Randale und Mislintat-Entlassung: Die Vorgeschichte zu Ajax Amsterdams Tiefpunkt

Von den wettbewerbsübergreifend ersten sieben Saisonspielen hat Ajax nur zwei gewonnen.
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Ajax Amsterdam hat am Sonntag einen historischen Tiefpunkt erreicht. Der Klassiker gegen Feyenoord Rotterdam wurde nach Fan-Randalen beim Stand von 0:3 abgebrochen, der deutsche Sportdirektor Sven Mislintat anschließend entlassen. Wie konnte es soweit kommen?

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Über den Vorplatz der Amsterdam Arena flogen Pflastersteine und Pyrofackeln, in der Luft waberte Tränengas. Berittene Polizisten versuchten die randalierenden Fans zu vertreiben - doch die schafften es über eingeschlagene Scheiben dennoch kurzzeitig in die Stadion-Räumlichkeiten. Spieler und Trainer harrten unterdessen in den Kabinen aus, Journalisten durften die Arena nicht verlassen.

Zuvor war der Klassiker gegen Feyenoord Rotterdam beim Stand von 0:3 in der 55. Minute abgebrochen worden- ob die Partie wiederholt, ohne Zuschauer zu Ende gespielt oder mit 3:0 für Feyenoord gewertet wird, soll sich am Montag entscheiden. Ajax-Anhänger hatten wiederholt Becher und Pyrofackeln auf den Platz geworfen, Gästefans waren wie bei den vorherigen Aufeinandertreffen der beiden Erzrivalen nicht zugelassen. Nach fünf Spieltagen hält Ajax bei lediglich fünf Punkten und ist nun Tabellen-14.

Ajax' deutscher Sportdirektor Sven Mislintat wurde anschließend nach nur vier Monaten im Amt entlassen. Der ehemalige Sportdirektor des VfB Stuttgart und langjährige Mitarbeiter von Borussia Dortmund hatte den Posten erst im Mai angetreten. Damals befand sich Ajax bereits tief in der Krise. Dass sich die Situation des niederländischen Rekordmeisters seitdem nochmal drastisch verschlimmerte, ist durchaus beachtlich.

Das Spiel zwischen Ajax Amsterdam und Feyenoord Rotterdam wurde in der 55. Minute abgebrochen.
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Ajax Amsterdam: Das Ende der Erfolgsära

Ein Auslöser des Abwärtstrends war der Abschied von Erfolgstrainer Erik ten Hag, der im Sommer 2022 zu Manchester United wechselte. Zuvor hatte ten Hag Ajax 2019 ins Champions-League-Halbfinale und zu insgesamt drei Meistertiteln geführt. Sein Nachfolger Alfred Schreuder zerstritt sich mit der Mannschaft, nach einer angeblichen Spieler-Revolte wurde er bereits im Januar entlassen. Unter Interimstrainer Johnny Heitinga beendete Ajax die Saison titellos, in der Eredivisie abgeschlagen auf Platz drei.

Neben Heitinga verließ anschließend auch Geschäftsführer Edwin van der Sar den Klub, kurz darauf erlitt er eine Hirnblutung. Damit verabschiedete sich nach ten Hag und Sportdirektor Marc Overmars auch der dritte Macher der Erfolgsära. Overmars musste 2022 gehen, weil bekannt geworden war, dass er mehrere Mitarbeiterinnen mit "unangebrachten Nachrichten" sexuell belästigt habe.

Gemeinsam mit Sportdirektor Mislintat kam im Sommer Trainer Maurice Steijn. Der 49-Jährige verfügte zwar über keine Erfahrungen bei einem Top-Klub, hatte aber mit Außenseitern wie Sparta Rotterdam Erfolge gefeiert. "Bei allen Vereinen, für die er arbeitete, übertrafen die Ergebnisse die Erwartungen", sagte Mislintat damals. "Er hat mehrfach mit seinen Teams gezeigt, dass er ein echter Überperformer ist."

Als Assistent sollte Steijn eigentlich Wesley Sneijder zur Seite gestellt werden. Eine Verpflichtung des Ex-Spielers scheiterte aber nach wütenden Fan-Protesten samt "Kriegserklärung". Grund für diese Anfeindungen sind Sneijders Verbindungen zu Ajax' Rivalen FC Utrecht samt eines provokanten Videos vor drei Jahren.

Von den wettbewerbsübergreifend ersten sieben Saisonspielen hat Ajax nur zwei gewonnen.
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Ajax Amsterdam: Kritik an Sven Mislintats Transfers

Bei der Kaderplanung traten schnell Unstimmigkeiten zwischen Sportdirektor und Trainer auf, Mislintat soll zahlreiche Transfers ohne Rücksprache mit Steijn abgewickelt haben. "Wir haben Namen vor­ge­schlagen, aber Sven hat sich anders ent­schieden", sagte Steijn Anfang Sep­tember.

Mit Mohammed Kudus (43 Millionen Euro zu West Ham United), Jurrien Timber (40 Millionen Euro zum FC Arsenal), Edson Álvarez (38 Millionen Euro zu West Ham United) und Dusan Tadic (ablösefrei zu Fenerbahce Istanbul) verließen absolute Leistungsträger den Klub. Tadic war der letzte Vertreter der Champions-League-Helden von 2019. Seinem Abschied vorausgegangen waren Streitigkeiten mit Mislintat. Der 34-jährige Serbe hatte sich dem Vernehmen nach für eine Weiterbeschäftigung Heitingas eingesetzt und über Mislintats Transferpolitik beklagt.

Ajax nahm in der zurückliegenden Transferperiode durch Spielerverkäufe insgesamt 156 Millionen Euro ein. 109 Millionen davon investierte Mislintat in zwölf Neuzugänge. Statt echter Verstärkungen kamen hauptsächlich Spieler für die Breite. Von Eintracht Frankfurt beispielsweise für fünf Millionen Euro der zuvor unbekannte und bisher auch nicht eingesetzte 21-jährige Keeper Diant Ramaj.

Mislintat bediente sich in Belgien, Norwegen und Dänemark sowie in den zweiten Ligen von Deutschland und England. Nur "Fehleinkäufe" habe er geholt und der neue Ajax-Kader "kein Niveau", beklagten sich kürzlich die Klub-Legenden Marco van Basten und Rafael van der Vaart. Laut Arie Haan sei "mindestens die Hälfte seiner Neueinkäufe nicht gut genug für Ajax".

Nach nur vier Monaten wurde Sportdirektor Sven Mislintat bei Ajax Amsterdam bereits wieder entlassen.
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Sven Mislintat: Untersuchung wegen Borna Sosa

Gescheitert ist unterdessen eine Verpflichtung des Armeniers Eduard Sperzyan vom russischen FK Krasnodar. Aufgrund des Krieges gegen die Ukraine untersagte der Aufsichtsrat den Transfer von Mislintats Wunschspieler. "Ajax muss für die Gesellschaft ein Vorbild sein. Wir erfüllen eine wichtige, breitere Rolle als nur ein Fußballteam auf einem Feld aufzustellen", erklärte der Aufsichtsratsvorsitzende Pier Eringa.

Für noch mehr Wirbel sorgte die letztlich vollzogene Verpflichtung Borna Sosas für acht Millionen Euro von Mislintats Ex-Klub VfB Stuttgart. Der Sportdirektor soll den Transfer trotz eines Interessenkonflikts umgesetzt haben. Dabei geht es um das von Mislintat mitgegründete Fußballdaten-Analyse-Unternehmen Matchmetrics GmbH. Im Juni veränderten sich dort die Beteiligungsverhältnisse. Unter anderem findet sich seither auch die Firma AKA Global GmbH (3,16 Prozent) auf der Gesellschafterliste. Mislintat selbst stockte seine Anteile auf 35 Prozent auf. AKA ist eine Spielerberatungsagentur, die im Sosa-Deal von Mislintat beauftragt wurde.

Ajax leitete daraufhin eine Untersuchung ein. Bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung am Mittwoch beschloss die Klubführung, dass Mislintat den Spielen künftig nicht mehr im Stadion beiwohnen dürfe. Gegen Feyenoord war er entsprechend nicht vor Ort - im Vorfeld sei er laut De Telegraaf aber am Klubgelände in den Trainerraum gestürmt und habe dort eine Entlassung Steijns im Falle einer Pleite gegen den Rivalen angedroht.

Ajax Amsterdams neuer Trainer Maurice Steijn steht nach dem schwachen Saisonstart in der Kritik.
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Ajax: Rufe nach van Gaal - Freude über Mislintat-Aus

Steijn kritisierte zuletzt Mislintats Neuzugänge wiederholt öffentlich. Nach dem abgebrochenen Spiel gegen Feyenoord beispielsweise Anton Gaaei, den er zuvor bereits in der 32. Minute ausgewechselt hatte. Zur Pause musste auch Sosa runter.

Die Fans im Stadion skandierten immer wieder den Namen von Louis van Gaal, der zuletzt auch als neuer deutscher Bundestrainer im Gespräch gewesen ist. Eine Rückkehr zu seinem Ex-Klub schloss van Gaal aber umgehend aus. "Meine Gesundheit geht vor", sagte der 72-Jährige dem TV-Sender NOS. Er sei "nicht mehr in der Lage, Trainer eines Klubs zu sein". Van Gaal leidet an Prostatakrebs und befindet sich in ständiger Behandlung.

Anders als von Mislintat offenbar angedroht, wurde nach der Niederlage nicht Steijn entlassen, sondern der Sportdirektor selbst. "Mehrere Versuche, die breite Unterstützung wiederherzustellen, haben nicht zum gewünschten Ergebnis geführt", sagte Interims-Geschäftsführer Jan van Halst. "Das führt zu Unruhe im und um den Verein, auch wegen der enttäuschenden Ergebnisse."

Bei etlichen aktuellen und ehemaligen Ajax-Spielern scheint Mislintats Entlassung gut anzukommen. Der entsprechende Instagram-Post dazu gefiel unter anderem Brian Brobbey, Steven Bergwijn, Dusan Tadic, Davy Klaassen und Daley Blind.