NFL

Manning läuft die Zeit davon

Von Stefan Petri
Seine Zeit läuft ab: Ist Peyton Manning mit 37 noch gut genug für den Titel?
© getty
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Gehirnerschütterungen, die dunkle Seite der NFL: Die NFL boomt. Einschaltquoten und Fernsehverträge stellen regelmäßig neue Rekorde auf, auch international expandiert man fleißig. Aber ein Damoklesschwert baumelt über dem Imperium von Commissioner Roger Goodell: Die Gesundheit der (Ex-)Spieler, gebeutelt durch viel zu lange verharmloste Gehirnerschütterungen.

Wie schädlich diese für die langfristige Gesundheit der Spieler sind, kam erst in den letzten Jahren scheibchenweise ans Licht - und es gibt jede Menge Hinweise darauf, dass die Liga rote Flaggen in dieser Hinsicht ignoriert und sogar unter den Teppich gekehrt hat.

Mittlerweile hat man im Front Office der NFL reagiert: Receiver, die sich nicht verteidigen können, werden besser geschützt, die Defense darf nicht mehr mit dem Helm voraus tackeln, Kickoffs wurden auf die 35-Yard-Linie verschoben. "Ich werde alles tun, um das Spiel sicherer und besser zu machen", versprach Goodell im Februar. Die Fehler der Vergangenheit lassen sich jedoch nicht rückgängig machen.

NFL-Doktor ohne Expertise

Denn die NFL macht weiter negative Schlagzeilen: Vor wenigen Tagen ist Elliot Pellman, der langjährige Vorsitzende des Medizinischen Komitees der NFL, in die Schlagzeilen geraten. Laut einem Bericht von "ESPN" war Pellman fast zehn Jahre lang Leibarzt des früheren Commissioners Paul Tagliabue. Daneben erlaubte er es als Teamarzt der New York Jets seinen Spielern, trotz Gehirnerschütterung weiterzuspielen - eine Praxis, die die Liga mittlerweile verboten hat.

Ein Sprecher der NFL dementierte, dass Pellman, der als Rheumatologe per se keine Expertise in Sachen Hirnschäden aufweist, den Job wegen seiner guten Kontakte zu Tagliabue bekommen habe. Trotzdem: "Das ist ein Punkt, der der NFL in punkto Prozess einen Mordsschrecken einjagen sollte", zitiert "ESPN" einen Sportrecht-Experten. Pellman hatte Studien über die Gefahren von Football in seiner Funktion für die NFL diskreditiert und in eigenen Studien mögliche Hirnschäden verharmlost.

Fernsehsender unter Druck gesetzt?

Damit nicht genug: Football ist nicht nur für die Liga (neun Milliarden Dollar Jahresumsatz) ein Goldesel, auch die Fernsehsender hängen am Tropf der beliebtesten Sportart der USA. Wenige Tage später gab "ESPN" bekannt, dass man die Zusammenarbeit mit der öffentlichen Senderkette "PBS" aufgekündigt habe. Die war gerade dabei, zusammen mit dem "Worldwide Leader" eine Dokumentation über das Thema Gehirnerschütterungen zu produzieren, ein erster Trailer verhieß nichts Gutes.

Ein Artikel der "New York Times" behauptet nun, Goodell habe sich mit den "ESPN"-Bossen getroffen und Druck auf diese ausgeübt. Kurze Zeit später habe der Sender das Projekt verlassen. Dieser bestätigte das Treffen, wies die Anschuldigungen aber zurück und gab andere Gründe an - man würde ja selbst kritisch über Football berichten. Ein fader Nachgeschmack bleibt dennoch.

Auch in Sachen Regeln und deren Ausführung gibt es noch genügend Nachholbedarf. Attacken gegen wehrlose Spieler ziehen zu selten Sperren nach sich, sondern nur geringe Geldstrafen - und die haben noch nie etwas bewirkt. Zudem gibt es mittlerweile Helme auf dem Markt, die das Risiko einer Gehirnerschütterung erwiesenermaßen senken - nur denkt die Liga nicht daran, sie vorzuschreiben. So kann man nur sagen: Das Geschäft boomt, aber der große Knall ist nur noch eine Frage der Zeit.

Milliardenklage durch Vergleich abgewendet

Am Donnerstag wurde nun bekannt, dass eine Sammelklage von über 4500 ehemaligen NFL-Profis nach monatelangen Verhandlungen durch einen vorläufigen Vergleich beendet wurde. Die Spieler, von denen viele an Alzheimer, Demenz oder anderen Krankheiten leiden, beschuldigten die Liga, jahrelang gewusst zu haben, wie gefährlich etwa eine mangelhafte Behandlung von Gehirnerschütterungen sei. Es ging um Fahrlässigkeit, Verdrehung der Tatsachen, bis hin zu Betrug.

Das Ergebnis: Die NFL zahlt über einen Zeitraum von 20 Jahren insgesamt 675 Millionen Dollar an Ex-Spieler oder ihre Angehörigen, Einzelpersonen können je nach Krankheitsbild bis zu fünf Millionen Dollar bekommen (bei Alzheimer). Dazu fließen weitere Millionen Dollar in medizinische Tests und die Forschung. Jeder Ex-Profi kann frei entscheiden, ob er sich diesem Vergleich anschließt und nach eingehenden Tests eine gewissen Summe bekommt. Außerdem zahlt die Liga die beträchtlichen Anwaltskosten beider Seiten.

NFL kauft sich frei

Welche Schlagweite hat diese Entscheidung? Wenn beide Seiten annehmen, ist es nichts anderes als ein Kantersieg für die Liga. Bei einem Prozess - der sich wohl jahrelang hingezogen hätte - und einer Entscheidung zugunsten der Kläger rechneten Experten mit Strafzahlungen in Höhe von mehreren Milliarden Dollar. Selbst wenn die Rechnung am Ende insgesamt an einer Milliarde kratzt, dann zahlt jedes Team in 20 Jahren etwa 30 Millionen Dollar. Und das bei einem jährlichen Umsatz, der in den nächsten fünfzehn Jahren auf mindestens 25 Milliarden Dollar steigen soll.

Um das mit Abstand größte Problem der NFL aus der Welt zu schaffen, ist das eine geradezu lächerlich geringe Summe. Dazu hält das Urteil ausdrücklich fest, dass es sich trotz der Zahlungen nicht um ein Schuldeingeständnis handelt. Und die Liga muss ihre Bücher nicht zeigen und offenlegen, was sie wusste - wer weiß, was in einem Prozess ans Licht gekommen wäre.

Für die kranken Ex-Profis und ihre Familien, die das Geld jetzt brauchen und sich einem jahrelangen Rechtsstreit ohne Garantie auf Erfolg gegenübersahen, ist es immerhin etwas. Zudem sind nicht alle der ca. 18.000 früheren Footballer betroffen, weitere Klagen werden also folgen. Trotzdem ist das so kurz vor Saisonstart ein enorm wichtiger Etappensieg für die Teams und Goodell. Den großen Knall haben sie erst einmal abgewendet.

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