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Das Spiel mit dem Feuer

Von Adrian Franke
Jimmy Graham trägt ab der kommenden Saison das Trikot der Seattle Seahawks
© getty

Es war der Hammer der bisherigen Free Agency: Scheinbar aus dem Nichts schnappten sich die Seattle Seahawks Saints-Tight-End Jimmy Graham und haben plötzlich den Playmaker im Passing Game, den sie seit Jahren suchen. Doch der Trade kam zu einem hohen Preis - und bringt die Hawks womöglich in eine schwierige Situation. Für die Saints ist es nichts weniger als ein Neuanfang. SPOX erklärt die Hintergedanken der beiden Teams.

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"Am Ende des Tages lief es darauf hinaus: Wir hatten seit einigen Jahren ein gutes, offensives Team. Da sind wir stark. Aber wir müssen uns in der Defense verbessern", versuchte sich Saints-Geschäftsführer Mickey Loomis an einer Erklärung: "Deshalb haben wir einen unserer Bausteine aus der Offense genommen und für ihn Ressourcen bekommen, die wir hoffentlich dazu nutzen können, um unsere Defense zu verbessern."

Immer wieder waren in den vergangenen Tagen Berichte aufgetaucht, wonach die Saints, die ursprünglich mit größten Cap-Sorgen in die neue Saison gegangen waren, im Prinzip bei jedem ihrer Spieler gesprächsbereit wären. Dass ihr Superstar-TE in dieser Hinsicht mit eingeschlossen war, hatte allerdings kaum jemand ernsthaft erwartet. "Wir haben vor drei Tagen die Gespräche mit ihnen begonnen", verriet Seahawks-GM John Schneider.

Es ging dabei um mehrere verschiedene Spieler, nichts Ungewöhnliches zum Start der Free Agency. "Dann war er plötzlich einer der Spieler, dessen Name genannt wurde, also sind wir dann drangeblieben", so Schneider weiter.

Und da Seattle nicht nur dazu bereit war, für Graham und New Orleans' Viertrunden-Draftpick den eigenen Erstrunden-Pick zu opfern, sondern auch die O-Line der Saints im Gegenzug mit Center Max Unger zu verstärken, waren sich beide Seiten schnell einig. Die endgültige Entscheidung fiel am Dienstagmorgen.

Matchup-Nightmare Seattle

Die Seahawks, die zuvor angeblich auch schon Interesse an Denvers Julius Thomas hatten, waren bereit dazu, ein Risiko einzugehen um sich einen der besten Passfänger-Tight Ends der Liga zu sichern. Dass Graham, wie übrigens auch Thomas, nicht wirklich als Blocker einsetzbar ist, spielt trotz des Run-intensiven Spiels der Hawks offenbar keine Rolle. Zwar könnte die Offense mit Graham auf dem Platz vereinzelt leichter ausrechenbar werden, doch umgekehrt bietet der 28-Jährige auch ein neues Matchup-Problem für Gegner.

Gegnerische Defenses müssen sich künftig entscheiden, ob sie immer noch einen Safety zusätzlich in die Box schicken und so die Run-Defense gegen Marshawn Lynch stärken - denn das könnte in Eins-gegen-Eins-Situationen für Graham resultieren. Decken dagegen zwei Spieler den Tight End, ergibt sich mehr Raum für Lynch sowie für die Receiver. Kurzum: Graham könnte aus Seahawks-Sicht die komplette Offense öffnen.

"Wir ergänzen so unser Team und glauben, dass er ein fantastischer Spieler ist, den wir vielfältig einsetzen können", so Coach Pete Carroll: "Wenn du Marshawn hast, dann startet alles mit dem Running Game und Russell. Aber in unseren Augen ist das eine tolle Ergänzung für unser Team und unsere Receiver, die auch so schon so viele Plays für uns abgeliefert haben."

In jedem Fall erhalten die Seahawks eine Red-Zone-Waffe, wie sie Russell Wilson noch nie hatte: Graham verzeichnete über die letzten vier Jahre 50 Receptions in der Red Zone und damit genau so viele wie alle Hawks-TEs hier zusammengerechnet über die letzten acht Jahre. In der End Zone sollte er ebenfalls wertvoll werden: Seattle rangierte in der Vorsaison lediglich auf Rang 20, was Red-Zone-Effizienz angeht.

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Unger-Verlust nicht zu unterschätzen

Die Waffe für Russell Wilson und Co. kam allerdings nicht ohne Preis: Neben dem Pick musste Seattle seinen Pro-Bowl-Center Max Unger abgeben. Unger fehlte in der Vorsaison zwar länger wegen Bein- und Fußverletzungen und wurde von Patrick Lewis und Lemuel Jeanpierre so gut vertreten, dass Carroll bereits einen internen Konkurrenzkampf um die Center-Position angekündigt hat.

Doch Unger war das Hirn einer ohnehin anfälligen O-Line, die auch Guard James Carpenter in der Free Agency verloren hat - und die Position des Centers sollte nicht unterschätzt werden. Als jüngstes Beispiel dient Matt Birk, nach dessen Abgang sowohl die Vikings (2008) als auch die Ravens (2012) Probleme mit ihrer Line bekamen.

Wilson musste allein in den letzten sechs Spielen 22 Sacks einstecken. Und nicht zu vergessen: Der anstehende Mega-Vertrag des QBs könnte angesichts Lynchs neuen Deals sowie Grahams Verpflichtung eine echte Herausforderung werden.

Mehr Ingram, weniger Brees?

Was also hat die Saints - zusätzlich zu dem Plan, den Fokus auf andere Baustellen zu richten - dazu bewogen, ihren größten Star neben Quarterback Drew Brees abzugeben? Immerhin hinterlässt Graham, der erst im Vorjahr seinen Monster-Deal erhalten hatte, Dead Money in Höhe von neun Millionen Dollar, reine Cap-Motive fallen also weg.

Ein Grund ist Grahams gesundheitliche Situation: Er schlug sich nahezu die komplette Vorsaison über mit Schulterproblemen herum, eine OP ist noch nicht komplett ausgeschlossen. Darüber hinaus war er, nach einem guten Lauf in der Saisonmitte, im Endspurt extrem enttäuschend (219 Yards, 1 TD und viele Drops über die letzten fünf Spiele).

Defenses hatten sich zunehmend auf Graham eingestellt und die weiten Pässe verhindert, seine 10,5 Yards pro Catch waren ein persönlicher Karriere-Tiefstwert. Zudem lieferten die Saints ihre besten Saisonspiele ab, als das Running Game um Mark Ingram dominierte.

Brees: "Bin geschockt"

So wurde das Passspiel vereinfacht, und das könnte der Hauptgrund sein. Immerhin ist Drew Brees inzwischen 36 Jahre alt und Coach Sean Payton wollte Unger Berichten zufolge unbedingt haben.

Die Vertragsverlängerung über vier Jahre und 16 Millionen Dollar für Ingram macht rückblickend so deutlich mehr Sinn, auch wenn Brees, der plötzlich ohne sein Lieblingsziel auskommen muss, klarstellte: "Ich bin davon so geschockt wie jeder andere auch. Ich liebe diesen Typen."

Der generelle Umbruch in New Orleans dagegen kommt wenig überraschend. Trotz der teuren Verpflichtung von Safety Jairus Byrd war die Defense in der vergangenen Saison eine der ligaweit schwächsten und auch die Offense funktionierte über weite Strecken nicht wie gewohnt. Das Resultat: Der selbsternannte Super-Bowl-Anwärter verpasste die Postseason - ein Desaster!

"Mutigen Schritt wagen"

Was bleibt also unterm Strich? New Orleans zeigt mit dem Trade, dass die Vorsaison wohl nicht als Ausrutscher abgetan wird. Während die Seahawks hoffen, ihr fehlendes Puzzlestück gefunden zu haben, wagen die Saints nach neun Pleiten in der Vorsaison, und das trotz der schwachen Division, den ersten Schritt zum Neuanfang.

Natürlich ist zunächst Abwarten angesagt, da aktuell noch niemand weiß, wie beide Teams nach dem Draft und taktisch auf dem Platz aussehen werden. Klar ist: Beide gehen ein Risiko ein. Die Saints verlieren ihren Top-Playmaker und schwächen Brees, während Seattle aufpassen muss, dass die O-Line nicht zum Problem wird und das Running Game, immerhin die Basis ihres Spiels, nicht schwächelt.

"Es war eine schwere Entscheidung. Wir lieben Jimmy Graham. Er war ein toller Spieler für unser Team", adelte Loomis den Getradeten, und fügte dann doch noch hinzu: "Aber wir hatten das Gefühl, dass wir einen mutigen Schritt wagen mussten, um uns zu verbessern, und das haben wir getan."

Der langfristige Ertrag des Trades bleibt abzuwarten, doch zumindest bei dieser Aussage wird Loomis niemand widersprechen können. Nachdem die Saison für beide Teams so bitter endete, mussten einfach Veränderungen her.

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