BVB: Warum sich die Hass-Frage bei Borussia Dortmund nicht mehr stellt

Von Fatih Demireli
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© getty

Borussia Dortmund hat sich beim 1:0 gegen die TSG Hoffenheim den nächsten Sieg erarbeitet und dabei ein in der Vergangenheit oft vermisstes Gesicht gezeigt. Ob der BVB auf diese Weise dem FC Bayern gefährlich werden kann, ist eine andere Frage. Aber: Marco Reus wird sich so einer verhassten Frage nicht mehr stellen müssen.

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Es gehört zu den traditionellen Phrasen im Fußball, dass der "Funke zu den Zuschauern überspringen" muss. Man will die Anhänger mitnehmen, sie durch eine impulsive Leistung mit in das Spielgeschehen hineinziehen. Das ist den Profis von Borussia Dortmund am Freitagabend vor 79.300 Zuschauern im nicht ausverkauften Signal-Iduna-Park im wahrsten Sinne gelungen.

Die Dortmunder sind beim 1:0 (1:0) gegen Hoffenheim viel gelaufen - und gleich zwei Flitzer stürmten auf den Platz. Erst ein noch recht junger Fan während des Spiels, der von Jude Bellingham sehr liebevoll vom Platz begleitet wurde. Und dann noch nach dem Schlusspfiff, als ein laufstarker Anhänger quer über den Rasen rannte.

Die Dortmunder Spieler setzten zu 276 Sprints an, liefen knapp 116 Kilometer. "Man hat gesehen, dass wir eine gute Vorbereitung hatten und 90 Minuten gehen können. Es hat sich keiner herausgenommen, aber so soll es ja auch sein", sagte Marco Reus, der das einzige Tor des Abends in der 16. Minute erzielte und so zum Matchwinner wurde.

Marco Reus und die Mentalitätsfrage

Reus selbst war ein Paradebeispiel für die kämpferische und intensive Leistung des BVB: Der Kapitän ging in zwölf Zweikämpfe, erkämpfte sich fünf Bälle vom Gegner und erntete dafür viel Applaus von den Rängen. In der Vergangenheit bekam Reus häufig im Zusammenhang mit seiner Mannschaft die Mentalitätsfrage gestellt und war darüber mächtig sauer.

"Das 2:2 war ein Mentalitäts-Problem? Ist das Euer Ernst? Jede Woche dieselbe Kacke", schimpfte Reus in einem Interview nach einem 2:2 gegen Eintracht Frankfurt 2019 und löste damit eine Debatte aus, die nach einem Punktverlust oder einer Niederlage des BVB immer wieder mal aufflammt. So wie zuletzt beim 2:3 gegen Werder Bremen, als Dortmund nach der 89. Minute noch eine 2:0-Führung hergegeben hatte.

Die Mentalität stimmte beim BVB gegen Hoffenheim erneut - im fünften Spiel der Saison gab es nach den Partien gegen Bayer Leverkusen und Hertha BSC das dritte 1:0 in dieser Saison. Nicht immer schön, nicht immer ansehnlich, aber kämpferisch, intensiv und fokussiert auf den Sieg.

Das musste selbst der Gegner anerkennen. Grischa Prömel, ein geborener Kämpfer aus der Union-Schule lobte die Dortmunder, die nicht nur aus seiner Sicht "extrem giftig, extrem gut in den Zweikämpfen" waren. Jahrelang schien es ein BVB-Phänomen zu sein, dass man aufregenden Offensivfußball spielte und dann zu oft in Schönheit starb.

Andre Breitenreiter bringt den BVB ins Grübeln

Dem BVB muss man zugutehalten, dass man auch gegen Hoffenheim 45 Minuten lang ansehnlich spielte. "Besonders in der ersten Halbzeit haben wir ein überragendes Spiel gemacht", lobte Trainer Edin Terzic: "In der Offensive haben wir uns viele Torchancen herausgespielt, den Gegner gut laufen lassen und die Räume immer wieder großgezogen."

Als Hoffenheims Trainer Andre Breitenreiter in der Pause drei Wechsel vornahm, Sebastian Rudy als klassischen Sechser aufbot, Andrej Kramaric auf die Acht zurückzog und Muhammed Damar davor als spielstarken Zehner brachte, kamen die Gäste besser zur Geltung und Dortmund etwas aus dem Konzept.

Hätte Hoffenheim die Ballbesitz-Phasen besser ausgespielt, wäre es nochmal spannend geworden. Wenn man dem BVB einen Vorwurf machen möchte, könnte man die Chancenverwertung nennen, die auch schon in Berlin ein Manko war und den Gegner am Leben hielt. Aber die Dortmunder haben gelernt, das Ergebnis zu verteidigen, auch weil man im Mittelfeld nun deutlich mehr Intensität durch die reine Aufstellung bekommt.

Jude Bellingham hat mit Salih Özcan einen Partner bekommen, der den Dortmundern guttut. Nach der guten Vorstellung in Berlin folgte die nächste Top-Vorstellung gegen Hoffenheim. "Die beiden haben es letzte Woche richtig gut gemacht, diese Woche haben sie es noch besser gemacht. Die Abstände waren viel kleiner, sie haben gemeinsam verteidigt, sich gegenseitig abgesichert. Jude hat etwa weiter vorne den Gegner so unter Druck gesetzt, dass Salih die zweiten Bälle erobern konnte. Das war richtig gut", sagte Terzic.

Borussia Dortmund, TSG Hoffenheim
© Getty

BVB: Das Verletzungspech ist wieder da

Und dennoch ist die Aufstellung der beiden nicht in Stein gemeißelt, Terzic will es sich "offenlassen", auch mal mit einer anderen Formation zu spielen: "Je nachdem, was benötigt wird." Denn ganz aufgeben will man den ansehnlichen Fußball ja nicht. Dafür ist der Kader auch viel zu talentiert. Der BVB kann und will sich nicht nur über Kampf und Intensität definieren.

So oder so. Der BVB grüßt zumindest bis Samstagnachmittag als Tabellenführer. Die Borussen hätten freilich nichts dagegen, auch am Saisonende ganz oben zu stehen. Klar ist, dass der BVB mit seiner pragmatischen Spielweise seine Siegchancen gegen die meisten Gegner erhöht. Ob es gelingt, dies so lange durchzuziehen, um selbst dem FC Bayern gefährlich zu werden, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen.

Denn eine Sache ist aus der Vergangenheit geblieben: die vielen Verletzungssorgen. Gegen Hoffenheim fehlten Karim Adeyemi (Zehenverletzung), Raphael Guerreiro (krank) und Mahmoud Dahoud, der an der Schulter operiert wird und für den wohl das Fußball-Jahr 2022 beendet ist. Zu ihnen gesellte sich gegen Hoffenheim Jamie Bynoe-Gittens, der sich die Schulter auskugelte. Die Ausfallzeit ist noch unklar.

Besonders in den intensiven Wochen mit dem Mammut-Programm bis zur WM 2022 ist der BVB - wie jedes andere Team auch - darauf angewiesen, hier und da zu rotieren und möglichst alle Spieler fit zu bekommen. Wenn es mal Engpässe geben sollte - der zweite Flitzer war am Freitag ganz schön schnell unterwegs...

Bundesliga: Die Tabelle vor den Samstagsspielen

PlatzTeamSp.ToreDiffPkt.
1.Borussia Dortmund58:4412
2.Bayern München416:21410
3.Union Berlin411:3810
4.Freiburg47:349
5.Hoffenheim58:629
6.Borussia M'gladbach47:438
7.Mainz 0544:5-17
8.Köln46:426
9.RB Leipzig46:515
10.Werder Bremen410:1005
11.Eintracht Frankfurt47:11-45
12.Stuttgart43:4-13
13.Bayer Leverkusen44:6-23
14.Augsburg43:8-53
15.Wolfsburg42:6-42
16.Schalke 0444:11-72
17.Hertha BSC42:6-41
18.Bochum43:13-100

 

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