"Es ist zappenduster"

Von Stefan Rommel
Angstvolle Mienen: Die Hamburger Son, Aogo und Westermann (v.l.) nach dem 0:1 gegen Gladbach
© Getty

Hamburgs rasanter Fall geht weiter, Trainer Michael Oenning darf trotzdem bleiben. Der "große Umbruch" kann als Ausrede ab sofort aber nicht mehr dienen. Immerhin gibt es zwei kleine Hoffnungsschimmer.

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Leer waren die Blicke der Hamburger Fans und verzweifelt. Den meisten fehlte offenbar die Kraft, noch kräftig zu pfeifen.

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Dabei hatten sie gerade den Tiefpunkt einer wochenlangen Misere erlebt: Einen spielerischen Offenbarungseid, der weit mehr offenbarte als 90 verkorkste Minuten. Beim HSV geht die Angst um.

Jedem Gegner unterlegen

Das 0:1 gegen Borussia Mönchengladbach war die fünfte Niederlage im sechsten Saisonspiel. Eine trostlose Bilanz, die in der Geschichte der Bundesliga zum Start bisher erst viermal unterboten wurde.

Es bedarf aber keiner Statistiken, um den teilweise desaströsen Zustand der Mannschaft einzuordnen. In fast allen Teildisziplinen sind die Hamburger nicht auf Stand. Jeder Gegner sei dem HSV bisher überlegen gewesen, zeigte sich Mladen Petric im Gespräch mit SPOX nach dem Spiel konsterniert.

Der Kroate ist ein Paradebeispiel für die ineffiziente Spielweise der Hamburger. Petric ist nicht der begnadete Teamplayer, es gibt sicherlich lauffreudigere und im Defensivverhalten besser ausgebildete Stürmer. Er ist ein Knipser alter Schule. Nur wird Petric von den Kollegen kaum ins Spiel einbezogen.

Der HSV bekommt den Ball nicht in den torgefährlichen Bereich, wie ein "Kronleuchter" hänge er dann in der Luft. Wie eine Karteileiche, die die Mannschaftsstärke auf zehn schrumpfen lässt. Dementsprechend angefressen reagierte Petric nach dem ernüchternden Tiefschlag - nachdem in der Woche davor einmal mehr vieles schön geredet wurde.

"Jetzt ist es zappenduster"

"Irgendwann hat man keinen Bock mehr, immer nur nach positiven Dingen zu suchen! Wir erzählen immer das Gleiche, Woche für Woche, aber es passiert immer wieder. Ich weiß gar nicht mehr, was ich sagen soll..."

Immerhin war es diesmal nicht nur Petric, der die Dinge offen und ehrlich beim Namen nannte. "Jetzt ist es natürlich zappenduster. Ein Punkt nach sechs Spielen sind für den HSV viel zu wenig. Wir stehen mit dem Rücken zur Wand, jetzt helfen nur noch Serien. Schlimmer kann es nicht mehr kommen", zürnte Kapitän Heiko Westermann.

Die Ausrede vom großen Umbruch, der noch Zeit brauche, greift nicht mehr. Zum einen sind jetzt auch schon sechs Spieltage absolviert, inklusive der Vorbereitungszeit kennt sich das Gros der Mannschaft nun schon seit drei Monaten. Zum anderen standen gegen Gladbach acht Spieler in der Startformation, die schon lange beim HSV ihr Geld verdienen.

Abgänge blühen auf

Dass die Umbaumaßnahmen bislang recht unglücklich verlaufen sind, belegen nicht nur die schwachen Leistungen der eigenen Zugänge - sondern auch die Tatsache, dass Spieler, die in Hamburg keine Zukunft mehr hatten und weggeschickt wurden, woanders wieder aufblühen.

Tunay Torun hat in sechs Spielen schon so viele Tore für Hertha BSC erzielt wie in drei Jahren für den HSV. Eric-Maxim Choupo-Moting (zwei Saisontore) ist in Mainz zu einem wichtigen Bestandteil der Mannschaft geworden, Jonathan Pitroipa glänzt bei Stade Rennes mit vier Toren in zehn Pflichtspielen. Kleine Erfolgsgeschichten, die dem HSV in seiner derzeitigen Lage gut tun würden.

Die Tendenz ist klar, was sich vor einigen Wochen noch schemenhaft andeutete, dürfte jetzt Gewissheit sein: Für den HSV geht es in dieser Saison um den Klassenerhalt und nichts weniger. Die Mission darf Trainer Michael Oenning weiter vorantreiben.

Ratlosigkeit beim HSV

Sportchef Frank Arnesen bleibt nach den stärkenden Worten der letzten Wochen pro Oenning gar keine andere Wahl, als seinem Trainer bis auf weiteres zu vertrauen. Auch wenn Oenning selbst nach dem Spiel ratlos wirkte.

"Ich bin maßlos enttäuscht. Ich bin auch sauer, weil wir ein Spiel verloren haben, das wir unbedingt gewinnen wollten. Weil wir eine leicht zu verteidigende Standardsituation wieder mal gefressen haben. Zu einem Zeitpunkt, wo wir angefangen haben, Druck zu machen. Das ist katastrophal, weil wir ein wichtiges Spiel verloren haben."

Klarer stellte es Marcell Jansen dar: "Wir können jetzt nicht aufhören, es tut weh, es ist scheiße, aber es muss trotzdem weitergehen. Wir haben kein gutes Spiel gemacht, vor allem in der zweiten Halbzeit. Wenn wir wüssten, was wir ändern müssten, würden wir es machen. Natürlich spielen wir schlecht, und es ist leicht, auf den draufzuhauen, der auf dem Boden liegt."

Zwei Hoffnungsschimmer

Es bleiben zwei Hoffnungsschimmer: Anders als in der verrückten letzten Saison stecken die üblichen Verdächtigen auch schon mit unten drin, das könnte Hoffnung machen. Kaiserslautern, Freiburg, Aufsteiger Augsburg, vielleicht noch Köln und Mainz.

Und es kristallisiert sich immerhin so etwas wie ein kleines Bollwerk heraus. Die Innenverteidigung mit Westermann und Slobodan Rajkovic scheint gefunden. Vor allem der Serbe sticht mit seiner Entschlossenheit aus einer verzagten Mannschaft hervor.

Gladbach überrascht wie Hannover

Der Gegner aus Mönchengladbach kennt die Situation beim HSV nur zu gut. Letzte Saison grüßte die Borussia selbst noch vom Tabellenende, ehe in Lucien Favre die Rettung nahte.

Jetzt ist Gladbach das Überraschungsteam der Liga, mit einer eingespielten Mannschaft und einem klar definierten Plan vom eigenen Spiel ärgern die Borussen einen Gegner nach dem anderen.

Wie zuletzt bei Hannover 96 basiert der Erfolg auf einer gut ausgeklügelten Defensive, gepaart mit schnellem und direktem Kombinationsspiel nach vorne. In große Euphorie will in Mönchengladbach aber niemand verfallen.

"Die Basis unseres aktuellen Erfolgs liegt in der guten Defensive, wir sind dadurch in der Lage, das Glück auch einmal zu erzwingen", sagt Sportdirektor Max Eberl. "Wir dürfen jetzt aber nicht anfangen zu träumen, sondern müssen weiter hart an uns arbeiten."

Hamburg - Gladbach: Daten zum Spiel

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