Es ist Eröffnungsabend im Old Trafford. Vor dem ersten Spiel der Premier-League-Saison von Manchester United gegen die Wolverhampton Wanderers versammeln sich am Montag zahlreiche Menschen vor dem Stadion, um gegen die Glazers zu protestieren, die Eigentümer des Klubs. Unter Verweis auf den laufenden Verkaufsprozess fordern die Fans die US-amerikanische Familie auf, "United zu verkaufen und sich nach Hause zu verpissen".
Es wurde jedoch noch ein weiterer Protest angestimmt. Zu einem Thema, zu welchem die Fans bisher nicht öffentlich Stellung bezogen hatten: der Zukunft von United-Profi Mason Greenwood. Der Verein hätte eigentlich schon vor Saisonbeginn bekanntgeben sollen, was mit dem suspendierten Stürmer geschehen wird.
Aber auch in dieser Hinsicht gab es kein Update.
Am Mittwochabend berichtete The Athletic, dass Manchester United seine Profimannschaft darüber informiert habe, dass Mason Greenwood in die Mannschaft zurückkehren wird. Wenige Minuten später veröffentlichte der Klub selbst ein Statement und erklärte, dass dieser Bericht falsch sei: Eine Entscheidung sei noch nicht getroffen worden.
Mason Greenwood: Die Welt wartet auf eine Entscheidung
Greenwood ist seit Januar 2022 von United suspendiert, als er aufgrund eines möglichen sexuellen Übergriffs, verhaftet wurde: entsprechende Bilder und Videos waren in den sozialen Medien veröffentlicht worden. Im Oktober 2022 wurde der Stürmer wegen versuchter Vergewaltigung, Überwachung, Nötigung sowie Körperverletzung angeklagt. Greenwood wies alle Vorwürfe zurück.
Alle Anklagen gegen ihn wurden im Februar 2023 von der Staatsanwaltschaft fallengelassen. In einer Erklärung hieß es: "Eine Kombination aus dem Rückzug wichtiger Zeugen und neuem ans Licht gekommenen Beweismaterial, bedeutete, dass es keine realistische Aussicht auf eine Verurteilung mehr gab". Noch am gleichen Tag kündigte United an, dass man eine eigene Untersuchung gegen Greenwood einleiten werde.
Sechs Monate später wartet die Welt weiterhin auf das Ergebnis dieser Untersuchung. Der Verein hat sich mit allen Beteiligten, einschließlich Sponsoren, dem Fanbeirat und dem Frauenteam beraten. Die jüngste erneute Verzögerung kam zustande, weil einige Spielerinnen des Frauen-Teams, die der Verein befragen wollte, aktuell bei der WM in Australien und Neuseeland im Einsatz sind. England wird dort im Finale auf Spanien treffen.
United schrieb in seiner Mitteilung: "Entgegen den Spekulationen in den Medien ist diese Entscheidung [um Greenwoods mögliche Rückkehr] noch nicht gefallen und ist derzeit Gegenstand intensiver interner Überlegungen. Die Verantwortung liegt letztlich beim Vorstandsvorsitzenden [Richard Arnold]."
Viele Fans boykottieren den Klub seit der umstrittenen Übernahme durch die Glazer-Familie im Jahr 2005. Falls sich United dazu entscheiden sollte, Greenwood wieder ins Team zu integrieren, werden viele weitere Fans dem Klub den Rücken kehren, den sie ihr ganzes Leben lang angefeuert haben.
Mason Greenwood: "Ich erwartete Führungsstärke von meinem Verein"
Zwei der Demonstrantinnen stehen zusammen mit den Anti-Glazer-Protestlern vor dem Old Trafford. Ihr Schild ist kleiner als die anderen Transparente um sie herum. Aber es sticht hervor, vor allem aufgrund der Botschaft. Sie lautet: "Überlasst die Entscheidung nicht dem Frauenteam, ihr rückgratlosen, mutterlosen F****n."
Die beiden Frauen stehen nicht in Verbindung mit der Initiative "Female Fans Against Greenwood", die über Twitter vergangene Woche eine eindringliche Mitteilung veröffentlichte. Sie forderten den Verein darin auf, Greenwood nicht wieder in den Kader aufzunehmen und riefen zum Protest auf.
Aber sie hatten den Eindruck, ihre Stimme erheben zu müssen. "Die Angelegenheit hätte schon viel früher abgeschlossen werden müssen, als es der Fall ist. Es gibt einen Prozess, der durchlaufen werden muss, aber das muss schneller gehen", sagte eine der Frauen, die anonym bleiben wollte, gegenüber SPOX und GOAL.
"Wenn etwas wirklich wichtig ist, wie wir bei Covid gesehen haben, kann man es verdammt schnell durchbringen. Die Organisationen haben keine Ausrede, um derart wichtige Angelegenheiten nicht schneller abzuschließen. Das hängt natürlich auch mit dem Verkauf zusammen und das verstehe ich. Aber das ist nicht gut genug, nicht schnell genug. Ich erwartete Führungsstärke von meinem Verein."
Mason Greenwood: Die Aufnahmen werden nicht verschwinden
Greenwood ist nicht der erste Fußballspieler, dem sexuelle Übergriffe oder Gewalt gegen Frauen vorgeworfen werden. Die meisten dieser Spieler konnten ihre Karriere fortsetzen, nachdem die Anklagen gegen sie fallengelassen wurden. Es gibt United-Fans, die sich ebenfalls in den sozialen Medien zu Wort melden und der Meinung sind, dass auch Greenwood seine Karriere fortsetzen sollten dürfte - weil keine Anklage mehr gegen ihn erhoben wird.
Dieses Argument zieht bei den Frauen, die vor dem Old Trafford stehen, nicht. Der entscheidende Unterschied im Fall Greenwood besteht darin, dass die Öffentlichkeit die Stimmen gehört und die Bilder gesehen hat, die zu seiner ersten Verhaftung im Januar 2022 geführt hatten. Ein einfacher Zugang zu Google reicht, um sich die Aufnahmen anzuhören, die Bilder anzusehen und seine eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Sollte Greenwood seine Karriere bei United fortsetzen dürfen, werden die Audio-Aufnahmen immer zugänglich sein, selbst wenn er eines Tages seine Karriere beendet.
Mason Greenwood: "Die Spieler sollten zur Verantwortung gezogen werden"
"Ja, mich haben die anderen Fälle ebenfalls sehr wütend gemacht. Aber dieser hat mich richtig tief getroffen", sagt eine der Frauen.
"Niemand kann mit dem Argument 'Wir waren nicht dabei' kommen, oder mit 'Woher wollen wir wissen dass es wahr ist?' Wir haben alles gesehen und gehört. Wenn wir mit einem so eindeutigen Fall nicht umgehen können, welche Hoffnung bleibt uns dann noch?"
Die Frau weiter: "Dieser Fall ist eine Gelegenheit, dieses Thema aufzubrechen und so mehr Sichtbarkeit und Verantwortlichkeit zu erreichen. Spieler sollten zur Rechenschaft gezogen werden. Das sind reiche, junge Männer, die denken, sie seien unantastbar. Aber das sind sie nicht - und das sollten sie auch nicht sein."
Mason Greenwood: "Eine kolossale Fehleinschätzung"
Neben der Besorgnis darüber, wie lange es gedauert hat, bis die Entscheidung bekannt gegeben wurde, sorgt auch die Art und Weise, wie der Verein diese kommuniziert hat, für Unverständnis. Die Andeutung, dass der Verein die Frauenmannschaft konsultiert habe, führte am Wochenende zu einer unglücklichen Situation.
Ein Social-Media Post von United, der den eigenen englischen Nationalspielerinnen zum Erreichen des WM-Halbfinales gratulierte, zog eine Flut an Pro-Greenwood-Reaktionen nach sich: Darin wurden die Frauen dazu gedrängt, sich für den Verbleib des Stürmers beim Verein einsetzten.
"Schockierend, eine kolossale Fehleinschätzung, schlecht gehandhabt wie so oft", so die Reaktion eines Fans im Gespräch mit SPOX und GOAL. "Ein weiteres Beispiel für schlechte Kommunikation und mangelndes Verständnis dafür, was das für die Fans und Spieler bedeutet, selbst wenn es nur ein Kommunikationsfehler war. Sie hätten das schnell und sorgfältig in Ordnung bringen müssen, aber das haben sie nicht getan."
Mason Greenwood: "Dann war's das für mich"
Während wir uns unterhalten, kommen ein Vater und sein Sohn auf die Frauen zu. "Danke für ihren Einsatz. Mein Sohn ist 15 und hat gerade zu mir gesagt: 'Ich kann nicht glauben, dass es überhaupt so weit gekommen ist.' Da sollte es keine zwei Meinungen geben", sagt der Vater.
Die Entscheidung steht weiter aus und die Verzögerungen haben zu Spekulationen geführt: Neigt United dazu, Greenwood wieder in den Kader zu integrieren? Sollte dies der Fall sein, werden die beiden aus Manchester stammenden weiblichen Fans dem Verein des Rücken kehren.
"Dann war's das für mich", sagt die Frau. Auf die Frage, ob sie noch andere kenne, denen es genauso gehe, zeigt sie auf ihre Freundin mit dem Schild und fügt hinzu: "Eine steht genau hier. Und es gibt andere, zumeist Frauen."
Auch von dem Frauenteam würde sie sich in dem Fall abwenden: "Das Problem liegt bei den Eigentümern. Ich bin dann definitiv weg."