Nach 72 Tagen dröhnten in der Formel 1 endlich wieder die Motoren. Bei den viertägigen Testfahrten in Jerez probten die Teams erstmals den Ernstfall. Die Karten blieben jedoch verdeckt. Über die Kräfteverhältnisse lässt sich lediglich spekulieren. SPOX versucht die Auftritte einzuordnen.
Red Bull: 371 Runden - Bestzeit: 1:18,565 Minuten (4. Sebastian Vettel)
Das Projekt Titelverteidigung startete für Sebastian Vettel verspätet: An den ersten beiden Tagen ließ er Mark Webber den Vortritt. Am Donnerstag übernahm der Weltmeister schließlich das Lenkrad. Mit über 1.600 Kilometer gehörten die Bullen zu den Arbeitstieren. Wie ein Gros vernachlässigte man dabei die Stoppuhr. Dennoch stimmte ein Blick darauf höchst zufrieden.
Im Renntrimm sahen die Piloten verheißungsvoll aus, glänzten mit konstant niedrigen Zeiten. Rechtzeitig zum Premieren-Einsatz Vettels lieferte die Fabrik in Milton Keynes neue Teile. Optisch war nichts zu erkennen, es handelte sich um Adaptionen unter dem Chassis. Jedenfalls spürte der Heppenheimer einen positiven Trend bezüglich Downforce. Und der RB9 ist zuverlässig.
Sebastian Vettel: "Für mich war es wichtig, den Rost runterzufahren, sich einzugrooven und an die Reifen zu gewöhnen. Von außen sieht das Auto nicht so viel anders aus, das meiste ist unter der Haube. Ich glaube, es ist ein Schritt nach vorne."
Mark Webber: "Wie Designer Adrian Newey beim Launch gesagt hat, gibt es keine großen Überraschungen. Was die Konstanz betrifft, lief es großartig. Hier und da hätte ich einen raushauen können. Das Auto vermittelt mir das Gefühl, richtig angreifen zu können."
Der Fahrplan bis zum Saisonstart
Ferrari: 277 Runden - Bestzeit: 1:17,879 Minuten (1. Felipe Massa)
Vor einem Jahr war der Zustand alarmierend. Ferrari drohte in die Belanglosigkeit abzurutschen. Zurück in Jerez zertrümmerte Felipe Massa mit leeren Tanks in 1:17,879 Minuten die Konkurrenz. Es liegt nahe, dass man Präsident Luca di Montezemolo und die Tifosi ruhig stellen wollte. In Abwesenheit Fernando Alonsos, der sich eine schöpferische Pause gönnte, mahnte Massa vor Euphorie.
Bei der Bestzeit wurden weiche Reifen aufgezogen, der Unterschied zu der Medium-Version beträgt dem Brasilianer zufolge eine Sekunde. Trotz verbesserter Straßenlage scheint man gegenüber Red Bull im Hintertreffen. Zudem bereitet das schmalere Heck noch Sorgen. Unter der Haube wird es zu heiß, zum Abschluss löste das Getriebe von Pedro de la Rosa ein kleines Lagerfeuer aus.
Felipe Massa: "Es ist im Gegensatz zum vergangenen Jahr ein berechenbares Auto. Eines, bei dem das Heck auf der Straße klebt. Und eines, das sofort ordentlich ausbalanciert war. Die Zeit ist nur Kosmetik. Aber ich glaube, wir haben die Richtung gefunden. Ob sie richtig ist, werden wir sehen."
Pedro de la Rosa: "Ich habe mein Leben lang davon geträumt, im Ferrari zu sitzen. Die Balance passt. Er reagiert gut auf Setup-Änderungen. Wir müssen natürlich noch viel über die Reifen lernen."
McLaren: 299 Runden - Bestzeit: 1:18,861 Minuten (8. Jenson Button)
Fünf Stunden wartete Jenson Button zähneknirschend in der Box. Lediglich drei Umläufe schaffte sein MP4-28, ehe die Benzinpumpe streikte. Umso erstaunlicher kam die Bestzeit zum Ende des Auftakts - auf ziemlich schmutziger Fahrbahn. Red Bull und Ferrari werteten diese als Ausrufezeichen. Der Brite relativierte, fokussierte sich auf die innovative Pullrod-Aufhängung.
Für Teamküken Sergio Perez ging es darum, sein Umfeld erstmals an der Strecke kennenzulernen. Der 23-Jährige konnte ein Gefühl für die Arbeitsweise der Mechaniker entwickeln, durch konträre Setup-Einstellungen den Boliden verstehen. Keine Umstände bereiteten die weicheren Pirelli-Mischung. Reifenflüsterer Button lobte das Arbeitsfenster, kommt McLaren doch der "knifflige Abbau" entgegen.
Jenson Button: "Wir haben die Aerodynamik getestet, sind unterschiedliche Bodenfreiheiten und Anstellungen gefahren. Ein großer Einschnitt musste her, der uns bei der Weiterentwicklung mehr Freiheiten gibt. Wir haben ein neues Aufhängungskonzept. Es passt noch nicht alles, ist aber lösbar."
Sergio Perez: "Die Aerodynamik funktioniert, der mechanische Grip ist exzellent. Aber ich muss noch lernen, wie ich das Maximum heraushole. Ich kann meine Erfahrungen von früher nicht übertragen."
Seite 2: Lotus, Mercedes, Sauber und Force India
Lotus: 272 Runden - Bestzeit: 1:18,148 Minuten (2. Kimi Räikkönen)
Manch Beobachter fühlt sich an das Vorjahr erinnert: Damals avancierte Lotus im Winter zum Geheimtipp. Und bestätigte diese Einschätzung später. Heuer ist der Tipp weniger geheim, dafür noch heißer. Der E21 hält, was die Evolution seines erfolgreichen Vorgängers verspricht: Er ist auf Anhieb schnell. Romain Grosjean sprach nach wenigen Kilometern von einem Fortschritt.
Der Franzose überzeugte am Mittwoch mit 1:18,218, tags zuvor reihte er sich auf Rang drei ein. Abschließend durfte Kimi Räikkönen einsteigen. Der Iceman hielt sich im Kampf um Sekunden bedeckt, mitunter wegen Kupplungs-Problemen, die ihn über beide Einheiten begleiteten. Einzig Marussia verweilte daher häufiger in der Box.
Kimi Räikkönen: "Das Auto fühlt sich stark an und es sieht so aus, als hätte wir eine Ahnung davon, wohin die Reise mit unseren Verbesserungen geht."
Romain Grosjean: "Hinter dem Lenkrad fühlt er sich an wie der E20. Es dauerte nicht lange und ich war auf Tempo. Es ist gut, dass wir in diesem Jahr auch auf den Coanda-Auspuff vertrauen."
Der Fahrplan bis zum Saisonstart
Mercedes: 322 Runden - Bestzeit: 1:18,766 (7. Nico Rosberg)
29 Runden drehte der neue F1 W04 an zwei Testtagen - eine missratene Premiere. Erst bescherte Nico Rosberg die Elektronik einen frühen Feierabend. Schließlich krachte Lewis Hamilton ungebremst in die Reifenstapel. Die umgestaltete Hinterachse scheuerte die Bremsleitung wund. Um keinen weiteren Abflug zu provozieren, erklärte Ross Brawn den Mittwoch für beendet.
Danach schrubbten die Silberpfeile jede Menge Kilometer und präsentierten dabei die angekündigte Frontflügel-Kreation. Mit fünf Elementen möchte man dem leidigen Untersteuern in schnelleren Kurven entgegenwirken. Positiv: Vom Speed gelang ein Fortschritt. Beide Piloten knallten ansprechende Zeiten auf den Asphalt. Neuzugang Hamilton bemängelte noch Defizite in puncto Aerodynamik.
Lewis Hamilton: "Ich hatte ein gutes Verständnis zur Basis. Wir brauchen definitiv mehr Abtrieb. Der McLaren hatte unglaublich viel, unser Auto ist noch nicht auf diesem Stand."
Nico Rosberg: "Dieses Auto ist ein großer Sprung zum letzten Jahr. Es war gut ausbalanciert. Ich konnte auf Anhieb attackieren, musste mich gar nicht eingewöhnen."
Sauber: 429 Runden - Bestzeit: 1:18,669 (5. Esteban Gutierrez)
Bei der Präsentation des C32 staunte die Königsklasse nicht schlecht. Niemand konstruierte sein Heck aggressiver. Niemand näherte sich der Grenze des Möglichen derart extrem. Zu groß war die Gefahr überhitzter Motoren oder Elektronik. Bei Sauber ging man bewusst das Risiko - und wurde belohnt. In den Highspeed-Kurven klebt der Wagen förmlich auf der Strecke.
Nico Hülkenberg und Esteban Gutierrez profitieren davon, bauten schnell Vertrauen auf. Nur beim Einlenken wirkt das Hinterteil etwas nervös. In Anbetracht der erstaunlichen - nicht zu erwartenden - Zuverlässigkeit zu vernachlässigen. Wie ein Schweizer Uhrwerk lief er. Mit 1.900 Kilometern war man das fleißigste Team in Jerez.
Nico Hülkenberg: "Es ist aber unmöglich zu sagen, ob man ein Siegerauto hat oder nicht. Ich war noch nie in der Situation, dass ich nach einem Test sagen konnte, dass das Auto siegen wird. Wir haben eine gute Grundlage, alles funktioniert, wie die Aerodynamiker und Ingenieure es planten."
Esteban Gutierrez: "Es war interessant für mich, weil ich in der Lage war, sehr unterschiedliche Dinge zu spüren und meinen Fahrstil der jeweiligen Situation anzupassen"
Force India: 357 Runden - Bestzeit: 1:18,175 (3. Jules Bianchi)
Wer übernimmt das Cockpit neben Paul di Resta? Seit Monaten ist die Fahrer-Frage bei Force India ungeklärt: Lange wurde Adrian Sutil gehandelt, doch die Zeichen standen selten aussichtsloser. In Jerez bekamen andere den Vorzug. James Rossiter, eigentlich Simulator-Tester, erregte donnerstags Aufmerksamkeit: Er mähte in der Box einen Mechaniker um.
Indes zeichnete sich Jules Bianchi für die Bestzeit verantwortlich. Ob der unerfahrenen Kollegen deckte Di Resta die Basisarbeit ab. Runde um Runde fuhr der "Alleinunterhalter" und bescherte den Ingenieuren eine Datenflut. Über die Longruns zeigte sich Force India erfreut, auch das Handling des VJM06 entspricht den Vorstellungen.
Paul di Resta: "Wir konnten unser Programm vollständig durchziehen und sehr viele Informationen sammeln. In langsamen und schnellen Passagen unterscheidet sich die Balance."
Seite 3: Williams, Toro Rosso, Caterham und Marussia
Williams: 333 Runden - Bestzeit: 1:19,851 (9. Valtteri Bottas)
In der Ruhe liegt die Kraft: Während die 2013er-Modelle in Jerez auf Herz und Nieren geprüft wurden, wartete der britische Traditions-Rennstall mit seiner Jungfernfahrt. Mit dem FW34 lag das Hauptaugenmerk auf den Pirelli-Mischungen. Laut Pastor Maldonado müssen diese sorgsam behandelt werden. Wobei der Kurs als außerordentlich reifenfressend bekannt ist.
Zudem testete man die Funktionalität einiger Aerodynamik-Teile, welche den neuen Dienstwagen zieren könnten. Unter anderem den Coanda-Auspuff. Am ersten Tag funkte ein Kupplungsdefekt dazwischen. Erfreulich war der Auftritt Valtteri Bottas'. Die letztjährige Nummer drei beerbte Bruno Senna und spulte das vorgegebene Programm zufriedenstellend ab.
Pastor Maldonado: "Wir glauben an unser neues Auto, aber wir wollen noch mehr. Wir sammelten viele Daten der einzelnen Komponenten und wollten ein Bild bezüglich der Reifen bekommen."
Valtteri Bottas: "Wir fuhren eine Reihe von Stints mit viel Sprit. Nach den ersten beiden Tagen haben wir den Plan geändert und konzentrierten uns auf die Mechanik in Vorbereitung auf den FW35."
Der Fahrplan bis zum Saisonstart
Toro Rosso: 330 Runden - Bestzeit: 1:18,760 (6. Jean-Eric Vergne)
Platz sechs in der Konstrukteurswertung gab Franz Tost als Saisonziel aus. "Mechanisch ist das Auto völlig neu. Das hat uns bei der Abstimmung stark eingeschränkt. So sind wir in einer Sackgasse gelandet", erklärte der Teamchef. Auch das Chassis des STR8 unterscheidet sich stark. Die spitze Nase und das schmale Heck wirken fast bieder. Die Zeiten nicht.
Jean-Eric Vergne und Daniel Ricciardo versprühten jedenfalls leisen Optimismus. Sie erfreuen sich der neuen Setup-Möglichkeiten. Die Balance ist verbessert. Bis auf die üblichen Kinderkrankheiten tat der Bolide auch zuverlässig seinen Dienst.
Daniel Ricciardo: "Zu diesem Zeitpunkt des Jahres sollte man einige Extreme ausprobieren - also in eine Richtung gehen und dann in die komplett andere, um zu sehen, was passiert. Wir müssen alles erst verstehen, weil das Auto komplexer ist."
Jean-Eric Vergne: "Unser Ziel war es noch nicht, die perfekte Balance zu finden, sondern einfach unsere Liste abzuarbeiten und so viele Erkenntnisse wie möglich zu gewinnen."
Caterham: 318 Runden - Bestzeit: 1:21,105 (10. Charles Pic)
Der CT03 ist nicht gerade ein Ästhet. Giftgrün, mit hässlicher Stufennase und neuartiger Auspuff-Lösung. Nach dem Endrohr soll ein Kanal die Luft gezielt Richtung Bodenplatte leiten. Ausgerechnet die übermächtigen Rennställe zweifelten die Legalität an. Meist ein guter Indikator für interessante Gedanken. Vorne mitmischen wird man deshalb nicht, das Mittelfeld scheint außer Reichweite.
Zumindest enteilte Caterham - nach den Eindrücken von Jerez - Marussia. Die Zuverlässigkeit ist übrigens vielversprechend. Mit umgerechnet über 1.400 Kilometer absolvierte man mehr als McLaren, Ferrari oder Lotus. Der Grundstein für die folgende Entwicklungsarbeit.
Charles Pic: "Ein Schlüssel war es, das Maximum aus dem KERS herauszuholen. Wir haben definitiv Fortschritte gemacht."
Giedo van der Garde: "Wir konnten Abläufe und Setup-Optionen bei den unterschiedlichen Reifen testen. Darauf werden wir uns weiter konzentrieren."
Marussia: 220 Runden - Bestzeit: 1:21,226 (11. Luiz Razia)
"Die größte Befriedigung ist vielleicht, dass wir in ganz anderer Verfassung sind als im Vorjahr." Tja, da ist Teamchef John Booth nicht zu widersprechen. Die Messlatte liegt unterirdisch tief: 2012 hatte Marussia vor dem Melbourne-Trip gerade mal 100 Kilometer. Gewissermaßen wurde in Jerez die Laufleistung verzehnfacht. Unverändert hoch ist jedoch der Frustpegel.
Selbst im fünften Jahr läuft nichts zusammen. In Jerez offenbarten sich unzählige Missstände. Mit Timo Glock verlor Marussia einen Leader. Er arbeitete intensiv an der technischen Grundlage, trieb die Entwicklung voran. Die unerfahrenen Paydriver Max Chilton und Luiz Razia bringen Millionen, können jedoch kaum Input liefern. So kann sich die unmittelbare Konkurrenz absetzen.
Luiz Razia: "Ich habe mein Leben lang auf diese Gelegenheit hingearbeitet. Wir werden ein paar schwere Zeiten haben. Wenn wir uns da durcharbeiten, kommt am Ende etwas Gutes heraus."
John Booth: "Es lief nicht frustfrei. Das gehört zu den Tests vor der Saison dazu. Wir sind natürlich darauf aus, jedes Problem mit dem Paket so früh wie möglich zu entdecken, um es zu beseitigen."
Der Formel-1-Kalender im Überblick
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