Fan-ID, Fener-Kooperation und Piqué-Vibes: Wie steht es um den Fußball in Russland?

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Mit Kriegsbeginn wurde Russland von der UEFA suspendiert. Wie steht es eineinhalb Jahre später um den russischen Fußball?

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Vor gar nicht allzu langer Zeit war Russland ein Zentrum des europäischen Fußballs. Zenit St. Petersburg und ZSKA Moskau gewannen in diesem Jahrtausend die Europa League. Russland trug die WM 2018 aus, in St. Petersburg stiegen Spiele der EM 2021, in Moskau das Champions-League-Finale 2008. Russland rangierte in den Top-10 der UEFA-Fünfjahreswertung.

Mit dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine im Februar 2022 verschwand dieses Zentrum über Nacht von der europäischen Fußball-Landkarte. Folgerichtig schloss die UEFA sämtliche russische Mannschaften von ihren Wettbewerben aus. Der Fußball-Betrieb in Russland läuft seitdem aber weiter - und tatsächlich bestehen auch noch Verbindungen nach Europa.

Zenit St. Petersburg gewann zuletzt fünf Meistertitel hintereinander.
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Zenit St. Petersburg dominiert den russischen Fußball

"Es herrscht hier weiterhin großes Interesse am Fußball. Alle meine Bekannten, die früher Fußball geschaut haben, tun das immer noch", sagt Ilya Sokolov im Gespräch mit SPOX und GOAL. Der russische Journalist arbeitete früher für die englischsprachige Website Russian Football News, die ihre Berichterstattung aktuell pausiert.

"Die Zuschauerzahlen in der Liga sind zwar zurückgegangen", sagt Sokolov. "Aber nicht wegen der aktuellen Situation, sondern wegen der Einführung einer Fan-ID." Seit der vergangenen Saison ist dieses Dokument mit persönlichen Daten für einen Stadionbesuch in Russland verpflichtend. "Daraufhin haben viele Fans begonnen, Spiele zu boykottieren", sagt Sokolov. Der größte Publikumsmagnet Zenit kam in der vergangenen Saison auf einen Schnitt von etwa 30.000 Zuschauern, vor Krieg und Corona hatte er noch bei etwa 50.000 gelegen.

Inwiefern sich das sportliche Level der Liga durch die Isolation verändert habe, sei laut Sokolov wegen des mangelnden Vergleichs durch Europapokal-Duelle schwer zu sagen: "Ich glaube aber, dass das Niveau etwas schlechter wurde." Der beste Klub des Landes ist aktuell zweifelsohne Zenit St. Petersburg. Im Jahr des Kriegsbeginns gewann Zenit die vierte Meisterschaft in Folge, in der vergangenen Saison verteidigte der Klub den Titel abermals und auch der Start in die seit Ende Juli laufende neue Saison gelang.

Beim Fachportal transfermarkt wird Zenits Kader-Marktwert auf rund 150 Millionen Euro geschätzt - in Deutschland vergleichbar mit der TSG Hoffenheim. Ein Blick auf Zenits Aufgebot sagt einiges über Russlands Klub-Fußball: Abgesehen von Einheimischen stehen zahlreiche Südamerikaner unter Vertrag, dazu ein Spieler aus der ehemaligen Sowjet-Republik Kasachstan sowie ein Serbe.

Profis aus EU-Ländern sind in der russischen Premjer Liga seit Kriegsbeginn zwar weniger geworden, aber nicht verschwunden. Aktuell sind es 21, ein Deutscher ist nicht dabei. Der hierzulande wohl bekannteste Russland-Legionär ist der ehemalige niederländische Nationalspieler Quincy Promes von Spartak Moskau, der neulich in seiner Heimat wegen einer Messerattacke gegen seinen Cousin zu 18 Monaten Haft verurteilt wurde.

Arsen Zakharyan wechselte in diesem Sommer für 13 Millionen Euro von Dynamo Moskau zu Real Sociedad San Sebastian.
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Russland und der Transfermarkt

Mit Kriegsbeginn hatte die FIFA sämtlichen in Russland (und der Ukraine) tätigen ausländischen Spielern und Trainern mit einer Transfer-Sonderregelung gestattet, ihre Verträge ohne Konsequenzen einseitig auszusetzen und in ein anderes Land zu wechseln. Diese Möglichkeit nutzten damals unter anderen die deutschen Trainer Daniel Farke (FK Krasnodar) und Markus Gisdol (Lok Moskau), etwa ein Drittel der 120 damals in Russland beschäftigten Legionäre sowie später viele Leihspieler.

Beispielsweise Alexander Kral: Der Tscheche spielte zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs per Leihe von Spartak Moskau bei West Ham United, ehe er ebenfalls leihweise zum FC Schalke 04 und mittlerweile zu Union Berlin weiterzog, ohne dass die beteiligten deutschen Klubs mit Spartak verhandeln mussten.

Für immer noch in Russland tätige Spieler ist diese Transfer-Sonderregelung mittlerweile ausgelaufen. Wollen sie wechseln, müssen sich die Klubs wie üblich auf eine Ablösesumme einigen: Der Brasilianer Malcom zog in diesem Sommer beispielsweise für 60 Millionen Euro von Zenit zu Al-Hilal nach Saudi-Arabien weiter und das vielversprechende Talent Arsen Zakharyan wechselte für 13 Millionen Euro von Dynamo Moskau zu Real Sociedad San Sebastian.

Zakharyans Wechsel war der erste größere Transfer eines russischen Spielers zu einem westeuropäischen Klub seit Kriegsbeginn. Laut dem Journalisten Sokolov wurde der Schritt des 20-jährigen Mittelfeldspielers in der Heimat positiv aufgenommen: "Die Fans hier sind immer froh, wenn russische Spieler ins Ausland wechseln." Ausführlich wird in den russischen Medien über Zakharyans Entwicklung in San Sebastian berichtet - bisher reichte es aber erst zu zwei Kurzeinsätzen.

Seit Kriegsbeginn hat kein Bundesliga-Klub einen Spieler aus der Premjer Liga ohne Nutzung der Transfer-Sonderregelung verpflichtet. Gescheitert ist kürzlich auch ein Wechsel des russisch-armenischen Doppelstaatsbürgers Eduard Spertsyan von FK Krasnodar zu Ajax Amsterdam. Laut der Zeitung De Telegraaf wollte der deutsche Sportdirektor Sven Mislintat den Transfer durchziehen, wurde dabei aber vom Aufsichtsrat ausgebremst. "Ajax muss für die Gesellschaft ein Vorbild sein. Wir erfüllen eine wichtige, breitere Rolle als nur ein Fußballteam auf einem Feld aufzustellen", sagte der Aufsichtsratsvorsitzende Pier Eringa.

Die ehemaligen Stammkräfte der Nationalmannschaft Aleksandr Golovin (AS Monaco) und Aleksei Miranchuk (Atalanta Bergamo) spielten schon vor Kriegsbeginn für europäische Top-Klubs, kamen seitdem aber nicht mehr für die Sbornaja zum Einsatz.

Gazprom gegen Gazprom: Zenit St. Petersburg und Roter Stern Belgrad duellierten sich vergangenen November und diesen Juli bei Teststpielen in Russland.
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Russland: Beziehungen zur Türkei und Serbien

Weil Russland auch auf Nationalmannschafts-Ebene von allen offiziellen Wettbewerben ausgeschlossen ist, behilft sich der Verband mit Freundschaftsspielen gegen nicht feindlich gesinnte Nationen. Gegen Tadschikistan, Usbekistan und den Iran setzte es Remis, gegen Kirgistan und den Irak gelangen Siege. Nächsten Dienstag ist die Sbornaja für ein Auswärtsspiel in Katar zu Gast.

Spekuliert wurde vor einiger Zeit sogar über einen Wechsel des russischen Verbandes von der europäischen UEFA zur asiatischen AFC. "Wir haben ein gutes Verhältnis zum russischen Verband", sagte AFC-Präsident Scheich Salman bin Ebrahim al-Khalifa aus Bahrain Anfang des Jahres. "Wir wollen das Beste für das Spiel und versuchen, Politik vom Fußball zu trennen." Seitdem versandete die Diskussion aber. "Ich denke, dass manche asiatische Länder wie Japan, Südkorea oder Australien dagegen sind - und, dass russische Funktionäre auf eine Europa-Rückkehr hoffen", sagt Sokolov.

Mit Aleksandr Dyukov sitzt der Präsident des russischen Verbandes übrigens bis heute im Exekutivkomitee der UEFA. Einem Gremium, dem unter anderem auch Karl-Heinz Rummenigge, Hans-Joachim Watzke, der umstrittene spanische Verbandspräsident Luis Rubiales und der Ukrainer Andriy Pavelko angehören. Gute Beziehungen pflegt Russland unterdessen zu einzelnen UEFA-Nationen, speziell zu Serbien und der Türkei.

Roter Stern Belgrad trägt weiterhin das Logo des russischen Erdgasförderunternehmens Gazprom auf der Brust. Vergangenen November war der serbische Top-Klub für ein Testspiel in St. Petersburg zu Gast, diesen Juli für ein Vorbereitungsturnier. Abgesehen von Roter Stern nahmen daran auch Zenit, Neftci Baku aus Aserbaidschan sowie Fenerbahce Istanbul teil. Der türkische Top-Klub schloss mit Zenit im März sogar eine zweijährige Kooperation ab. Abgesehen von Testspielen beinhaltet die Zusammenarbeit auch gemeinsame Fortbildungen für Trainer und Funktionäre.

Seit Kriegsbeginn bestritt die russische Nationalmannschaft fünf Testspiele: Gegen Tadschikistan, Usbekistan und den Iran (Foto) setzte es Remis, gegen Kirgistan und den Irak gelangen Siege.
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Krim-Klubs in der Liga, Blogger-Mannschaften im Pokal

Während Zenit in der Premjer Liga von Titel zu Titel eilt, wurden in dieser Saison zwei Klubs von der völkerrechtswidrig annektierten Halbinsel Krim ins russische Liga-System eingegliedert. PFK Sewastopol und Rubin Jalta spielen nun in der vierthöchsten Leistungsstufe, einer Amateur-Liga.

Eine Neuerung gab es auch im russischen Pokal: Seit der vergangenen Saison nehmen Vertreter aus der sogenannten Media League teil. Dabei handelt es sich um eine eigene Meisterschaft zwischen Mannschaften bestehend aus Promis, Bloggern, Ex-Profis und Akademie-Absolventen, denen der Durchbruch im bezahlten Fußball verwehrt geblieben ist. "Das ist ähnlich zu dem, was Gerard Piqué in Spanien macht", sagt Sokolov. Der ehemalige Profi des FC Barcelona betreibt in seiner Heimat ein 7-gegen-7-Turnier namens Kings League, bei der russischen Media League spielen die Mannschaften mit je elf Akteuren.

In dieser Pokal-Saison sind mit dem FC Amkal Moskau, Rodina Media und dem FC 2DROTS Moskau drei solcher Mannschaften vertreten. 2DROTS wird vom ehemaligen Spanien-Legionär Dmitri Kuznetsov trainiert und gilt als erfolgreichste Mannschaft der Media League, Amkal als populärste. Rodina hat mit dem ehemaligen russischen Nationalspieler Dmitri Tarasov den berühmtesten Ex-Profi in seinen Reihen.

In Russland würden die Mannschaften der Media League laut Sokolov "mehr Interesse wecken als manche Zweit- und Drittligisten", außerdem scheinen sie auch sportlich konkurrenzfähig zu sein. In den ersten Pokalrunden gelangen bereits Siege gegen unterklassige Profiklubs. Es stellt sich die Frage, ob das eher für die Blogger-Mannschaften oder gegen die Profis spricht.

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