Raus und Abrakadraba

Lionel Messi, Neymar und Luis Suarez stürmen für den FC Barcelona
© getty

Der FC Barcelona baut auch im zweiten Jahr unter Luis Enrique voll auf sein Tridente MSN. Lionel Messi, Neymar und Luis Suarez sollen auch gegen Real Madrid im Clasico (Sa., 20.30 Uhr im LIVESTREAM) für einen Sieg sorgen.

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Fußball-Fans sind schwer zu beeindrucken. So viel haben sie schon gesehen, so viel schon erlebt. Es muss schon etwas Großes passieren, etwas, das aus dem Alltag herausfällt, um Eindruck zu hinterlassen. Eine herausragende Individualleistung kann das sein, eine beeindruckende Kombination, ein krachendes Traumtor. In Barcelona sind Dinge wie diese an der Tagesordnung. Siege werden dort hingenommen wie die aufgehende Sonne im Osten.

Hattricks, Doppelpacks, Treffer nach Kombinationen über zahlreiche Stationen, atemberaubende Konter, Freistoßtore aus 25 Metern und mehr. Der amtierende Sieger der Champions League lädt im Camp Nou zum Dinner ein, in aller Regelmäßigkeit wird geschlemmt. Die Zuschauer sind es inzwischen gewohnt und nehmen die Leistungen ihrer Mannschaft als gegeben hin. Beeindruckend eigentlich. Ein Team hat es geschafft, aus dem Außergewöhnlichen etwas ganz Normales zu machen.

Ein Privileg, das im Fußball lange nur einem Mann zugesprochen wurde: Lionel Messi. In Zeiten von Gerardo Martino und Tito Vilanova war viel geredet worden über die Messidependencia, die vollständige Abhängigkeit eines der größten Klubs Europas von einem kleinen Argentinier aus Rosario. Es folgte Neymar, es folgte Luis Suarez. Es folgte MSN. Die größte Schwachstelle der Katalanen ist gedeckt.

"Die Besten der Welt"

Wer nun den Zeigefinger hebt, weist darauf hin, dass Barcelona nurmehr aus Individualisten bestehe. Vorbei die Zeiten des Pep Guardiola, der aus vielen Einzelteilen und Jugendspielern das erfolgreichste Team aller Zeiten formte, hin zu Zeiten des Luis Enrique, der sich auf drei Ausnahmekönner in vorderster Linie verlässt. Die Zahlen, wie so oft frei interpretierbar, geben dem Rückendeckung.

Barcelona hat in dieser Liga-Saison 86 Tore erzielt. 26 derer gehen auf das Konto von Luis Suarez, 22 auf das von Lionel Messi. Neymar steuert 21 Treffer bei, das macht 80 Prozent der Torausbeute des Teams. 32 Assists gaben MSN in diesem Fußball-Jahr, rechnet man die 24 heraus, die man sich gegenseitig in den Fuß spielte, sind es bereits 77 von 86 und damit 90 Prozent aller Treffer des Teams, an denen MSN direkt beteiligt war.

Grafik: Das Diagramm zeigt die Offensivanteile der Top-3-Stürmer (meiste Tore in der Liga) der letzten acht verbliebenen Klubs in der Champions League. Barca und MSN stechen in jedem Bereich heraus.

"Ich hatte schon immer gute Stürmer, hier in Barcelona habe ich die besten der Welt", schlussfolgert der Trainer, der seine Pläne gerne teilt: "Sie haben Freiheiten, sie wissen, was sie zu tun haben, weil wir alle von ihrem Defensivbeitrag abhängig sind, aber letztlich wollen wir ihnen den Ball im möglichst besten Weg auf den Fuß legen." Enrique, früher selbst Offensivakteur, weiß, wie man sich als Stürmer wohlfühlt und seine bestmögliche Leistung zeigt.

Er hat Profile zugeschnitten. Eines für den Brasilianer, eines für den Argentinier, eines für den Uruguayer. Mit Stärken, mit Schwächen und mit allen möglichen Freiheiten, die er anbieten kann.

Individualtaktische Profile

Neymar, der Dribbler. In Ballbesitz hält er auf der linken Seite meist die Breite und bewegt sich nur selten von der Auslinie fort. Er wartet und lauert dort auf seine Chance. Im Dribbling und Eins-gegen-eins ist Neymar kaum zu bremsen, er kann auch ohne vorher aufgenommenes Tempo auf seine Gegner zugehen. Durch eine herausragende Ballan- und mitnahme kann das Spiel auf ihn schnell verlagert werden, um anschließend das Duell mit einem oder zwei Verteidigern zu suchen.

Grafik: Neymars Dribblings (Dreiecke), Torschussvorlagen (gelbe Pfeile) und Assists (blaue Pfeile) gegen Real Sociedad (4:0)

Messi, der Spielmacher. Er sucht nicht so oft das Eins-gegen-eins wie Neymar, sondern weicht eher aus. Seine Bewegungen gehen nicht diagonal in den Strafraum, sondern parallel. Er kommt von rechts, sucht sich Mitspieler zum Doppelpass, schließt selbst ab oder verlagert schlicht das Spiel, um sich wieder tiefer zurückzuziehen. Ständige Tempowechsel bestimmen sein Spiel ebenso wie große Explosivität und seine Fähigkeit, sich Gegenspielern durch unauffälliges Schleichen zu entziehen.

Suarez, der Jäger. Bewegt sich ausbalancierend im letzten Drittel, beschäftigt die gegnerischen Innenverteidiger, kann auf die Flügel und in den Rückraum ausweichen. Setzt seinen Körper klug ein, arbeitet viel mit den Armen, um sich Vorteile zu verschaffen und seinen überragenden ersten Ballkontakt einzubringen. Hat ein ideales Timing und ist damit nicht nur als Knipser, sondern auch nach Standards und bei Kontern als Anspielstation gefragt.

Gruppentaktischer Rahmen

Reduzieren lässt sich keiner der drei vollständig auf diese kurzen Profile. Dennoch geben sie eine grobe Orientierung vor, wie Enrique seine drei Ausnahmekönner sieht und entsprechend in das Mannschaftsgefüge einbaut. Neymar erhält auf seiner Seite oft Hilfe von Linksverteidiger Jordi Alba. Der öffnet entweder durch Vorderlaufen Räume für Dribblings, indem er einen Gegenspieler bindet oder nutzt die Räume, die Neymars inverses Dribbling öffnet, um bis an die Grundlinie durchzustoßen.

Auf der gegenüberliegenden Seite formen Messi, Dani Alves und Ivan Rakitic ein Dreieck, das stets durchrotiert. Messis Bewegungen geben vor, wie sich seine Teamkollegen verhalten. Geht Messi nach innen, rutscht einer der beiden nach außen, um die Breite zu halten. Geht Messi tief und nach innen, rutscht einer nach außen und der andere Richtung Strafraum, um Breite und den höheren Halbraum besetzt zu halten.

Suarez ist irgendwo mittendrin. Er beschäftigt seine Gegenspieler durch viele ausweichende Bewegungen, favorisiert zieht er dabei hinter den gegnerischen Linksverteidiger, um dort Kontersituationen anzunehmen und zum Abschluss zu bringen. Gehen seine beiden Nebenmänner Richtung Strafraum, sieht man den 29-Jährigen oft in den Rückraum fallen, um dort eine Ablageoption darzustellen.

Vom Ballbesitz zum Abschluss

Barcelona zieht vermehrt das Spiel über die rechte Seite auf. Dort spielen mit Gerard Pique und Dani Alves die im Spielaufbau etwas ruhigeren Akteure der Viererkette, dazu kommen Sergio Busquets und Ivan Rakitic sowie Lionel Messi. Der Gegner verschiebt, um besonders dem Argentinier so wenig Platz wie möglich zu bieten, Barca verlagert über einen langen Diagonalball von Messi oder Busquets entgegen der Verschieberichtung auf die linke Seite zu Neymar.

Pässe von Messi auf Neymar beim 2:2 gegen Villarreal

Dort kann sich dieser dank starker technischer Fähigkeiten gegen die nun geschwächte Seite des Gegners durchsetzen und in den Strafraum gehen. Sucht er den Abschluss, ist dieser in der laufenden Saison in 58 Prozent aller Versuche ein Treffer, alternativ legt er zurück oder sucht seine Mitspieler für ein Zuspiel durch die gegnerischen Reihen. Verhält sich der Gegner statischer, bringt Messi mit einem Dribbling Bewegung in die Defensive.

Suarez gleicht seine Bewegung aus, während der Weltfußballer den Kontakt mit Neymar oder Iniesta sucht, um Doppelpässe zu spielen und so eventuell eine Abschlussmöglichkeit zu erlangen. Rakitic stößt meist in den Strafraum, Alves und Busquets verdichten die Mitte für einen etwaigen Ballverlust.

Vor möglichen Kontersituationen besetzen Neymar und Suarez die Flügel, während Messi etwas tiefer fällt. Er kann dann nach Balleroberung mit genauen Pässen seine Mitspieler in Szene setzen und selbst nachrücken. Den Konter selbst treibt er dagegen nur selten an, vorrangig dann, wenn der Ball auf der anderen Seite erobert wurde.

Alle Bewegungen der drei Stürmer an vorderster Front werden stets von Mittelfeld und Abwehr aufgefangen. Ob es das Geben von Breite ist oder die nötige Absicherung nach Ballverlust, der Rest des Teams steht bereit, um die Individualisten aufzufangen. Dabei nehmen sich auch diese nicht aus der Defensivarbeit heraus, beteiligen sich an Gegenpressing und Laufen den gegnerischen Spielaufbau gekonnt an.

"Die besten Freunde der Geschichte"

Somit ist es nicht die komplette Freiheit, die Enrique ihnen gibt. Aber das hat er auch nie versprochen. Wie sich MSN für die Mannschaft zur Verfügung stellen und eindrucksvoll den Teamgedanken vor sich hertragen, lässt selbst Große ihres Fachs den Hut ziehen. "Ich war Teil einer der besten Sturmreihen aller Zeiten, aber dieses Trio ist ohne Zweifel das beste in der Geschichte von Barca. Sie sind unglaublich, sowohl individuell als auch als Einheit", schwärmt David Villa.

Der Ex-Nationalspieler deutet an, was keiner der drei jemals müde wird zu betonen: Die Chemie stimmt. "Messi ist über allen anderen und Neymar direkt dahinter. Ich bin geehrt, mit ihnen zusammenzuspielen", sagt Suarez. Damit steht er nicht allein. Rakitic ergänzt: "Obwohl es drei unterschiedliche Charaktere sind, ist es auf dem Platz die pure Harmonie zwischen ihnen. Es mag wie eine Übertreibung klingen, aber ich sage: Messi, Suarez und Neymar sind beste Freunde. Wahrscheinlich die besten Freunde in der Fußballgeschichte."

Enrique hat schlicht eine Umgebung entworfen, in der sich seine Stars entfalten können. Das geht eventuell auf Kosten des Mittelfelds - unter Guardiola noch der Ursprung des Barca-Spiels - greift die Möglichkeiten und Potenziale aber gut auf. Somit kann der Coach es sich inzwischen leisten zu sagen: "Ihr drei. Raus und Abrakadabra." Denn, so sagt er selbst: "Dann fließt die Magie."

Der Kader des FC Barcelona

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