NFL

Das Treffen alter Bekannter

Von Stefan Petri
Die 49ers mit Colin Kaepernick peilen Super-Bowl-Titel Nummer sechs an
© getty

In der Nacht auf Freitag geht es endlich wieder los: Die Denver Broncos empfangen den Super-Bowl-Champion aus Baltimore. Werden die Ravens ihren Titel verteidigen? Was machen die Altmeister aus Denver und New England? Und warum könnten die Überraschungen in diesem Jahr ausbleiben? SPOX checkt die Favoriten auf die Vince Lombardy Trophy.

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Mit Favoritenchecks ist das ja immer so eine Sache, gerade in der NFL. Man kann sich darauf verlassen, dass die üblichen Protagonisten - Brady, Manning, Rodgers - die Playoffs erreichen, dazu gesellen sich dann starke Defenses und das eine oder andere Überraschungsteam.

Anhand von den Ergebnissen der letzten Saison, Trades, dem Draft, neuen Coaches, einer exzessiven Statistik-Analyse und der Größe der Frühstücksflocken auf den Tellern der Offensive Line lassen sich dann durchaus mehr oder weniger selbstbewusst Favoriten für die neue Saison proklamieren. Nur um zu sehen, wie Formschwächen, Verletzungen und vermasselte Field-Goal-Versuche das Ganze als Pinata-Spiel entlarven (was im One-And-Done-Format in den Playoffs passiert, steht dann nochmal auf einem anderen Blatt - siehe Flacco, Joe).

Bevor hier also teils sicherlich hanebüchene Vorhersagen getroffen werden, bietet es sich an, einen kurzen Rückblick auf den Favoritencheck der vergangenen Saison zu wagen.

Bleibt festzuhalten: Drei der vier Teams in den Championship Games finden sich unter den genannten Favoriten, auch Atlanta wurde kurz erwähnt - stark! "Nach Jahren des 'irgendwie-nahe-dran-Seins' sind die Ravens reif für den großen Wurf" mutet im Rückblick geradezu prophetisch an! Andererseits bleiben auch nur solche Vorhersagen im Gedächtnis. Die Eagles? 4-12, Baby! "Die Saints könnten das erste Team werden, das im eigenen Stadion den Super Bowl gewinnt." Ja gut...fast.

Eines vorweg: Überraschungsteams haben es vor der Saison nicht unter die Favoriten geschafft. Die Playoff-Teams des Winters stehen größtenteils stabil, die zweite Garde direkt dahinter hat den Sprung nicht geschafft - zumindest auf dem Papier. Darüber hinaus fehlten in diesem Draft die überragenden Quarterbacks, die die Geschicke eines Teams in ihrer ersten Saison auf den Kopf stellen können - zumindest auf dem Papier. Überraschungsteams wird es auch in diesem Herbst wieder geben (Chiefs? Eagles? Kommen die Saints zurück?), aber die Creme de la Creme des letzten Jahres wird wohl auch 2013 wieder ganz oben landen - genau, zumindest auf dem Papier.

Baltimore Ravens: "To be the man, you gotta beat the man." - das wusste schon ein gewisser Richard Morgan Fliehr. Dementsprechend muss man die Ravens um Super-Bowl-MVP Joe Flacco auch in diesem Jahr wieder zu den Favoriten zählen. Dennoch gibt es Fragezeichen, und zwar reichlich: Kann man den Abgang von Ray Lewis und Ed Reed verkraften?

Defensiv-Ikone Lewis verabschiedete sich mit seinem zweiten Ring in den Sonnenuntergang, Reed unterschrieb nach elf Jahren bei den Houston Texans. Paul Kruger, Bernard Pollard? Weg. Außerdem wurde Playoff-Held Anquan Boldin für einen kümmerlichen Sixth-Round-Pick an die 49ers abgegeben. Aber Vorsicht: Die Defense um Nose Tackle Haloti Ngata und LB Terrell Suggs ist immer noch stark, außerdem fiel den Ravens Elvis Dumervill förmlich in den Schoß.

Trotzdem verschiebt sich in Maryland der Fokus langsam aber sicher auf die Offensive. Flacco hat nach seinen Postseason-Heroics einen 120-Millionen-Dollar eingesackt - die Franchise baut darauf, dass aus dem soliden Regular-Season-Quarterback "Joe Cool" langfristig der "Bazooka Joe" des Januars wird. Boldin ist weg, Tight End Dennis Pitta fällt die ganze Saison aus, der Fokus liegt jetzt also noch mehr auf Torrey Smith und Wide Receiver/Punt Returner Jacoby Jones.

Mit Brandon Stokley aus Denver und Ex-Manning-Spielzeug Dallas Clark kommen neue Optionen dazu, das Backfield ist mit Ray Rice und Bernard Pierce immer noch exzellent besetzt. Lardarius Webb wird nach seinem Kreuzbandriss wieder in der Secondary wüten, und dann hat man mit Coach John Harbaugh immer noch einen Fuchs am Whiteboard. Fazit: Die Ausfälle wurden größtenteils adäquat ersetzt, die Ravens kommen genau so weit, wie Flacco sie trägt. Favorit auf den Titel sind sie nicht - aber das waren sie im letzten Jahr ja auch nicht.

San Francisco 49ers: Immer wieder erstaunlich, wie wenig oft zum ganz großen Triumph fehlt: 1st and Goal hatte die Offense unter Colin Kaepernick sieben Yards vor der Endzone, zwei Minuten vor Schluss, eigentlich eine fantastische Ausgangsposition - aber es sollte nicht reichen. So stand am Ende der erste verlorene Super Bowl der Franchise-Geschichte zu Buche.

Die Chance auf Wiedergutmachung ist da, bei den Buchmachern ist das Team aus Kalifornien Favorit. Mit Kaepernick hat man vielleicht "den" Prototypen eines neuen Quarterbacks under Center: Raketenarm, schnelle Beine, starke Physis - alles da. Nicht umsonst schwärmte ein Experte, dass CK7 einer der besten QBs aller Zeiten werden könnte, nach gerade einmal zehn Career Starts wohlgemerkt. Nicht mehr da ist jedoch Backup Alex Smith, der zu den Chiefs geflüchtet ist. Zu viel Read-Option könnte sich also rächen.

Die vielleicht am besten geführte Franchise der Liga bietet aber auch neben Kaepernick ganz großes Kino. Von fantastischem Lineplay ausgehend sind die 49ers auf beiden Seiten einfach unglaublich stark. Ein kleines Fragezeichen steht hinter Running Back Frank Gore, der mit 30 Jahren möglicherweise im Herbst seiner Karriere angekommen ist. Wide Receiver Michael Crabtree, der unter Kaepernick aufgeblüht war, fällt zudem verletzt aus.

Mit Tight End Vernon Davis und dem Ex-Raven Anquan Boldin steht man auf dieser Position aber immer noch gut da. Die Defensive, angeführt von Aldon Smith (33,5 Sacks in seinen ersten zwei Jahren in der Liga - Rekord!) und Justin Smith wird den Gegnern wieder jede Menge Kopfzerbrechen bereiten, die Secondary wurde mit Nnamdi Asomugha verstärkt. In einer starken Division und Conference stechen die 49ers noch einmal heraus, ein zweiter Super Bowl in Folge wäre keine Überraschung.

New England Patriots: Schaut man sich die Vorhersagen zu den Patriots an, dann ist von einem Titel bis zum Verpassen der Playoffs buchstäblich alles dabei. Auf dem Papier ist das Team aus Foxboro zumindest in der Offensive ein ganzes Stück schwächer als im letzten Jahr: Die Tight-End-Combo aus Rob Gronkowski und Aaron Hernandez, die in der NFL neue Maßstäbe setzte, ist zerrissen: "Gronk" musste Operation um Operation über sich ergehen lassen - ob er die Saison durchhält, ist mehr als fraglich.

Hernandez sitzt als Hauptverdächtiger in einem Mordfall im Gefängnis und wird wohl nie wieder Football spielen. Dazu ist auch noch Wes Welker zu den Broncos abgewandert. Trotzdem: Mit Bill Belichick und Tom Brady ist alles möglich. In den letzten drei Jahren machten die Pats durchschnittlich nie weniger als 32 Punkte pro Partie - glaubt da ernsthaft jemand daran, dass die oben genannten Protagonisten nicht wieder ein paar wuselige Passfänger aus dem Hut zaubern werden?

Mit Danny Amendola hat man schon Wes Welker 2.0 unter Vertrag genommen, das Running Game mit Shane Vereen und Stevan Ridley könnte sich zudem als große Waffe herausstellen. Eine Offense unter Tom Brady, die nicht klickt? Kaum vorstellbar. Da sollte man sich also keine so großen Sorgen machen.

In der Defense bringt Koloss Vince Wilfork wohl weiterhin die Rushes der Gegner zum Erliegen, dazu hat das Team in den letzten Jahren ein feines Näschen dafür bewiesen, Turnover zu produzieren. Schwächen gibt es in der Secondary, da fehlen die Playmaker.

Trotzdem: In einer suspekten Division mit den Bills, den Jets und den Dolphins wäre alles andere als ein souveräner Division Title eine große Überraschung. Ob es mehr wird, hängt hauptsächlich von Brady ab, der in den letzten Jahren in den Playoffs nicht immer fehlerfrei war. Andere Teams haben mehr Talent zur Verfügung - es wird schwer.

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