ganz große Ziel Meisterschaft hin, das macht einen enormen Spaß.

Haben Sie konkret Dinge aus dem Fußball mitgenommen in Ihre Arbeit in Buffalo?

Krueger: Ich kann ihnen ein paar konkrete Beispiele nennen. Ronald Koeman oder Ralph Hasenhüttl haben immer wieder die Bedeutung von Dreiecken in ihrer Spielphilosophie beschrieben. Ohne jetzt ganz tief in die Taktik einzusteigen, kann ich ihnen sagen, dass ich diesbezüglich Dinge vom Fußballfeld in Southampton aufs Eis in Buffalo übertragen habe. Dreiecke sind jetzt auch Teil unseres Systems geworden. Und der zweite Punkt bezieht sich auf den sportwissenschaftlichen Aspekt. Durch meinen Ausflug zum Fußball ist mein Blickwinkel viel breiter geworden. Ich habe gesehen, wie wichtig Themen wie Belastungssteuerung sind. Zum Glück haben wir bei den Sabres Besitzer, die bereit waren, auch hier zu investieren, damit wir den nächsten Schritt machen können. Wir haben in Buffalo jetzt einen Sportwissenschaftler aus Australien und einen Fitness-Chef aus Leicester, der aus dem Rugby kommt.

Glauben Sie, dass sich der Sport im Allgemeinen durch die Corona-Pandemie verändern wird?

Krueger: Ich sehe zum einen natürlich die großen finanziellen Schwierigkeiten, die durch die fehlenden Zuschauereinnahmen ausgelöst werden. Das wird der Sport wirtschaftlich flächendeckend sehr spüren. Wir befinden uns aktuell in einer sehr schwierigen Phase, in der es auf der ganzen Welt nur darum geht, irgendwie durchzukommen. Ich sehe aber auch das Positive. Sobald wir einen Impfstoff gefunden haben, und da sieht es ja jetzt zum Glück sehr gut aus, wird der Sport eine riesige Verantwortung haben, um die Menschen wieder zusammenzubringen. Um auch ein ganz wichtiges Vehikel zu sein. Ich glaube, dass wir im Sport dann sehr schnell einen Boom erleben werden, wenn wir uns aus dem Loch erstmal befreit haben.

"Klopp ist einer der größten Trainer - in allen Sportarten"

Im nächsten Jahr stehen hoffentlich eine Fußball-EM und Olympische Spiele an.

Krueger: Ich hoffe sehr, dass bei der EM und bei den Olympischen Spielen im nächsten Jahr eine gewisse Anzahl von Zuschauern möglich sein wird, dann könnten diese Großevents Sprungbretter in die Zukunft sein. Der Sport wird ein Impfstoff sein für die Menschheit. Ein zweiter Impfstoff nach dem medizinischen. Durch den Sport werden wir uns wieder an die Nähe zueinander gewöhnen. Bis es so weit ist, müssen wir das große Ganze zwar sehen, aber uns vor allem auf das kleine Bild konzentrieren und darin das bestmögliche machen. Um dann bereit zu sein, wenn wir diese Pandemie überstanden haben. Ich habe die Zeit, die ich mit der Familie verbringen konnte, sehr genossen. Aber ich merke auch, dass es jetzt wieder an der Zeit ist, an die Arbeit zu gehen.

Sie beschäftigen sich intensiv mit dem Thema Leadership. An was denken Sie zuerst, wenn Sie an Jürgen Klopps Führungsstil denken?

Krueger: Ich habe mich einmal länger mit Jürgen Klopp unterhalten, das war am Rande eines Spiels in den Katakomben in Liverpool. Er weiß sehr gut, dass wir mit Southampton und Virgil van Dijk indirekt auch ein Teil der Entwicklung in Liverpool sind. (lacht) Wenn wir über Jürgen Klopp sprechen, müssen wir auch über die Besitzer der Reds sprechen. Sie habe ich in meiner Zeit in England auch kennenlernen dürfen, sie hatten die nötige Geduld und haben es erlaubt, dass Jürgen seinen Weg gehen und seine Kultur aufbauen konnte. Heute sieht jeder nur die großen Erfolge der letzten Jahre, aber diese Erfolge kamen nicht über Nacht. Vor einigen Jahren hat Liverpool gerade mal Europa League gespielt - das wird gerne vergessen. Mich beeindruckt am meisten seine ehrliche Kultur. Spieler haben bei ihm ein Mitspracherecht, er arbeitet nicht mit Druck oder Angst. Jürgen führt mit Liebe und Ehrlichkeit. Dazu kommt, dass hinter der Emotionalität und Leidenschaft ein ganz klarer Plan steht, eine ganz klare Struktur. Und Jürgen tickt auch so, dass er persönlich immer weiter lernen will. Für mich ist er im Moment einer der größten Trainer - in allen Sportarten.