Tomas Roncero ist der wohl bekannteste Sportjournalist in Spanien. Mit seinen Fan-Videos über Real Madrid polarisiert er wie kaum ein anderer. Vor dem großen Duell zwischen Barcelona und Real (Samstag, 20.30 Uhr im LIVESTREAM FOR FREE) spricht der AS-Journalist mit SPOX über das legendärste Spiel des Fußballs, sein kurioses Fan-Dasein und Messis Schwächen.
SPOX: Herr Roncero, ihre Zeitung AS veröffentlicht täglich auf über 15 Seiten unzählige Artikel zu Real Madrid. Ist es nicht schwierig, sich so viele Geschichten aus dem Ärmel zu schütteln?
Tomas Roncero: Doch, schon. Aber die Fußball-Fans in Spanien wollen ganz einfach so viele Informationen über Real bzw. den FC Barcelona. Die Medien reagieren also nur auf die Nachfrage der Leser. Und beide Klubs sind derartig groß, dass man eigentlich immer etwas findet, über das man schreiben kann. Alles was im Dunstkreis des Klubs passiert, interessiert die Leute auch. Das können Kommentare, Gerüchte, Spielerwechsel oder Spielberichte sein. Völlig egal, eigentlich verschlingen die Leser alles.
SPOX: Für uns Deutschen wirkt die Berichterstattung teilweise etwas schrill. Bei uns erscheinen in der Tageszeitung vielleicht einmal 3 oder 4 Artikel zu den Bayern. Das war's dann aber auch.
Roncero: Klar, das kann ich mir schon vorstellen. Jedes Land hat eben eine eigene Kultur und eine Art, wie sie mit dem Fußball umgeht. In Spanien erscheinen beispielsweise täglich mehrere Sport-Tageszeitungen, die auf vielen, vielen Seiten über den Sport berichten. Das macht die Berichterstattung deutlich nervöser, schneller und boulevardesker.
SPOX: Aber wo bekommt man denn die Informationen für so viele Artikel her? Irgendwann muss einem doch der Stoff ausgehen. Oder rufen Sie täglich bei einem Ronaldo an und fragen, wie es aktuell um die Mannschaft steht?
Roncero: Mit den Spielern ist es inzwischen unheimlich schwer zu kommunizieren. Die Klubs schirmen die Spieler ab und lassen kaum noch direkten Kontakt zu. Generell ist das Verhältnis zwischen den Medien und den Klubs inzwischen leider sehr abgekühlt. Informationen gelangen dann meistens nur über dritte Personen oder Freunde von Freunden zu den Zeitungen. Das war früher deutlich einfacher. Da konnte man direkt mit den Spielern in Kontakt bleiben.
SPOX: Herrscht da nicht ein großer Druck auf den Journalisten, wenn man täglich so viele Artikel über einen Klub schreiben muss?
Roncero: Überhaupt nicht. Davon lassen wir uns nicht beeinflussen. Die Klubs bieten so viel Stoff, da lässt sich immer etwas finden.
SPOX: Sie sind in Spanien der wohl bekannteste Sportjournalist. Diese Bekanntheit kommt nicht zuletzt von Ihren zahlreichen Fan-Videos. Dort zeigen ganz offenherzig, dass sie heißblütiger Real-Fan sind. Auch Ihr Schreibtisch ist mit Real-Schals umschlugen. Sollte Journalismus nicht eigentlich unabhängig und objektiv sein?
Roncero: In erster Linie respektiere ich natürlich meinen Beruf. Aber es gibt zumindest in Spanien keinen einzigen Sportjournalisten, der nicht Fan eines Klubs ist. Keinen. Wenn du Reporter bist und den Fußball liebst, hast du eine Mannschaft. Punkt.
SPOX: Aber kann man dann überhaupt objektiv berichten?
Roncero: Schauen Sie, es ist doch viel schlimmer, wenn man die Leser ständig belügt und sagt: 'Ich? Ich habe doch keinen Lieblingsverein. Ich bin stets objektiv'. Im Fußball gibt es keine Objektivität. Fußball ist ganz einfach Leidenschaft, das steht im Widerspruch.
SPOX: Objektiv oder subjektiv: Dann interessiert uns natürlich auch ihre Meinung vor dem großen Kracher am Samstag zwischen Real und Barca. Welches Team ist besser?
Roncero: Ich glaube, dass Barcelona aktuell im Vorteil ist. Ganz einfach, weil sie die bessere Startelf haben. Aber Real hat klar den besseren Kader und deutlich mehr junge Spieler mit enormem Potenzial. Nach der ersten Elf kommt es bei den Königlichen nicht zu einem krassen Leistungsabfall. Barcelona hingegen ist sehr stark von ihrem Trio Lionel Messi, Luis Suarez und Neymar abhängig.
SPOX: Von drei Personen abhängig? Das klingt verschmerzbar. Alle drei werden wohl nicht gleichzeitig ausfallen.
Roncero: Der zweite Anzug von Barcelona ist schwach, meist kommt nicht mehr viel von der Bank. Die zentralen Reservespieler von Barca sind Thomas Vermaelen und Jeremy Mathieu. Die fallen zudem noch häufig aus und haben ihr bestes Fußball-Alter schon überschritten. Bei Real zum Vergleich kommen oft Raphael Varane und Nacho von der Bank. Der eine ist in der französischen Nationalmannschaft gesetzt und der andere gehört zum Kader der spanischen Nationalmannschaft. Real verfügt in der Breite ganz einfach über mehr Qualität.
SPOX: Dennoch treffen Messi, Neymar und Suarez eigentlich nach Belieben. Selbst wenn mal einer fehlt.
Roncero: Es ist sicherlich ein unglaublich starkes Offensiv-Trio. Aber ich glaube, dass das ganze Konstrukt sehr stark von Messi abhängt. Spielt er gut, zaubern auch Neymar und Suarez mit. Wenn der Argentinier allerdings einen schlechten Tag erwischt, geht bei den anderen beiden auch meistens nicht viel zusammen. Suarez ist ein Killer vor dem Tor und ein toller Stürmer, keine Frage. Aber bei ihm wird auch bald eine Phase kommen, in der er nicht mehr trifft. Neymar hingegen spielt einen unglaublich spektakulären Fußball mit vielen Tricks und Späßchen. Aber das ist mir zu oft zu verspielt und der Zug zum Tor fehlt.
SPOX: Und Messi? Es fällt uns schwer, bei ihm Schwächen auszumachen.
Roncero: Messi ist sicherlich einer der besten Spieler der Welt, doch er hat physisch einfach seine Grenzen. Wenn die gegnerische Abwehr ein etwas physischeres Spiel aufzieht, fällt seine Leistung meist deutlich ab. Das haben die meisten spanischen Teams aber noch nicht verstanden. Man sieht es doch in der argentinischen Nationalmannschaft. Dort fällt die Leistung von Messi meist deutlich ab, da er dort auf Verteidigungen trifft, die mal zupacken.
SPOX: Trotz der von Ihnen angesprochenen Schwächen von Barca hinkt Real in La Liga deutlich hinter den Katalanen her. Woran liegt das?
Roncero: Das ist sehr schwierig und vermutlich nicht in wenigen Sätzen zu erklären. Ich glaube aber, dass Real Madrid sich recht früh auf die Champions League konzentriert hat. Und angenommen Real gewinnt in Barcelona, dann ist man bis auf sieben Punkte an Barca dran. Die Meisterschaft ist bei noch sieben verbleibenden Spieltagen also trotzdem noch drin.
SPOX: Der Start von Neu-Coach Zinedine Zidane hingegen verlief mehr als ordentlich. Glauben Sie, dass er auf lange Zeit der richtige Trainer für Real ist?
Roncero: Ja. Ohne Zweifel. Er ist der Beste. Zidane kennt die Mannschaft, den Klub und das Umfeld wie kaum ein anderer. Er kann sich noch gut in die Spieler hineinversetzen und kennt deshalb ihre Sorgen und Gedanken. Zudem versteht er das Spiel mit den Medien sehr gut. Das muss man in Spanien auch erst mal beherrschen. Er drückt sich bei den Pressekonferenzen immer sehr eloquent aus. Man merkt ganz einfach, dass er weiß, was er macht und hinter seinen Entscheidungen steht.
SPOX: Wie wird die Leistung von Toni Kroos in Madrid bewertet. Ihm wird ja oft vorgeworfen, dass er das Spiel verschleppt und langsam macht.
Roncero: Mir gefällt die Spielweise von Kroos sehr gut, auch wenn er nicht den spektakulärsten Fußball spielt. Er ist ein unglaublich kompletter Fußballer und wichtig für das Spiel. Bei Real spielt er im defensiven Mittelfeld. Ich glaube, dass er etwas offensiver spielen sollte. Dort würden seien Fähigkeiten noch deutlich besser zum Tragen kommen. Er ist ein sehr kreativer Spieler, der mit seinen Pässen den Unterschied ausmachen kann. Warum ihn also nicht eine Position weiter nach vorne stellen?
SPOX: Ist Kroos auch ein Schlüsselspieler für Samstag? Oder wer entscheidet El Clasico am Wochenende?
Roncero: Ich hätte natürlich gerne, dass Ronaldo das übernimmt (lacht).
SPOX: Ihm sagt man ja aber nach, dass er in den großen Spielen meist untertaucht.
Roncero: Das stimmt. Er macht eigentlich immer enorm viele Tore, in den wichtigen Spielen kann er das Level dann hin und wieder nicht halten. Aber am Wochenende wird Ronaldo einen guten Nachmittag im Camp Nou erwischen, da bin ich mir sicher.
SPOX: Beschreiben Sie ein wenig die Stimmung, die in Madrid während des Spiels herrscht.
Roncero: Die ist natürlich sehr, sehr speziell. Man merkt es in der Woche vor, während und nach einem Clasico in den Bars und den Restaurants. Dort ist es normal, dass man sich trifft und über Fußball plaudert. Wir Spanier lieben es, über Fußball zu philosophieren. Das ist Teil unserer Kultur. Und dann ist es klar, dass es nur ein Thema gibt, wenn Real gegen Barca spielt. Das Schöne ist, dass dann jeder auch eine eigene Meinung hat und diese in der ganzen Bar lautstark vertritt. Da kommt es schon mal zu hitzigen Diskussionen. Das macht das spanische Flair aus. Allerdings muss ich sagen, dass es dieses Jahr bislang ein wenig anders ist. Die Situation in der Liga gibt es noch nicht so wirklich her. Aber das kommt sicherlich noch.
SPOX: Trauen sich denn auch Barca-Fans in die Kneipen von Madrid?
Roncero: In Madrid gibt es nicht so viele Barca-Fans. Diese Stadt ist eigentlich nur in zwei Fanlager geteilt: Atletico- und Real-Fans.
SPOX: Wie ist die zahlenmäßige Verteilung?
Roncero: Ungefähr 65 Prozent der Einwohner von Madrid sind Anhänger von Real, zwischen 25 und 30 Prozent halten zu Atletico und eigentlich nur knapp 5 Prozent zu Barca. Das ist nicht wirklich viel. In Katalonien sieht es überraschenderweise etwas anders aus. Dort gibt es zwar auch nicht wahnsinnig viele Real-Fans, verhältnismäßig jedoch deutlich mehr als Barca-Fans in Madrid.
SPOX: Was macht die Feindschaft zwischen Real und Barca aus?
Roncero: Es ist ganz einfach die größte Rivalität des modernen Fußballs. Das hat sich über viele Jahre so entwickelt und ist tief in der Geschichte Spaniens verankert. Das ist auch speziell in den neunziger Jahren noch mal hochgekocht. Damals hatte Barcelona unter Cruyff vier Meisterschaften in Folge gewonnen. Allerdings muss ich sagen, dass für die Einwohner von Madrid seit einigen Jahren kurioserweise die Rivalität mit Atletico fast gleich stark ist.
SPOX: Gibt es global gedacht eine vergleichbare Rivalität in der Welt des Sports?
Roncero: Nein. Für mich ist es die größte Rivalität der Welt. Es gibt andere große Duelle im Fußball wie beispielsweise Boca gegen River, Milan gegen Inter oder Bayern gegen Dortmund. Aber das sind im Vergleich zum Clasico meist eher nationale Feindschaften. Das ist bei Real gegen Barca etwas anders. Das polarisiert die ganze Welt und lässt diese wie kaum ein anderes Sportereignis stillstehen.
SPOX: Ein objektiven Expertentipp zum Abschluss: Wer wird El Clasico dieses Jahr gewinnen und warum?
Roncero: Ich denke, dass Real das Spiel gewinnen wird. Sie werden eine Antwort auf das 0:4 im Hinspiel geben müssen und auch werden. Deshalb mein Tipp: 2:1 für Real Madrid.
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