Tyrannenmord auf der Reeperbahn

Von Stefan Moser
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© Imago

München - Wie üblich war auch dieser 34. Spieltag ein sehr tränenreicher, denn er stand im Zeichen des allgemeinen Abschieds: Kahn weg, Hitzfeld weg, Stevens weg, Merk weg, Nürnberg weg, alle weg - die Liga macht jetzt erstmal Urlaub.

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Grund genug, diese 45. Bundesliga-Saison noch einmal Revue passieren zu lassen. Mit dabei: der kleine Atouba, ein Mathematiker mit Fernglas, ein japanischer Zankapfel und eine merkwürdige königsblaue Tradition. Details wie immer in der Alternativen Liste.

1. Tyrannenmord: "Middendorp raus!" So lautete der wenig besinnliche Refrain eines ostwestfälischen Adventsschlagers, nachdem Arminia Bielefeld innerhalb von fünf Auswärtsspielen satte 21 Buden kassiert hatte und folgerichtig von Platz 2 bis auf Rang 15 abgestürzt war.

Doch da kletterte der Middendorp unbeugsam aufs Minarett und tat dem Pöbel kund: "Ich alleine entscheid, wie lange ich hier Trainer bin!" War aber gelogen. Der Vorstand traf die Entscheidung, und die lautete: "Middendorp raus! Verbannung nach Elba!"

2. Die Sache mit dem Fernglas: "Der Rest der Welt soll mit dem Fernglas nach uns suchen müssen - so überlegen sollen die Bayern sein!" Den hormongeplagten Wunsch formulierte dereinst Uli Hoeneß. Und obwohl die Münchner in der Tat recht unbehelligt zum 21. Meistertitel spazierten, bekam das Wort des Managers Flügel und kehrte regelmäßig nach jedem Punktverlust zu ihm zurück.

Dieses Spielchen war zwar durchaus öde, interessant ist jedoch die Entstehungsgeschichte des Zitats. Denn die Metapher mit dem Fernglas fiel Hoeneß ein, als er eines Morgens um halb sechs nackt unterm Hermelin-Mäntelchen durch seinen Obstgarten lustwandelte und betört vom eigenen Kaufrausch ein paar Bäume umarmte. Als er sie schließlich mit der Welt teilte, war sein Gesicht, gegen alle bekannten Gesetze der Natur, weiß wie die Weißwurst. Doch das sollte sich schnell ändern...

3. Comeback in Rot: "Was glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid!", brüllte derselbe Hoeneß nämlich wenig später den versammelten Bayern-Mitgliedern entgegen. "Mia san mia", antworteten die Fans, "und wir wollen gefälligst ein paar Bengalos abfackeln und schmutzige Schmähgesänge trällern dürfen!"

Für die Scheißstimmung im Stadion seien aber die Zuschauer doch wohl selbst verantwortlich, schäumte der Boss daraufhin, außerdem sei er, also Hoeneß, sowieso der Allergrößte, weil er den Schnittchenfressern auf den Business-Sitzen sachgerecht die Kohle aus der Tasche leiere, und das alles ganz ohne Google.

Und da war er wieder ganz der Alte, der Hoeneß: Immer auf der Grenze zwischen Größenwahn und Paranoia, aber mit einer Selbstverständlichkeit ehrlich, die ihn abwechselnd unverschämt und dann wieder sympathisch werden lässt. Und dazu endlich wieder sein legendäres Gesicht: aufgeladen, glänzend und rot wie die Reeperbahn bei Nacht.

4. Eingriff in die Privatsphäre: Albert Streit machte den Anfang, als er uneingeladen am kleinen Atouba herumfingerte und sich hinterher zur Klarstellung bemüßigt fühlte: "Ich bin aber nicht schwul, oder so." Sein Beispiel machte dennoch Schule und entwickelte sich zur Unsitte der abgelaufenen Saison: Was früher der ausgefahrene Ellbogen war, war in diesem Jahr der beherzte Griff ins Zentralmassiv des Gegners.

Zuletzt erwischte es den Bielefelder Markus Schuler, der sein Tete-aTete mit Hamburgs David Jarolim wie folgt zusammenfasste: "Das war ein klarer Griff in die Familienplanung. Und die ist bei mir noch nicht abgeschlossen. Es hat wehgetan."

Jarolim immerhin wurde vom DFB für vier Spiele gesperrt und mit pädagogischem Hintersinn auf die Reeperbahn verbannt, wo er sich im Scheine von Hoeneß' Schädel nach Herzenslust austoben sollte. 

5. Demontage: Wem der Sinn nach melodramatischen Pointen steht, der kann getrost mit der Idee liebäugeln, ein einziger Satz hätte den endgültigen Strich unter die überragende Karriere von Ottmar Hitzfeld als Vereinstrainer gezogen. Der Satz fiel am 11. November, fallen gelassen hat ihn Karl-Heinz Rummenigge, und er ging so: "Fußball ist keine Mathematik."

Er wurde namentlich zwar nicht erwähnt, doch das Bonmot war treffsicher auf Ottmar Hitzfeld gemünzt, jenen studierten Mathematiker, der in einer verregneten Nacht vor ungefähr zehn Jahren beim Schein der Öllampe das Rotationsprinzip erfunden hatte. Und dieses Prinzip nun fand Rummenigge plötzlich total kacke.

Problem: Er machte seinem Ärger nicht etwa im vertrauten Zwiegespräch Luft sondern im Schein des Rampenlichts vor laufenden Kameras. Über Nacht bekam Hitzfelds Image zwei weitere tiefe Falten auf der Stirn, wenige Wochen später gab er dann bekannt: "Das war's. Ich bin raus. Soll's doch der Klinsi machen."  

6. Japanischer Zankapfel: Sonderlich beliebt war Shinji Ono ja noch nie - immerhin hat der Japaner bereits Anfang der 70er Jahre die Beatles entzweit. Und ca. 38 Jahre später hätte er nun fast auch noch das deutsche Schiedsrichterwesen auf dem Gewissen gehabt. Denn der Bochumer war in die wohl spektakulärste Fehlentscheidung der  Saison maßgeblich verwickelt.

Am 18. Spieltag stand Ono nämlich geschmeidige fünf Meter im Abseits, als er das 1:1 durch Benjamin Auer gegen Bremen vorbereitete. Das Gespann um Schiri Michael Weiner erkannte den Treffer trotzdem an, und Bochum gewann mit 2:1. Insgesamt jedoch kann man den Unparteiischen für diese Saison wohl ein recht ordentliches Zeugnis ausstellen - was uns selbstredend aber nicht von unserer Forderung abbringt: Bibi Steinhaus in die Bundesliga!

7. Ze Roberto: Fünfmal schaffte der Brasilianer den Sprung in die Alternative Liste. Und völlig alternativlos lautete fünfmal die Begründung: Ze Roberto trifft! Konnte ja keiner ahnen!

8. 50 Jahre Tradition: An diesem Montag feiert Schalke Jubiläum: Exakt 50 Jahre ohne Titel. Glückwunsch! Und vermutlich werden es auch noch mal 50 Jahre werden, solange Königsblau an seiner schönen Tradition festhält, stets das Unangenehme mit dem Sinnlosen zu verbinden.

So wie am 13. April, als der Schalker Vorstand Platz drei in der Liga und die tendenziell aufsteigende Form der Mannschaft damit würdigte, dass er den netten Herrn Slomka durch die beiden ballonseidenen Vereinsmaskottchen Mike Büskens und Youri Mulder ersetzte. Immerhin schoss Kevin Kuranyi anschließend gegen Cottbus 17 Tore, dann aber fiel Schalke wieder in den gleichen offensiv belanglosen Kampfsport zurück, den es schon unter Slomka praktiziert hatte.

Endergebnis: Weiterhin Platz drei und ein moralischer Spagat von Andreas Müller in der Außendarstellung, der dem Manager in absehbarer Zeit wohl selbst den Kopf kosten wird.

9. Körper aus Titan: Absolut zu Recht wurde Olli Kahn mit Lob überhäuft und absolut zu Recht wurde ihm auch ab und an ans Bein gepinkelt. Und damit soll's nun auch genug sein.

Nur eines noch, so nebenbei: Das größte Ego im deutschen Fußball verhalf en passant seinem Nachfolger noch zu einem bemerkenswerten Rekord. Weil Kahns Körper in dieser Saison nämlich deutlicher denn je mit der Vergänglichkeit flirtete, kam Michael Rensing auf seine Einsätze 14 bis 23. Und die designierte Nummer eins der kommenden Bayern-Generation hat immer noch kein einziges Spiel verloren - neuer Bundesliga-Rekord! 

10. Geschichte wiederholt sich: "Da Glubb is a Debb!" Unzählige Tischdeckchen ziert diese volksmundige fränkische Weisheit als Stickerei, und das nun schon seit Jahren. Dass der 1. FC Nürnberg aber gleich so sehr Depp ist, dass er - ohne richtig zu bemerken, was eigentlich passiert - als amtierender Pokalsieger ernsthaft absteigt, hätte wohl keiner gedacht.

Obwohl die Indizien dafür sprachen: Denn schon der letzte Titel der Vereinsgeschichte lag dem Club offensichtlich denkbar schwer im Magen. 1968 wurden die Franken Deutscher Meister - und gingen im folgenden Jahr als Titelverteidiger in die Zweitklassigkeit. Schon irgendwie deppert...

11. Sonst noch was? Oh ja: Van der Vaart hat sein HSV-Trikot wieder gefunden, Diego machte gegen Kyrgiakos den Zidane, Magath den erfolgreichen Alleinherrscher, Prasnikar ist der charmanteste Feuerwehrmann der Bundesliga-Geschichte, Hamburg suchte 170 Tage lang nach einem Trainer, und in Dortmund versauten die bösen Medien der Mannschaft eine großartige Saison - und das, obwohl der BVB mit einem Boykott doch alles dafür tat, um das schwierige Verhältnis zur Presse zu entspannen.

Außerdem verzückte Ribery die Liga, während Luca Toni an seinem Ohr herumschraubte und van Bommel die Schiedsrichter beleidigte. Zu guter Letzt fand  Karlsruhes Maik Franz jede Menge neue Freunde und wurde von Mario Gomez dafür als "Arschloch" beschimpft. Fehlt noch immer was? Dann bitte unten posten!

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