"Wie ein trotziges Kind" und "regelrecht zickig": Kommunikations-Experte analysiert Thomas Tuchels Öffentlichkeitsarbeit beim FC Bayern München

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Thomas Tuchels Umgang mit Niederlagen, Uli Hoeneß' Omnipräsenz, Thomas Müllers Alleinstellungsmerkmal: Im Interview mit SPOX analysiert der Kommunikations-Experte Michael Cramer die Öffentlichkeitsarbeit des FC Bayern München und seiner Protagonisten.

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Cramer ist Geschäftsführer der Alt&Cramer GmbH und berät mit seiner Firma unter anderem Spitzenpolitiker und Unternehmer. Bei Sky durchleuchtet er in der Sendung "Gesagt. Gemeint!" regelmäßig die öffentlichen Aussagen von Spielern, Trainern und Managern in der Bundesliga.

Herr Cramer, Thomas Tuchel ist seit etwa neun Monaten Trainer des FC Bayern München. Wie beurteilen Sie seine Öffentlichkeitsarbeit?

Michael Cramer: Im Großen und Ganzen macht er es ordentlich. Es waren aber auch schon ein paar fragwürdige Aktionen dabei. Ich erinnere mich, dass er nach der Niederlage gegen Manchester City ganz zu Beginn "schockverliebt" war in seine neue Mannschaft. Dann gab es den Streit mit den TV-Experten Lothar Matthäus und Dietmar Hamann in Dortmund kurz nach dem Pokal-Aus gegen Saarbrücken. Generell fällt auf: Bei Siegen fällt Tuchel die Kommunikation leicht, bei Niederlagen vermisse ich Gelassenheit und Souveränität.

Wie meinen Sie das?

Cramer: Nach Niederlagen wirkt er oft angefasst, teilweise persönlich beleidigt, wie ein trotziges Kind. Dann eröffnet er gerne Nebenkriegsschauplätze. Mal ist er schuld, mal die Spieler, mal dies, mal jenes. Er wirkt dann getrieben von der medialen Berichterstattung und reagiert regelrecht zickig. Dabei hat er das ja gar nicht nötig. Etwas mehr Ruhe und Gelassenheit würden ihm da guttun. Mehr Seniorität, weniger Sprunghaftigkeit.

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Und damit zurück zum Schlagabtausch mit Matthäus und Hamann.

Cramer: Die Episode begann bei der Pressekonferenz am Freitag. Ein Journalist sprach Tuchel auf Matthäus' und Hamanns Kritik bezüglich einer fehlenden Weiterentwicklung der Mannschaft an. Tuchel erwiderte, dass er bei den beiden "auch keine Entwicklung" erkennen würde. Netter Scherz. Die Journalisten haben gelacht. Davon war er, so schien es, beeindruckt. Tuchel hat vielleicht gedacht, die Öffentlichkeit sei der gleichen Meinung wie er und nehme die beiden auch nicht ernst. Von diesem Eindruck ließ er sich treiben und ist das ganze Wochenende darauf herumgeritten. Das war albern, ein Laientheater. Dieser Auftritt hat ihm geschadet. Tuchel ist ein sehr intelligenter Mensch. Aber intelligente Menschen tun sich oft schwer mit dem Thema Emotionen.

Unterschätzt er die Wichtigkeit von Öffentlichkeitsarbeit?

Cramer: Er nimmt sie als notwendiges Übel. Es fällt ihm offensichtlich schwer, die medialen Mechanismen und die Umstände zu akzeptieren, denen er als Trainer des FC Bayern ausgesetzt ist. Jeder, der diesen Job antritt, weiß, was ihn erwartet. Dass er in jeder Fernsehsendung, in jeder Zeitung, auf jedem Portal permanent besprochen und kritisiert wird. Als Bayern-Trainer ist er Gesicht des Klubs. Es geht nicht nur um 4-4-2 oder Pressing und Raute.

Welcher Trainer gab Ihrer Meinung nach das stimmigste Gesicht des FC Bayern ab?

Cramer: Der späte Jupp Heynckes war sicher perfekt. Tuchel erinnert mich dagegen an den jungen Heynckes. Nachdem Heynckes 1997 im UEFA-Cup-Halbfinale mit Teneriffa gegen Schalke ausgeschieden ist, hat er die komplette Pressekonferenz in Gelsenkirchen auf spanisch abgehalten. So war Jupp Heynckes als junger Trainer: zickig, eingeschnappt, trotzig. Ein großer Trainer wurde er erst, nachdem er zur Vaterfigur gereift ist. Dann hat er Ruhe und Wärme ausgestrahlt. Natürlich ist der Vergleich unfair, denn das Ganze ist natürlich auch eine Altersfrage. Diese Ausstrahlung fehlt Tuchel aber noch - und übrigens auch Nagelsmann. Das zu ändern, wird Tuchels größte Herausforderung für die nächsten Jahre. Fachlich ist er ein herausragender Trainer, sonst wäre er nicht da, wo er ist. Ob er auch ein großer Trainer wird, entscheidet sich nicht zuletzt bei diesen Themen außerhalb des Platzes.

Julian Nagelsmann
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Sie haben Tuchels Vorgänger und aktuellen Bundestrainer Julian Nagelsmann angesprochen. Ist er ein besserer Kommunikator als Tuchel?

Cramer: Nagelsmann merkt man an, dass er diesen Teil des Jobs gerne und ganz bewusst macht. Bei Bayern hatte man manchmal sogar das Gefühl, er sei der trainierende Pressesprecher.

Besteht nicht auch die Gefahr, dass er überdreht?

Cramer: Natürlich, aber diesbezüglich erinnert mich Nagelsmann an den jungen Jürgen Klopp. Bei ihm war das ganz ähnlich. Es ist bezeichnend, dass Klopp der breiten Öffentlichkeit nicht als Trainer bekannt geworden ist, sondern als TV-Experte bei der WM 2006.

Zuletzt kursierte die Meldung, wonach ein Kabinenbesuch der damaligen Bosse Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic eine Rolle bei Nagelsmanns Entlassung in München gespielt hätte. Der Grund: Die beiden fanden, Nagelsmann habe bei seiner Halbzeitansprache "zu schnell" gesprochen, die Spieler hätten ihm nicht folgen können.

Cramer: Das halte ich für eine Petitesse. Daran scheitert es nicht. Es wäre eher ein Problem, wenn jemand zu langsam redet und dabei alle einschlafen.

Die alles dominierende Figur in der Öffentlichkeitsarbeit des FC Bayern ist weiterhin Uli Hoeneß. Erachten Sie das als Problem?

Cramer: Der Klub hat es bis heute nicht geschafft, die Figur Uli Hoeneß in ihrer Außenwirkung adäquat zu ersetzen. Obwohl er keine wichtige Funktion mehr innehat, haben seine Aussagen eine größere Strahlkraft als die aller anderen im Klub - auch der Vorstände. Die Öffentlichkeit hat dadurch den Eindruck, dass im Hintergrund immer noch Hoeneß die Fäden zieht. Das erschwert die Arbeit für jeden Trainer und jeden Funktionär. Auch für Salihamidzic und Kahn war das ein großes Problem. Solange sich Hoeneß öffentlich äußert, wird sich das nicht ändern.

Uli Hoeneß
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Warum kann Hoeneß nicht loslassen?

Cramer: Ich denke, er hat oftmals das Gefühl, dass etwas gesagt werden muss. Wenn es niemand anders sagt, dann macht er es eben selbst. Seine Nachfolger müssten eben auch echte Nachfolger sein. Das bedeutet mehr als das Pflichtprogramm, Hoeneß war nun mal die Stimme des deutschen Fußballs. Ich habe den Eindruck, dass ihm seine Nachfolger kommunikativ nicht klar genug sind. Der neue CEO Jan-Christian Dreesen ist auch eher sachlich und zündet medial nicht gerade ein Feuerwerk.

Ist es heutzutage überhaupt noch sinnvoll, eine Öffentlichkeitsarbeit wie Hoeneß zu praktizieren? Generell hat man im Profifußball den Eindruck, allen Beteiligten wird in Medientrainings eingetrichtert, so wenig Kontroverses wie möglich zu sagen.

Cramer: Gerade heutzutage ist es sinnvoll, sich klar zu äußern. Wir leben in einer Welt der Zuspitzung und Boulevardisierung. Wer durchdringen will, braucht klare Botschaften. Dazu gehören auch Ecken und Kanten. Charisma! Wie sehr sehnen wir alle uns nach echten Typen! Gute Berater fördern Persönlichkeit und Charakter - sie schleifen sie nicht ab.

Nach der 1:5-Niederlage des FC Bayern gegen Eintracht Frankfurt wollte sich, abgesehen von Thomas Müller, kein Spieler äußern. Wie finden Sie das?

Cramer: Das war ein Fehler, aber das haben die Bayern mittlerweile auch eingesehen. Es ist jedenfalls bezeichnend, dass sich ausgerechnet Müller geäußert hat. Er bietet dem Verein nach seiner aktiven Karriere noch riesiges Potenzial. Mit seiner Art könnte Müller auf Dauer die mediale Figur Uli Hoeneß ersetzen. Rhetorisch ein Naturtalent, dazu kommen seine Bodenständigkeit, Ehrlichkeit, Persönlichkeit und auch seine einzigartige sportliche Karriere.

FC Bayern, Thomas Müller
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Gibt es noch andere Spieler des FC Bayern, die Sie rhetorisch überzeugen?

Cramer: Da ist viel grau, Mittelmaß. Manuel Neuer ist in seinen Interviews beispielsweise fürchterlich langweilig. Phrasen, Floskeln. "Der nächste Gegner ist der schwerste", "wir müssen alles geben" und so weiter. Das ist mir für einen Kapitän und die herausragende Rolle, die er im Weltfußball spielt, zu wenig. Darauf würde er aber vermutlich antworten, dass er mit seiner bisherigen Herangehensweise super erfolgreich ist, Titel gewinnt und viel Geld verdient. Das muss man anerkennen. Einen Aspekt darf man auch nicht vergessen.

Und zwar?

Cramer: Die Kommunikation der Spieler findet mittlerweile nicht mehr nur am Spielfeldrand oder in der Mixed Zone statt, sondern über die sozialen Medien. Da sind sie alle nicht schlecht, da geht es aber auch weniger um die Viererkette als um Lifestyle. Ganz generell darf man auch nicht vergessen, dass die Jungs in dieser Position sind, weil sie herausragend kicken können. Man darf nicht erwarten, dass jeder herausragende Kicker auch rhetorische Fähigkeiten mitbringt. Aber dass es hilft, steht außer Frage. Wir sind doch alle froh, wenn wir echte Typen wie Thomas Müller sehen. Davon lebt der Zirkus Fußball.

FC Bayern München: Die nächsten Spiele des FC Bayern

DatumWettbewerbGegner
12. Januar, 20.30 UhrBundesligaTSG Hoffenheim (H)
21. Januar, 15.30 UhrBundesligaSV Werder Bremen (H)
24. Januar, 20.30 UhrBundesliga1. FC Union Berlin (H)