Vier außen, einer drin - und null Identität

Haruka Gruber
26. Februar 201321:45
Vince Carter kommt ungehindert zum Wurf - World Peace, Howard und Kobe (v.l.) sind zu weit wegimago
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Mit aller Macht und Blockbuster-Deals planten die Los Angeles Lakers die Übernahme des NBA-Throns. Doch trotz guter Ansätze wie beim Erfolg bei den Dallas Mavericks bleiben sie die große Enttäuschung. Zuletzt setzte es in Denver die nächste Niederlage. Woher kommt die Schwäche der individuell so überragend besetzten Mannschaft? Die Taktik-Analyse mit Ex-Bundestrainer Dirk Bauermann.

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Teil I: Die Suche nach Identität

Ein literarisches Denkmal: 2005/06 begleitete der Journalist Jack McCallum für eine gesamte Saison die Phoenix Suns und dokumentierte das Wirken des Trainers Mike D'Antoni, der mit der Idee des radikal-fundamentalistischen Offensiv-Basketballs die NBA veränderte. Der Buchtitel ":07 Seconds or Less" ist D'Antonis Mantra des schnellen Spiels, welches selbst bei der mäßig beeindruckenden Arbeit in New York zu erkennen war.

Bei den Lakers allerdings sind auch drei Monate nach Amtsübernahme nicht einmal Restspuren vom früheren D'Antoni-Basketball vorhanden. "Die Lakers haben noch keine Identität gefunden. Wenn man die Spieler fragen würde, wie sich die Mannschaft definiert, gibt es als Antwort vermutlich ein vielstimmiges Konzert, aber keine einheitliche Meinung. Indifferenzen in den Köpfen bilden sich immer auf dem Spielfeld ab", sagt Dirk Bauermann.

Die Indifferenzen in den Köpfen, also die Unschlüssigkeit der Spieler, macht Bauermann an einem Kernfaktor fest: die Zeit.

"Der Mannschaft merkt man deutlich an, dass sie sich im Prozess befindet. Sie wurde massiv verändert, unter anderem auf den zwei entscheidenden Positionen, der des Point Guards und des Centers", sagt der polnische Nationalcoach und ehemalige Bundestrainer.

"Umso wichtiger wäre eine Vorbereitungsphase gewesen. Durch den Trainerwechsel von Mike Brown zu D'Antoni wurden mitten in der Saison teils komplett neue Offensiv- und Defensivsysteme eingeführt. Nimmt man die Verletzungen hinzu, wird es fast unmöglich, Stabilität und eine Chemie zu entwickeln."

Obwohl die Lakers weit entfernt davon seien, mit dem Tempo der damaligen Suns zu spielen, gäbe es eine Gemeinsamkeit: die Grundformation in der Offensive, so etwas wie D'Antonis Signatur (siehe Diashow). "Als europäisch geprägter Trainer bevorzugt er ein Setplay mit vier Spielern draußen und nur einem Spieler innen. Der Innenspieler geht dabei häufig mit raus und bietet sich dem ballführenden Außenspieler für das Pick'N'Roll an. Diese massive Orientierung auf Pick'N'Roll-Situationen ist typisch für D'Antoni", sagt Bauermann und erinnert sich an dessen Zeit in Europa als Spieler.

"Ende der 80er Jahre beobachtete ich als Leverkusens Co-Trainer ein Spiel zwischen Saturn Köln und Olimpia Mailand mit D'Antoni als Point Guard. Mailand praktizierte den klassischen 'Vier außen, einer innen'-Basketball und D'Antoni lief mit Center Dino Meneghin einen hohen Pick'N'Roll nach dem anderen. Beide waren nicht zu stoppen und machten Mailand zur damals überragenden Mannschaft der 80er Jahre."

Jene "Vier außen, einer innen"-Formation erfordert jedoch besonders für die Big Men ein taktisch gut geschultes Verhalten: "Meneghin war nicht so groß, dafür ein Bulle von Mann, der unglaublich clever war und ein hervorragendes Timing für das Pick'N'Roll besaß." Diese Sicherheit fehlt den Großen der Lakers. Selbst der in Europa ausgebildete Pau Gasol fühlt sich unbehaglich, was in vielen Situationen sichtbar ist (siehe Diashow).

"An Gasol lässt sich am besten illustrieren, wie schwierig offenbar die Umstellung verläuft. Er besitzt einen guten Wurf und kann den Dreier treffen. Wobei er am effektivsten am linken Block ist, wenn er in eine Post-Up-Position gebracht wird. Nur bekommt er dort relativ selten den Ball, weil das taktisch nicht vorgesehen ist", sagt Bauermann.

Daher bietet D'Antoni seit der Gasol-Verletzung mit Earl Clark oder Metta World Peace zwei Small Forwards als Power Forwards auf, weil diese eher dem "Vier außen, einer innen"-Schema entsprechen. Dass die Lakers deswegen von Gasols Ausfall sogar profitieren könnten, verneint Bauermann dennoch: "Systematisch passen Clark und World Peace besser rein. Aber Gasol ist individuell so gut, dass man Wege finden kann, um ihn erfolgreicher einzubinden. Addition durch Subtraktion funktioniert lediglich in den allerseltensten Fällen."

Teil I: Die Suche nach Identität

Teil II: Kobe Version 2013

Teil III: Die Defense - Zeugnis der Misere

Teil IV: Dwight Howard als Hemmschwelle

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Teil II: Kobe Version 2013

Die Lakers - ein Team aus unzähligen Superstars? Nein! Aus statistischer Sicht ist es ein Team bestehend aus nur einem Superstar: Kobe Bryant. Er mag zwar in diesem Sommer 35 Jahre alt werden, doch seine Leistungen sind die eines Spielers in der Blüte - gepaart mit dem Wissen eines Veteranen.

"Kobe war schon immer eine Blaupause von Michael Jordan. Das konnte man bereits in seiner Rookie-Saison erkennen, als selbst seine Haltung des Kopfs an ihn erinnerte. Und genau wie Jordan veränderte Kobe mit dem Alter sein Spiel. Er zeigt eine immense Reifung und ist nicht mehr immer im Non-Stop-Attack-Modus, sondern agiert mehr von außen", sagt Bauermann.

"Kobes Variabilität ist unglaublich: Mittlerweile sind auf die Post-Up-Moves und den Dreier genauso Verlass wie auf den Drive. Dazu gibt er in dieser Saison so viele Assists, im Bestreben herauszufinden, wie er der Mannschaft am besten helfen kann. Er ist nicht mehr der reine Scorer, sondern ein Facilitator. Einer, der Dinge in Gang setzt." (siehe Diashow)

Die Zahlen: Kobe trifft trotz intensiver Bewachung so gut aus dem Feld wie nie (47,0 Prozent), verwandelt ordentliche 32,9 Prozent der Dreier - und verteilt 5,6 Vorlagen, so viele wie seit 2005 nicht mehr. In den letzten 16 Spielen beträgt der Assistschnitt sogar 7,5.

Die Kehrseite: Die Lakers verfügen über 6 aktuelle oder ehemalige All Stars - zugleich ist kaum eine NBA-Mannschaft derart angewiesen auf einen einzigen Spieler, weil dieser scort, passt und lenkt. Bauermann: "Kobe den Ball in die Hand zu geben, ist verständlich. Das Problem: Die anderen Mitspieler stehen häufig herum und lassen Kobe machen. Es gibt kein Gleichgewicht."

Vor allem der neu verpflichtete Spielmacher Steve Nash dürfte sich abkömmlich fühlen. Häufiges Muster: Nash trägt den Ball nach vorne, aber muss diesen sofort weiterpassen, wenn er die Mittellinie übertritt. Statt den Angriff zu organisieren, verharrt er an der Dreierlinie und wartet auf den Pass, um den offenen Wurf nehmen zu dürfen (siehe Diashow). Der beste Point Guard der letzten Dekade verkommt bei den Lakers immer mehr zum reinen Spot-Up-Shooter (siehe Diashow), so dass seine Dreierquote im Vergleich zum Vorjahr in Phoenix zwar steigt (von 39,0 auf 43,2 Prozent), dafür die Assists deutlich sinken (von 10,7 auf 7,1).

Ein Grund, Nash nicht walten zu lassen, könnte laut Bauermann die fehlende Abstimmung mit den Mitspielern sein. "Ein Spieler wie Kobe kommt in jeder Mannschaft der Welt zurecht, weil er die anderen nicht benötigt. Er spielt sozusagen ein Spiel im Spiel", sagt Bauermann.

"Ein Passkünstler wie Nash braucht hingegen ein Gefühl für das Kollektiv: Soll ich den Pass 5 Zentimeter höher oder tiefer spielen? Wie nah muss Dwight Howard am Korb stehen, damit sich ein Pass rentiert? Wie überraschend darf ein Zuspiel kommen, ohne jemandem die Nase zu brechen? Ohne diese Sicherheit kann Nash nie so spielen, wie wir es von ihm gewohnt sind."

Teil I: Die Suche nach Identität

Teil II: Kobe Version 2013

Teil III: Die Defense - Zeugnis der Misere

Teil IV: Dwight Howard als Hemmschwelle

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Teil III: Die Defense - Zeugnis der Misere

Bei aller Abhängigkeit von Bryant im Angriff - die Offense ist nicht das Grundübel der Lakers. Bei den erzielten Punkten (6.) und bei der Feldwurfquote (8.) gehören sie sogar zu den besseren NBA-Teams.

In der Verteidigung hingegen zählt L.A. mit zu den miesesten der Liga: 23. bei den gegnerischen Punkten, 21. bei den Steals - und trotz Howard nur 12. bei den Blocks. "Die Lakers haben in der Substanz Probleme und das bildet sich in der Defense ab. Einerseits fehlt der kollektive Stolz. Andererseits gibt es dafür auch taktische Gründe", sagt Bauermann und führt den 39-jährigen Nash heran.

"Er ist nach wie vor ein begnadeter Spielmacher mit dem dritten Auge. Doch er war selbst zu seinen besten Zeiten athletisch limitiert, weswegen ihn die Coaches in der Verteidigung immer verstecken mussten. Die athletischen Grundlagen fehlen nun fast komplett, weswegen Nash die Lakers-Defense häufig entblößt. Die NBA ist mittlerweile so Aufbauspieler-orientiert, dass du den gegnerischen Point Guard vor dir halten musst. Stattdessen machen die Gegner Nash als Schwachpunkt aus und laufen Pick'N'Rolls, weil sie wissen, dass er endlos lange in den Blocks hängenbleibt. So klaffen Löcher, die auf Dauer nicht zu stopfen sind." (siehe Diashow)

Bezeichnend für den Fehler im System sei es, dass selbst Bryant hin und wieder den gegnerischen Point Guard deckt, um Nashs Schwächen zu kaschieren, obwohl er seine Kraft für den Angriff sparen sollte. Bauermann: "Das kann nicht sein."

Ein entscheidende Frage: Wer sonst soll Nash defensiv entlasten? Howard könnte von den physischen Voraussetzungen der vielleicht beste NBA-Help-Defender überhaupt sein, aber ihm fehlt die Fitness - und die letzte Opferbereitschaft und Motivation, den Mitspielern zu helfen (siehe Diashow).

"Ich sehe in der Mannschaft einfach keinen Beißer, der die anderen mit seiner Defense mitreißt. Da zeigt es sich, dass der Kader alt ist und viele versuchen, sich mit einem halbwegs vernünftigen Energiemanagement auf die spielentscheidenden Situationen zu konzentrieren", sagt Bauermann.

Selbst World Peace, Defensive Player of the Year 2004 und 2009 immerhin noch ins All-Defensive Second Team berufen, sei niemand, der ein Anker in der Verteidigung ist und Nash entlastet (siehe Diashow). Bauermann: "Mittlerweile ist World Peace eine stark gezähmte Version von Ron Artest. Wenn er sich danach fühlt, kann er ein dominanter Eins-gegen-Eins-Verteidiger sein. Wobei ich ohnehin nie als einen starken Mannschaftsverteidiger gesehen habe. Dafür benötigt man einen hohen Basketball-IQ: Wie funktioniert eine Defense? Welche Winkel gibt es? Wann muss ich den Mitspielern helfen?"

Vor allem mangelt es World Peace an der Hingabe, selbst schlecht auszusehen. "Einen willigen Mannschaftsverteidiger erkennt man daran, wie er sich verhält, wenn der direkte Gegenspieler ohne Ball auf der Weakside, der ballentfernten Seite, steht. Ein williger Mannschaftsverteidiger rutscht deutlich zur anderen Seite, um näher am Ballführenden zu sein, um frühzeitig auszuhelfen", sagt Bauermann.

"Es gibt allerdings viele Profis, die das nicht machen. Sie wollen keine Fouls riskieren, weil es ihrer Spielzeit schadet. Stattdessen wollen sie Rebounds für die Statistik sammeln. Daher orientieren sie sich am direkten Gegenspieler, bleiben an der ballentfernten Weakside und hoffen darauf, dass der Ballführende verwirft. Denn 70 Prozent aller verworfenen Würfe fallen auf der anderen Seite des Korbs runter - und wenn man den direkten Gegenspieler ausboxt, greift man sich einen leichten Rebound ab und sieht selbst gut aus."

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Teil IV: Dwight Howard als Hemmschwelle

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Teil IV: Dwight Howard als Hemmschwelle

Dwight Howard, das Lakers-Enigma. Er sollte aus den Lakers die zweite NBA-Macht neben den Miami Heat machen, stattdessen weiß in L.A. niemand so recht, was man vom vermeintlich besten Center der Welt halten soll.

Ist er noch immer angeschlagen, weswegen er seine übermenschliche Physis nur für kurze Perioden in Leistungen umwandeln kann? Oder fehlt ihm der Output, weil er von seinen Mitspielern geschnitten wird, die ihn wahlweise für einen Störenfried, einen Faulpelz oder ein Weichei halten? Entsprechende Insider-Berichte gibt es zuhauf.

"Howard macht den Eindruck, als ob er unter einer Glocke spielt. Häufig sehnen sich Superstars nach einer Komfort-Zone, in der sie sich sicher sind, wie viele Minuten sie spielen und wie viele Würfe sie bekommen. Ohne diese Sicherheit sind sie unglücklich", sagt Bauermann.

Vom Zwischenmenschlichen abgesehen könnte es jedoch auch taktische Gründe geben, die erklären, warum selten Angriffsspielzüge für Howard gelaufen werden und er daher so teilnahmslos wirkt. So kommt das von D'Antoni besonders akzentuierte Pick'N'Roll Howard nicht gelegen: "Er ist kein klassischer Center, der in einer fließenden Bewegung zum ballführenden Mitspieler läuft, fließend einen Block setzt und sich fließend abrollt. An der Dreierlinie kommt er sich verloren vor. Stattdessen fühlt er sich in statischen Brettsituationen deutlich wohler, bei denen er angespielt wird und sich direkt am Brett durchsetzt." (siehe Diashow)

Umso verwunderlicher ist es, dass Howard in der Offensive spärlich eingebunden wird. Im Vergleich zum Vorjahr in Orlando nimmt Howard über 3 Würfe weniger pro Spiel (von 13,4 auf 10,3), und die wenigen Versuche ergeben sich häufig aus selbst erarbeiteten Offensiv-Rebounds.

Dabei wäre die "Vier außen, einer innen"-Ausrichtung wie geschaffen, um über Howard einfache Punkte zu erzielen: Die vier Mitspieler binden ihre Gegenspieler an der Dreierlinie, so dass Howard in der Mitte gegen den in der Regel deutlich unterlegenen gegnerischen Center das One-on-One suchen kann.

"Dass Howard dennoch so selten angespielt wird, muss mit etwas Tiefergehendem zusammenhängen, welches über Ressentiments hinausgeht. Sehr wahrscheinlich fehlt den Mitspielern wegen Howards Freiwurfschwäche das Urvertrauen in ihn", sagt Bauermann (siehe Diashow) und verweist auf selbst Erlebtes.

"In Leverkusen trainierte ich Tony Dawson, einen unglaublich guten Flügelspieler, der in der NBA ein paar Spiele machen durfte und in der Bundesliga scorte, wie er wollte, egal ob er von drei Mann bewacht wurde. Ich hatte nur einen Konflikt mit ihm: Wenn der gegnerische Center zu ihm rotierte, um ihn beim Wurf zu stören, gab er den Ball nie an unseren Center Sascha Hupmann ab, obwohl er komplett frei stand", erinnert sich Bauermann.

"Ich fragte Tony: 'Warum passt du nicht und lässt Sascha dunken? Dann machst du ihn glücklich und er rackert für dich im Gegenzug in der Defense.' Seine Antwort: 'Coach, ich sehe es anders: Selbst wenn ich von mehreren Gegenspielern verteidigt werde, ist die Chance größer zu punkten, als wenn ich Sascha anspiele. Wenn er beim Wurf gefoult wird, trifft er höchstens einen von zwei Freiwürfen.' So ist die normale Logik eines Spielers. Und so entstehen Hemmschwellen, die sehr problematische Prozesse in einer Mannschaft einleiten, weil der Center lediglich 50 Prozent der Freiwürfe trifft. Dabei braucht Howard das Gefühl, dass man auf ihn setzt, sonst wird es nichts mehr mit den Lakers. Wenn er weiter so wenige Würfe bekommt, geht er irgendwann in die innere Immigration."

Teil I: Die Suche nach Identität

Teil II: Kobe Version 2013

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Teil IV: Dwight Howard als Hemmschwelle

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