Serge Gnabry wollte eigentlich nur abklatschen, aber das war Leon Goretzka wohl zu banal für diesen großen Moment. Also schlug er den Handshake aus, nahm seinen Kollegen stattdessen Huckepack und trug ihn auf dem Rücken über den Rasen der Allianz Arena. Gemeinsam bejubelten sie ihren jeweils ersten Scorerpunkt seit Ende August, seit dem 5:0-Sieg in der ersten Runde des DFB-Pokals bei Viktoria Köln.
Viktoria scheint den beiden Glück zu bringen, ihre Durststrecke endete nun nämlich ausgerechnet gegen die gleichnamige Mannschaft aus Pilsen. Steckpass Goretzka, präziser Abschluss Gnabry, dann der Huckepack-Jubel. Es war das 2:0 auf dem Weg zum 5:0, dem dritten Sieg des FC Bayern im dritten Champions-League-Spiel der Saison. Goretzka steuerte später sogar noch einen weiteren Assist bei.
Gnabry und Goretzka sind beim FC Bayern aus unterschiedlichen Gründen die wohl prominentesten Verlierer der bisherigen Saison, gegen Pilsen durften sie dennoch beginnen: Während Gnabry als Mittelstürmer trotz Torerfolgs seine zuletzt lange andauernde Formkrise bisweilen noch anzumerken war, gab Goretzka nach überstandener Knie-Operation und Corona-Infektion seine erste wirklich überzeugende Bewerbung für eine permanente Rückkehr in die Startelf ab.
FC Bayern: Leon Goretzkas schwieriger Saisonverlauf
In den vergangenen Jahren war Goretzka an der Seite von Kimmich auf der Doppelsechs meist gesetzt. Im Sommer musste er sich aber am Knie operieren lassen, was Rivale Marcel Sabitzer schamlos ausnutzte. Mit etlichen starken Auftritten etablierte sich der Österreicher in der Startelf und gab Trainer Julian Nagelsmann keinen Anlass für Umstellungen.
Goretzka erzielte bei seinem Comeback gegen Viktoria Köln zwar direkt ein Tor, wurde anschließend aber auch bei Union Berlin und Inter Mailand nur eingewechselt. In den Katakomben des San Siro stellte er fest: "Ab jetzt bin ich bereit zu starten." Es folgten Spekulationen über eine angebliche Unzufriedenheit Goretzkas sowie dessen Klarstellung, dass sein Satz "deplatziert genutzt worden" sei: "Es ist völlig normal, dass ich nicht von Anfang an gespielt habe, ich war sechs Wochen raus. Marcel Sabitzer hat super gespielt. Diese angeblichen Probleme sind konstruiert und das hat mich geärgert."
Bei den darauffolgenden Bundesligaspielen gegen den VfB Stuttgart und beim FC Augsburg stand Goretzka in der Startelf, enttäuschte aber wie die ganze Mannschaft. Das bedeutendere Champions-League-Duell mit dem FC Barcelona dazwischen durfte Sabitzer beginnen, Goretzka setzte nach seiner Einwechslung zur Pause immerhin gute Akzente. Anschließend infizierte er sich mit Corona, verpasste die Länderspiele und wurde beim 4:0-Sieg gegen Bayer Leverkusen erneut nur eingewechselt.
Leon Goretzka überzeugte gegen Viktoria Pilsen
Beim Spiel gegen Pilsen profitierte er nun gewissermaßen von der Infektion seines langjährigen Mittelfeld-Partners Kimmich. In dessen Abwesenheit bildete Goretzka eine Doppelsechs mit dem bisher ebenfalls eher wenig eingesetzten Neuzugang Ryan Gravenberch.
"Die beiden haben das sehr gut gemacht im Mittelfeld", lobte Sportvorstand Hasan Salihamidzic. "Sie haben sich ergänzt, haben versucht, aufeinander zu achten, dass wir immer eine gute Raumaufteilung haben und uns immer auch defensiv gut positionieren." In den ersten rund 25 Minuten übernahm Goretzka den offensiveren Part und Gravenberch sicherte ab, dann tauschten sie ihre Rolle. In der zweiten Halbzeit gab es ein ähnliches Wechselspiel.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Pilsen ließ das Duo bei Ballbesitz gewähren und forderte es defensiv kaum. Unabhängig von diesen erleichternden Umständen strahlte Goretzka aber wieder die von ihm gewohnte Dynamik, diese körperliche Präsenz aus. "Genau so brauchen wir ihn", lobte Salihamidzic. "Er gibt der Mannschaft viel, ist ein ganz wichtiger Spieler in unserer Truppe."
Abgesehen von seinen zwei offiziellen Assists ermöglichte Goretzka übrigens noch ein drittes Tor - und zwar mit einem einfachen Kuss, den er Leroy Sané nach dessen Treffer zum 1:0 auf die Wange drückte. "Weil er noch einen haben wollte, hat er ein zweites gemacht", erklärte Goretzka mit einem Augenzwinkern. Anfang der zweiten Halbzeit schnürte Sané den Doppelpack.
Leon Goretzka über den Konkurrenzkampf beim FC Bayern
Goretzka fühlt sich nach seiner Corona-Infektion laut eigener Auskunft gesundheitlich komplett wiederhergestellt. "Ich bin jetzt glaube ich gewappnet für Herbst und Winter", sagte er. "Da sollte bei mir nichts mehr anbrennen." Voller Fokus also auf den Konkurrenzkampf mit Sabitzer. Kimmich ist bei Nagelsmann unumstritten gesetzt, Gravenberch wird in den wichtigen Spielen zumindest in näherer Zukunft wohl kaum beginnen.
"Ich bin es ein bisschen leid, dass wir Woche für Woche immer darüber sprechen", sagte Goretzka nach dem Sieg gegen Pilsen, gefragt nach dem Konkurrenzkampf. Aber dann sprach er doch noch darüber: "Es liegt in meiner DNA und auch in der von den anderen Jungs, dass wir auf dem Platz stehen wollen. Das ist schon mein Anspruch, das habe ich auch klar gesagt."
Kimmich wird wohl gemeinsam mit dem ebenfalls Corona-infizierten Thomas Müller am Freitag ins Training zurückkehren, bereits am Samstag steht das Bundesliga-Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund an. Auch abhängig von deren Leistungsfähigkeit könnten Goretzka und Gnabry womöglich wieder beginnen.
"Es wird mit Blick auf Samstag wichtig sein, dass beide gut drauf sind", betonte Nagelsmann - und dachte auch an seinen Trainer-Kollegen beim DFB Hansi Flick. Er braucht Goretzka und Gnabry schließlich in Topform bei der in eineinhalb Monaten beginnenden Weltmeisterschaft: "Es ist auch für unser Fußballland Deutschland und die Nationalmannschaft wichtig, dass sie einen guten Rhythmus bekommen."