Krähenfüße und Dingsda

Von Stefan Moser/Oliver Wittenburg
Tarnat, Köhler
© Imago

München - Die Bayern haben nicht gewonnen und überhaupt gab es nicht allzu viele Sieger an diesem Wochenende. 

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Es wäre jetzt leicht, den Mantel des Schweigens über den 11. Spieltag zu legen und zur Tagesordnung überzugehen. Aber da hätte man die Rechnung ohne die Alternative Liste gemacht.

Also, Vorhang auf für Anatomisches und Komisches, Tristes und Tröstliches und jede Menge mehr.

1. Bonjour Tristesse: Der ganz und gar nicht wonnige November schleicht sich auf seinen klammen Nebelkrähenfüßen heran, um uns ganz im Stile der Dementoren aus Askaban die Lebensfreude auszusaugen. Dass er aber noch nicht da ist, der November, war den Herren von der Bundesliga ja mal piepegal. Ein paar Depressionen gehen immer, hat man sich da gedacht, und von wenigen Lichtblicken abgesehen, einen ganz und gar novembermäßigen Spieltag serviert. Zwölf Tore in neun Spielen (davon waren zwei Eigentore), drei Nullnulls und Frankfurt gegen Hannover. Brrrr.

2. Der Hessische Rundfunk: Freitagabend zeigte der Hessische Rundfunk zwei höchst erhellende Dokumentationen. Zuerst die "Reise durch Ostpreußen", im Anschluss "Herrliches Hessen". Das kommt auf den ersten Blick leicht hausbacken daher, bot jedoch 90 Minuten pädagogisch wertvolle, solide TV-Unterhaltung! Ganz im Gegensatz zur schauderhaften Nullnummer der Frankfurter Eintracht gegen Hannover (-> Bonjour Tristesse). Volle 90 Minuten, die langweiliger waren als alles, was das öffentlich-rechtliche Fernsehen je verbrochen hat. Johannes B. Kerner, Jürgen Fliege und Florian Silbereisen inbegriffen!

3. Geschüttelt, nicht gebissen: Der Charisteas ist aber auch ein sturer Bock! Partout wollte der Nürnberger Stürmer in Wolfsburg ein Eigentor fabrizieren. Der erste Versuch ging noch um Zentimeter vorbei, fünf Minuten später traf er per Kopf über seinen Keeper Blazek hinweg ins lange Eck! Konsequent gemacht von Charisteas, nur leider brachte er sein Team damit auf die Verliererstraße. Wie Oli Kahn dem Griechen seinen Starrsinn ausgetrieben hätte, verriet er später als Premiere-Experte: "Ich hätte ihn bestimmt geschüttelt - aber nicht gebissen!"

4. Dieses Ding da: Bis vor kurzem wusste kaum wer von der bloßen Existenz des ominösen Körperteils. Doch seit Beginn dieser Saison legt es unsere Bundesliga-Profis lahm. Erst Toni, dann Klose, dann Jansen und nun Kevin Kuranyi, der am Samstag zwar spielte, allerdings eher schlecht. Er hatte ja auch eine Prellung - am "Wadenbeinköpfchen". Das klingt irgendwie niedlich, tut aber höllisch weh. Vor allem dann, wenn Kollege Dario Rodriguez da im Training ordentlich draufkloppt. Wem es in dieser Angelegenheit an Einfühlungsvermögen mangelt, dem sei folgendes Experiment ans Herz gelegt: Sie ertasten die Stelle am besten im Sitzen, das Bein im 90-Grad-Winkel gebeugt. An der Außenseite, direkt unter der Kniekehle spüren Sie eine etwa Wachtelei große Ausbuchtung: das Wadenbeinköpfchen. Ein bis zwei gezielte Schläge mit einem handelsüblichen Vierkantholz - und schon fühlen sie sich wie Kuranyi am Samstag. Versprochen!

5. Der Kamper-Trick: Vergessen Sie Müller, Seeler, Labbadia und wie sie alle heißen. Während die das Tor nur trafen, weil sie sich immer ganz dicht ran schlichen, gibt es in Bielefeld einen, der dann am gefährlichsten ist, wenn er der Kiste möglichst weit fernbleibt. Gegen Cottbus traf Jonas Kamper zum 1:0. Aus der Distanz, versteht sich. Sieben Bundesligatreffer hat er jetzt, erzielt aus durchschnittlich 26 Metern und 84 Zentimetern. Damit steht er in der Tradition der Nachtweihs, Augenthalers, Hintermaiers. Minuspunkte bekommt Kamper allerdings für seine Fitness. Wer nach erfolgreichem Torschuss zur Ersatzbank rennt und sich erstmal setzen muss, sendet ein fatales Signal an seinen Trainer. Ernst Middendorp wird genau hingeguckt haben.

6. Manuel Neuer: "Lebbe geht weiter", heißt es im Fußball seit Dragoslav Stepanovic. Das gilt auch für Manuel Neuer. Er ist und bleibt eines der größten deutschen Torwarttalente.

7. Boubacar Sanogo: "Lebbe geht weiter", heißt es im Fußball seit Dragoslav Stepanovic. Das gilt auch für Boubacar Sanogo. Er hätte auf Schalke wohl nicht mal einen Möbelwagen getroffen, wenn man das von ihm verlangt hätte, ist und bleibt aber einer der besten Stürmer dieser Saison.

8. Ein Herz für Ingrid: And the Oscar goes to: Marko Pantelic! Der Berliner Torjäger hat nicht die Präsenz eines Marlon Brando oder den abgründigen Charme eines Jack Nicholson. Doch Pantelic hat das Pathos der Verzweiflung, das Drama des verkannten Genies und die Theatralik der Erlösung.

Mit einem Wort: Er ist die Meryl Streep des deutschen Fußballs! Mit sinnschwer bebendem Schmollmund verweigerte er monatelang jeden Kommentar. Doch am Samstag in der Mixed Zone brach Pantelic sein Schweigen: Im Vorbeigehen dankte er Gott und seiner Familie für den Sieg, widmete das Tor gegen Bochum seiner Tochter Ingrid und versprach alle weiteren Treffer seinem schwer verletzten Mannschaftskollegen: "Alles meine Tor ist für Lucio!" Sprach's und verschwand gesenkten Hauptes. Ganz, ganz großes Kino!

9. Der dritte Mann: Unter Petrik Sander holte Energie Cottbus wenig Punkte. Sander musste gehen. Es kam Bojan Prasnikar, der auch wenig Punkte holte - und gehen musste. Ja, richtig gehört! Er musste gehen. Wissen nur die wenigsten, dafür aber das "ZDF". Wie im "Aktuellen Sportstudio" groß auf einer Videowand enthüllt wurde, saß in Bielefeld nämlich schon ein gewisser Herr Prasniak auf der Bank. Der dritte Mann holte gleich beim Debüt einen Punkt in der Festung Schüco-Arena und dürfte erstmal sicher im Sattel sitzen.

10. Der Dortmunder Presseboykott: Die Profis von Borussia Dortmund haben sich aus irgendwelchen Gründen dazu entschieden, die gesamte Presse zu boykottieren. Wir respektieren selbstverständlich diesen Akt der Willkür, schreiben nix zum BVB und zeigen stattdessen ein paar nette Bilder: Hier klicken

11. Lebenszeichen: Unschuldig ist jemand, der unwissend, unbekümmert, ahnungslos, naiv und rein ist. Und genau so jemanden hat der VfB Stuttgart gebraucht. Kein Bastürk, kein Gomez, kein Cacau taugte für den Job. Nein, der Retter durfte keinen großen Namen tragen. Wer nur ein bisschen Gespür und Sachkenntnis im Leib hat, der musste wissen, dass es nur Andreas Beck sein konnte. Der Name schlicht und handfest, der Bursche rotwangig und semmelblond. Zum Tor kam er wie die Jungfrau zum Kinde. Das Ende der Stuttgarter Krise wärmt das Herz und hilft in der vornovemberlichen Bundesliga-Depression.

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