FC Bayern München: Leon Goretzka ist mehr Problem als Lösung

Von Justin Kraft
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Der FC Bayern München droht in der Bundesliga nun auch den dritten Titel der Saison zu verspielen. Auf der langen Liste der Sorgen und Probleme lohnt ein Blick ins Mittelfeld. Leon Goretzka und Joshua Kimmich sind dort gesetzt - doch passen sie wirklich zusammen?

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"Das 1:3 hat uns absolut das Genick gebrochen", erklärte Thomas Müller die fast schon lethargische zweite Halbzeit des FC Bayern München in Mainz. Das Resultat: Eine Niederlage, die Borussia Dortmund zurück an die Tabellenspitze der Bundesliga gebracht hat. Doch dieser dritte Treffer durch Aarón Martin in der 79. Minute war nicht nur deshalb bezeichnend, weil die Münchner keine Antwort mehr parat hatten.

Im Prinzip war er ein Sinnbild für vieles, was aktuell bei den Bayern nicht läuft. Denn es lohnt sich, auf dieser langen Liste vor allem das Mittelfeldzentrum ins Blickfeld zu rücken. Ein simpler hoher Ball flog beim dritten Tor des FSV Mainz 05 in den Strafraum des Rekordmeisters - wo die Bayern zunächst einen Mann Überzahl hatten.

Die Mainzer aber reagierten nach der unglücklichen Verlängerung von Leon Goretzka schnell, schoben nach und plötzlich war es direkt vor dem Tor von Yann Sommer eine Fünf-gegen-drei-Unterzahl für den FCB. Drei Mainzer standen ballfern komplett blank. In der Analyse steht zwar Josip Stanisic im Mittelpunkt, weil der es nicht geschafft hat, die Situation zuvor zu klären. Doch auch wenn der Abschluss direkt im langen Eck einschlug, muss die Frage gestellt werden, wie der zweite Pfosten und der Rückraum derart blank sein können.

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FC Bayern München: Leon Goretzka ist aktuell mehr Problem als Lösung

Eine Antwort auf diese Frage ist Goretzka. Der 28-Jährige trug zu diesem Zeitpunkt die Kapitänsbinde, weil Müller und Joshua Kimmich bereits ausgewechselt wurden. Damit sollte er automatisch ein Orientierungspunkt sein. Vor allem für Spieler wie Stanisic, die einen solchen in der Schlussphase dringend benötigt hätten.

Doch Goretzka irrte herum, trabte von Position zu Position, ohne wirklich zu helfen. Beim dritten Gegentor war seine Verlängerung weniger schlimm als sein mitunter planlos wirkendes Laufverhalten anschließend. Statt den zweiten Pfosten mit abzusichern, lief er in einen Raum, den bereits die Kollegen Matthijs de Ligt und Dayot Upamecano abgesichert hatten. Keine Staffelung im Strafraum, der zweite Pfosten komplett frei.

Das Tor fiel anders, doch es hätte auch durch einen Chipball fallen können. Dann hätten wohl mehr Leute darüber gesprochen, was Goretzka da eigentlich macht. Der Nationalspieler steht in diesem Kalenderjahr komplett neben sich. Gegen Manchester City ging ihm die Aggressivität teilweise komplett ab.

Und doch darf er auch unter Thomas Tuchel immer wieder von Beginn an spielen. Gegen Mainz spielte er durch, obwohl er deutlich schwächer war als seine Kollegen im Mittelfeld. Was schon deshalb bemerkenswert ist, weil auch Kimmich, Müller und Jamal Musiala keinen guten Tag hatten. Mal wieder.

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FC Bayern München: Der Kader ist im Mittelfeld ein Problem

Dass der Trainer weiter auf Goretzka baut, dürfte den Grund haben, dass er keine Alternativen im Kader hat. Ryan Gravenberch wird hier und da zwar von Fans gefordert, doch auch der Niederländer konnte bisher nicht nachweisen, dass er diesem zutiefst verunsicherten Team helfen kann. Schlechter als Goretzka kann er es derzeit zwar nicht machen, aber offenbar auch nicht deutlich besser.

Der Kader, auch das ist eine Erkenntnis aus den vergangenen Tagen und Wochen, ist schlecht ausbalanciert. Im Mittelfeld wird das so deutlich wie auf keiner anderen Position. Mit Goretzka, Kimmich und Gravenberch hat der FC Bayern drei Spieler, die auf der Acht ihre größten Stärken haben. Musiala und Müller können dort ebenfalls spielen, sind aber sehr offensiv orientiert.

Einen echten Sechser gibt es nicht. Und schon gar keinen Ankersechser, wie Tuchel ihn in Dortmund, Paris und London hatte. Einen Julian Weigl auf dem Niveau des FC Bayern. Unter Tuchel war der heutige Gladbacher der Dreh- und Angelpunkt im Mittelfeld. Er hielt seine Position, verlor kaum einen Ball und machte auch gegen den Ball einen wichtigen Job zwischen den beiden Viererketten des 4-1-4-1.

Kimmich kann diese Rolle einerseits, zockt andererseits aber zu viel. Auch gegen Mainz hatte er wieder zwei, drei Szenen, in denen er beinahe den Ball am eigenen Strafraum verlor. Sein Naturell ist das eines Achters. Mit Defensivaufgaben und offensiven Freiheiten kann er seine Stärken am besten einbringen. Vor allem aber mit jemandem an seiner Seite, der ihm den Rücken freihält und ihn im Spielaufbau entlastet.

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FC Bayern München: Der große Irrtum um Joshua Kimmich

Goretzka ist das nicht. Der gebürtige Bochumer ist selbst zu offensiv und defensiv zu wild und teilweise undiszipliniert, um eine solche Aufgabe zu bewältigen. Es ist einer der größten Irrtümer der letzten Jahre, dass diese Doppelsechs die bestmögliche Konstellation des FC Bayern sei. Als die Münchner unter Hansi Flick die Champions League gewannen, fiel Benjamin Pavard aus. Beim Finalturnier in Lissabon spielte Kimmich Rechtsverteidiger. Der Mann in der Schaltzentrale: Thiago.

Wird dieser Tage über die Sechserposition diskutiert, fällt häufig der Name von Javi Martínez. Doch das ist nicht das benötigte Profil. Thiago ist der Spielertyp, den die Bayern am meisten vermissen. Ein pressingresistenter und technisch hoch veranlagter Spielmacher, der gleichzeitig Bälle erobert und das Zentrum sichert. Ein Stabilisator.

Kimmich und Goretzka sind keine Stabilisatoren. Dafür haben sie jeweils zu viele Schwächen, die durch einen Partner aufgefangen werden müssen. Bei Goretzka sind vor allem die Defizite in Ballbesitz eklatant. Gegen Manchester City schaffte er es kaum, sich mal mit dem Ball zu drehen oder Raumgewinne zu erzeugen. Auch gegen Mainz hatte er Probleme damit, ließ Bälle lieber zurückklatschen, als mal aufzudrehen.

Damit verschleppt er das Spiel, nimmt Tempo heraus und sorgt dafür, dass die Last auf Kimmich größer wird. Der wiederum ist mit dieser offenbar überfordert. Zu Beginn des Jahres wurde er von Gegnern konsequent durch Manndeckung aus dem Spiel genommen und fand keinen Zugriff.

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FC Bayern München: Ist Konrad Laimer der falsche Neuzugang?

Behoben werden soll dieses Problem wohl durch Konrad Laimer. In den vergangenen Monaten wurde mehrfach berichtet, dass der Leipziger in der kommenden Saison das Bayern-Trikot tragen wird. Zweikampfstark ist er in jedem Fall. Aber ist er auch der Spielertyp, den Kimmich an seiner Seite braucht?

Zweifel sind angebracht. Einen zweiten Thiago zu finden, dürfte einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleichen. Doch dass mit Laimer nun erneut jemand kommen könnte, der sich vor allem über athletische Qualitäten definiert, ist bezeichnend für die große Fehleinschätzung, dass Kimmich allein als Spielgestalter ausreicht.

Die Mittelfeldzentrale des FC Bayern, sie wird auch in den kommenden Wochen, Monaten, vielleicht Jahren für Gesprächsstoff sorgen. In der komplexen Krise, in der sich der Rekordmeister aktuell befindet, ist das Mittelfeld bei weitem nicht das einzige, vielleicht nicht mal das größte Problem. Aber gerade an der formschwachen Achse lässt sich doch so einiges erklären.

Kimmich, Goretzka, Müller - bei den Bayern wird es Zeit für einen kleinen Umbruch. Das heißt nicht, dass diese Spieler keine Zukunft mehr haben. Aber ihre taktischen Rollen sollten hinterfragt werden. Müller sagte in Mainz noch einen weiteren wichtigen Satz: "Unser Spiel ist sehr fehleranfällig." Die nicht funktionierende Mittelfeldachse ist ein Grund dafür.

FC Bayern München vs. BVB: Das Restprogramm in der Bundesliga

SpieltagBVBFC Bayern
30VfL Bochum (A)Hertha BSC (H)
31VfL Wolfsburg (H)Werder Bremen (A)
32Borussia M'Gladbach (H)Schalke 04 (H)
33FC Augsburg (A)RB Leipzig (H)
34Mainz 05 (H)1. FC Köln (A)
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