Die Ibertsberger Festspiele

Von Oliver Kucharski
Andreas Ibertsberger erschien in Gladbach zu spät zur Dopingkontrolle
© Getty

Rangnick setzt auf den Lellsing-Effekt, Podolski zappt mal kurz rein, Klinsmann sieht's positiv und Schaaf lässt einfach weiter wachsen - alle Highlights der Ibertsberger-Festspiele in der Alternativen Liste des 20. Spieltages.

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Der Lellsing-Effekt: "Brav, liebe Leverkusener", feixte Uli Hoeneß am Freitagabend, als er nach den Ibertsberger-Festspielen zu Hoffenheim wusste: Morgen sind wir Tabellenführer! Völlig zu Recht, denn wie hätte der arme Uli Hoeneß auch ahnen können, dass die Hertha a) erst Ribery drittelt, dann b) das gesamte Spiel einfriert und schließlich c) seelenruhig auf den Lellsing-Effekt baut? Das konnte Uli Hoeneß am Freitagabend nun wirklich nicht wissen. Und als er es dann wusste, am Samstag um 17 Uhr 23, wusste er gar nicht, wohin mit seiner Unzufriedenheit: "Mit was genau ich unzufrieden bin, weiß ich noch nicht, das muss ich mir noch überlegen." Ralf Rangnick indes feixte: "Brav, liebe Hertha."

Die pure Schlechtigkeit: Auch Jürgen Klinsmann war sichtlich verdattert und verdutzt und verdingst, schulbubenhaft stammelte er nach dem Spiel: "Wir wollten hierher kommen, die drei Punkte einfahren und endlich Tabellenführer werden." Und lediglich Ersteres hat ja geklappt, und auch das nur mit Ach und Krach - hatten die Bayern nach eigener Aussage doch die langen Wege im Olympiastadion unterschätzt, weshalb das Spiel erst mit einiger Verzögerung angepfiffen werden konnte. Böse Zungen von schlechten Menschen behaupten nun, Mark van Bommel hätte sich da irgendwie daneben benommen und die Berliner absichtlich warten lassen. Aus purer Schlechtigkeit. Aber das kann ja eigentlich gar nicht sein.

Neider und Nachahmer: Überhaupt Christian Lell. Mit konstanten Leistungen hat es dieser bayrische Teufelskerl doch tatsächlich geschafft, sich in die Herzen aller Bashing-Freunde zu spielen. Von Kevin Kuranyi? Spricht ja heute kein Mensch mehr! So viel Öffentlichkeit zieht jedoch Neider und Nachahmer nach sich, und so lieferten sich Andreas Ibertsberger und Isaac Vorsah schon am Freitag einen heißen Fight um den Lell der Woche. Mit dem besseren Ende für Vorsah: Sich vom nur 1,22 Meter großen Gonzalo Castro überköpfen zu lassen, ließ selbst Meister Lell anerkennend mit der Zunge schnalzen. Seine Variante mit Woronin war da nur noch ein schlechter Abklatsch.

Gewohnheitsrecht: Und so schafft es Kevin Kuranyi auch nur aus bloßer Gewohnheit in die AL: Unter der Woche ein lausig als PR-Gag verkleideter Fluchtversuch, dann ein richtiges Tor gegen Bochum und hinterher sogar noch Selbstkritik: nein, Kevin Kuranyi, so nicht, das ist ausbaufähig! Selbst in den Liga-Lehren ist Kuranyi nicht mehr als eine Randnotiz. Nächste Woche muss wieder mehr kommen!

Bedingungsloser Rückzug: "Muss sich die Liga nun schämen?", lautet eine häufig gestellte Frage besorgter Fußballfans angesichts der Tabellenführung der spröden Hertha. Die Antwort lautet: Nein! Zumindest nicht lange. So war am Sonntag auf der Hertha-Homepage (Typo 3) zu lesen: "In einer außerplanmäßigen Sondersitzung der Vereinsführung wurde heute entschieden, dass Hertha BSC die Tabellenführung zurückgibt. Um die Bundesliga vor einem weiteren Imageverlust zu schützen und die Stimmung in Fußball-Deutschland nicht weiter zu belasten, wird Hertha BSC am nächsten Spieltag bedingungslos verlieren. Die weiteren Pläne sind strikt auf den Uefa-Cup ausgerichtet, wo sich Hertha BSC mit attraktiven Klubs wie Metalist Kharkov oder den Young Boys Bern auf Augenhöhe messen kann." Sorge um das zerrüttete Image der Liga! Brav, liebe Hertha.

Die großen Propheten: Die Breite an der Spitze ist jetzt also dichter geworden, und auch wenn das eine ganz subjektiv geäußerte Meinung ist, bei der man erstmal schauen muss, ob sie subjektiv oder objektiv ist, so dass man - so sie denn subjektiv ist - an der eigenen objektiven Meinung festhält, beziehungsweise. - so sie denn objektiv ist - die objektiv subjektiv geäußerte Meinung in die eigene objektive Meinung mit einfließen lässt, je nachdem also, das ist alles fürchterlich kompliziert, jedenfalls: momentan kann man das drehen und wenden wie man will: Fünf Teams in einem Abstand von nur vier Punkten an der Tabellenspitze - die Breite an der Spitze ist in der Tat dichter geworden, und das ganz objektiv und ohne Wenn und Aber. Und wer hat's vor Jahren schon gewusst? Hans-Hubert und Sir Erich!

Apropos zerrüttet: Fred "The Voice" Rutten, bei dem Udo Lattek nach eigener Aussage immer so bisschen Sorge hat, dass er gleich das Weinen anfängt, was natürlich nicht gut sei, da die Spieler heutzutage ja nun, Entschuldigung!, alle Sauhunde seien und sowas sofort ausnutzen würden usw. usf., dieser Fred "The Voice" Rutten also zeigte auf der Pressekonferenz mal wieder, dass er niemals weint und überhaupt ja härter ist als Udo Latteks ganzer Frühschoppen: Fred "The Voice" Rutten wurde also gefragt, wie er empfunden habe, als alle Schalker Fans durchgängig "Müller raus! Müller raus!" skandierten, und Fred "The Voice" Rutten lächelte milde: Das stimme so nicht, hinter ihm hätte jemand gesessen, der die ganze Zeit über "Rutten raus! Rutten raus!" gerufen habe. Sprachs - und vergoss nicht eine Träne.

Fehlende Aufmerksamkeit: Höchst gelassen nahmen alle Beteiligten auch den xten ungeahndeten Ellbogencheck des Schalker Musterprofis Rafinha hin. Bochums Dabrowski gab gähnend zu Protokoll, das sei ja nun "nichts Neues bei dem Kleinen", und selbst der bestens postierte Schiri Kircher gab nach der Partie zu, kurz gepennt zu haben, was ihm angesichts eines solch drögen Kicks auch niemand ernsthaft verübeln mochte. Doch aufgepasst, Kleiner: Wenn man nicht mal mehr vom Schiri die gewünschte Aufmerksamkeit bekommt, ist es höchste Zeit, etwas zu ändern. Tipp: Demnächst dem Gegner vielleicht einfach mal akkurat die Visage aus dem Gesicht treten, wie es am Sonntag Hamburgs Alex Silva vormachte: DAS war ein Statement!

Unmenschliche Gräueltaten: Richtig en Rage war der sonst so schüchterne Jens Lehmann, und wer könnte das schöner protokollieren, als die Kollegen von der Zeitung, die Hans Meyer immer nur "Zentralorgan" nennt? "Drei Wutanfälle von Lehmann", brüllte also die Bild und listete penibel die unmenschlichen Gräueltaten des Jens L. aus S. auf (Name und Ort bekannt): "Halbzeit: Auf dem Weg in die Kabine tritt er ein TV-Kabel weg. Die Kamera-Teams schrecken auf. +++ 50. Minute: Jiri Stajner spitzelt nach einem Abseitspfiff den Ball weg, Lehman baut sich vor ihm auf. +++ 63. Minute: Oldie-Zoff im Fünfer. Michael Tarnat umarmt den Keeper. Der reißt sich wütend los." Erschrecken. Aufbauen. Losreißen. Angesichts einer solchen Öffentlichkeit nach solchen Vergehen kann einer wie Rafinha nur neidisch gucken.

Mit Bummms und Spielwitz: Im kollektiven Wut- und Blutrausch war auch Köln, weil Jürgen Klinsmann die Frechheit besessen hatte, Kölns Lukas Podolski aus dem Kader zu streichen. Für Landon Donovan! Einen Amerikaner! So kurz vor Karneval! Dabei war dies ja eine komplett richtige Entscheidung: Einmal mehr zeigte Donovan, der mit der Präsenz eines Effenberg, dem Spielwitz eines Scholl, der Abgeklärtheit eines Makaay und dem Bummms eines Tarnat gesegnet ist, was ihn so unverzichtbar macht für den FCB. Und in der 71. Minute hatte er alleinstehend vor Handball-Keeper Drobny schlicht Pech, nichts weiter. "Guter Mann!", musste denn auch Lukas Podolski neidlos anerkennen, als er auf der heimischen Couch immer mal wieder kurz vom zähen Köln-Kick rüber zu den Bayern zappte.

Positives Denken: Zum Schluss: nochmal Klinsmann. Muss sein. Weil er einfach das fleischgewordene positive Denken ist - und damit ein therapeutisches Vorbild für so manchen hanseatischen Brummbär, der seinen Kummer offenbar so lange stur in sich hineinzufressen gedenkt, bis er bärtig wie Amanatidis, augenringig wie Wontorra und lederhäutig wie Augenthaler ist: Nach drei Spielen mit zwei Niederlagen und einem Last-Minute-Sieg sagte Jürgen Klinsmann also allen Ernstes: "Wenn wir unseren Lauf wieder aufnehmen, der jetzt gegen Hamburg und Berlin unterbrochen wurde, werden wir oben stehen." Dann lächelte Jürgen Klinsmann, glaubte einfach mal dran und war zufrieden. Wenn jetzt also auch Werder Bremen seinen Lauf wieder aufnimmt, der schon die gesamte Saison über unterbrochen war, dann muss um das Wohlbefinden von Thomas Schaaf endlich niemandem mehr bange sein.

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