DER Harting: "Einfach nur anschreien"

Von Für SPOX in London: Alexander Mey
Robert Harting übte sich nach seinem Olympiasieg auch in anderen Disziplinen
© Getty

Robert Harting hat Gold in einem Wettkampf gewonnen, in dem eine Menge schief lief. Er und seine Vertrauten hatten den Glauben schon fast verloren. Als dann doch alles gut gegangen war, glänzte der Harting mit lockeren Showeinlagen und ebenso lockeren Sprüchen.

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"Ich befürchte, das packt er nicht mehr. Er sieht verkrampft aus." DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen saß während des Diskus-Wettkampfes in der letzten Reihe der Pressetribüne und war nervös. So nervös, dass er sagte, was er dachte, ohne offenbar daran zu denken, dass um ihn herum Journalisten saßen, die seinen Worten lauschen könnten.

Selbst der Chef hatte Zweifel an seinem großen Aushängeschild, an dem Mann, der nach zwölf Jahren endlich wieder eine olympische Goldmedaille für die deutschen Leichtathleten holen sollte. Harting war auf Gold abonniert - und er drohte daran zu zerbrechen.

Harting gesteht Selbstzweifel

"Ich bin superschwer in den den Wettkampf gekommen und die Beine sind immer schwerer geworden", beschrieb Harting. "Man konnte fühlen, wie der Zweifel immer höher rutschte. Vom Zeh über die Knie bis hin zur Hüfte. Am Ende habe ich nur noch aus dem Arm geworfen, aber der hat ja sieben PS. Ich bin superglücklich, dass das noch so ausgegangen ist."

Der Harting - er selbst verbindet seinen Namen gerne mit einem bestimmten Artikel - konnte vom ersten Wurf an seine gewohnte Dominanz nicht ausstrahlen. Immerhin war er seit 28 Wettkämpfen ungeschlagen und hatte im Mai zum ersten Mal die 70-Meter-Schallmauer durchbrochen. Er war der haushohe Favorit.

Lärm im Stadion: "Konnte nicht mehr denken"

Doch dann haute der Iraner Ehsan Hadadi gleich im ersten Versuch 68,18 Meter raus und ging in Führung. Harting war unter Zugzwang und ließ sich von äußeren Umständen aus dem Konzept bringen.

"Ich habe das nicht spannend gemacht, das war der Kampfrichter", sagte Harting und beschrieb, dass er den ersten Versuch wegen des Starts eines 800 Meter-Halbfinals eigentlich nicht machen wollte, aber musste.

Im zweiten Versuch störte ihn dann das ohrenbetäubend laute Publikum beim 800 Meter-Lauf eines Briten. "Die Leute waren so laut, dass ich gar nicht mehr denken konnte. Das habe ich noch nie erlebt", sagte Harting.

"Es stört einen nichts, solange einen nichts stört"

Den dritten Versuch musste Harting unterbrechen, weil nach Meinung des Kampfrichters sein Handtuch zu nah am Ring lag. "Keine Ahnung, was er sich dabei gedacht hat", sagte Harting und fasste zusammen: "Da waren drei Versuche einfach weg, in einem Olympia-Finale! Danach zurück zu kommen, ist verdammt schwer."

Daraus, dass ihn dieser Fehlstart psychologisch in ernste Probleme gebracht hat, machte Harting im Nachhinein keinen Hehl. "Es stört einen nichts, solange einen nichts stört. Dann passiert irgendetwas, womit du nicht gerechnet hast, und du beginnst zu denken", sagte er.

Harting macht es wie Klitschko

Er hat es aber trotztdem geschafft. Der fünfte Versuch, genau der, der nach den ersten Anflügen von Zweifeln des Sportdirektors folgte, war letztlich der Goldwurf. Neun Zentimeter weiter als der von Hadadi. Harting ist damit am Ziel. Er ist gleichzeitig Olympiasieger, Welt- und Europameister.

"Klitschko hat drei Gürtel, bei mir sind es gerade die drei Goldmedaillen, die man in der Leichtathletik gewinnen kann", sagte Harting. Und was kommt jetzt? "Eine typisch deutsche Frage: Was geht jetzt noch? Brasilien ist ein wunderschönes warmes Land", spielte der 27-Jährige auf eine mögliche Titelverteidigung in vier Jahren an.

Erst zu Faxen aufgelegt, dann nachdenklich

Vorausgesetzt, die Gesundheit macht mit. "Das Knie tut halt weh. Es ist leider wieder genauso wie im letzten Jahr, trotz Operation", sagte er und wurde dabei trotz des Triumphs kurz ernst. "Die letzten drei Jahre haben mich sehr verändert aufgrund der vielen Schmerzen. Jetzt bin ich einfach nur froh, dass der ganze Kampf belohnt wurde."

Klingt nach einer reifen Persönlichkeit, die deutlich mehr im Kopf hat als nur Diskuswerfen und Faxen. Wobei: Das mit den Faxen hatte Harting auch noch bestens drauf.

Harting setzt zum Hürdenlauf an

Noch im Stadion zerriss er erst in seiner typischen Art das Trikot und sorgte dann noch für eine besondere Showeinlage, als er kurzerhand auf der Strecke, auf der wenige Minuten später die 100 Meter Hürden der Frauen stattfinden sollten, über die bereits stehenden Hindernisse einen eigenen Hürdenlauf hinlegte.

Die 80.000 Zuschauer johlten, als er diesen Lauf absolvierte, die Presserunde johlte, als er ihn danach beschrieb. Denn er sagte: "Die ganzen Kampfrichter am Anfang der Hürdenbahn haben mir verboten, über die Hürden zu laufen. Damit haben sie mich natürlich provoziert. Dann bin ich los gelaufen. Ich wusste, das mir Sally Pearson zuschaut, und dachte, ich könnte ihr vielleicht noch den einen oder anderen technischen Trick zeigen."

Die Australierin Pearson schaute sich offenbar wirklich etwas ab, denn sie gewann kurz darauf ihrerseits Gold.

Harting lässt sich vom Teamkollegen anschreien

Um sein eigenes Gold im letzten Versuch abzusichern, holte sich Harting Hilfe von Teamkollege Martin Wierig, der in einem für ihn ausgezeichneten Wettkampf Sechster wurde. "Er hat mir gesagt, ich soll ihn vor seinem letzten Versuch noch einmal richtig anschreien. Einfach nur anschreien, damit er noch einmal wach wird", sagte Wierig.

Die Anekdote passt zu Harting, auch wenn das Anschreien nichts mehr gebracht hat. Harting verbesserte sich nicht mehr und musste bangen, dass Hadadi auch nicht mehr zulegen kann. Zum Glück konnte er es nicht, und auch kein anderer packte mehr eine Granate aus, denn: "Ich hätte vermutlich keinen Wurf mehr kontern können", gestand Harting.

Sportdirektor: "War doch klar, dass er das schafft"

Sportdirekor Kurschilgen lag mit seiner pessimistischen Einschätzung auf der Pressetribüne also doch nicht ganz so falsch. Auch wenn er danach, als er die Journalisten wieder direkt ansprach, von seinen Zweifeln nichts mehr wissen wollte.

"War doch klar, dass er das noch schafft. Er ist schließlich der Herr der Ringe", sagte Kurschilgen und machte sich auf den Weg weg von der Pressetribüne, hin zu Robert Harting, dem strahlenden Sieger des Abends.

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