Schüttler: "Sie kamen mit Trompeten"

Von Interview: Florian Regelmann
Nicolas Kiefer und Rainer Schüttler haben in Athen Silber gewonnen...
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SPOX: Wer Leute im Tennis nach Rainer Schüttler fragt, wird als erstes wohl immer zu hören bekommen, was für ein harter Arbeiter Sie waren. Sie waren mit Sicherheit der fitteste Spieler auf der Tour. Woher kam dieser Trainingsfleiß?

Schüttler: Ich glaube, dass es generell viele Spieler gibt, die talentiert sind, sich aber nicht quälen möchten. Dann gibt es viele Spieler, die sich quälen können, aber das Talent nicht haben. Und es gibt auch so viele Spieler, die talentiert sind, unglaublich hart arbeiten, aber ständig verletzt sind. Weil der Körper nicht mitspielt. Bei einem erfolgreichen Tennisspieler muss das komplette Paket stimmen, sonst geht es nicht. Wenn jemand denkt, dass ein Federer nicht hart arbeitet, ist das völliger Blödsinn. Roger arbeitet brutal hart, auch wenn es bei ihm immer alles so elegant und leicht aussieht. Er ist nicht nur der Zauberer. Meine Stärke war, aggressiv von der Grundlinie zu spielen, schnelle Beine zu haben und viele Bälle zu erreichen. Mir hat harte Arbeit immer Spaß gemacht. Heutzutage hast du sonst auch gar keine Chance.

SPOX: Und früher?

Schüttler: Früher war das noch ein bisschen besser möglich, wenn man einen guten Aufschlag hatte. Aber jetzt sind die Bälle und Beläge langsamer, jeder returniert gut, jeder bewegt sich gut, und wir haben ganz andere Athleten als vor zehn oder 15 Jahren. Es ist auch insgesamt viel professioneller geworden. Früher konntest du Spieler, die am nächsten Tag gegeneinander gespielt haben, noch am Abend vorher an der Bar sehen, wie sie ein Bierchen zischen.

SPOX: Sie haben dann noch weitere Turniersiege gefeiert (Lyon, Tokio) und waren fester Bestandteil der Top 10. 2004 standen Sie dann sogar auf 5 (Federer, Roddick, Ferrero, Coria, Schüttler). Danach kamen allerdings auch schwierige Jahre. Was war die härteste Zeit?

Schüttler: Wenn ich zurückschaue, muss ich sagen, dass ich zweimal den gleichen Fehler gemacht habe. 2004 hatte ich im Dezember eine Knie-Operation, ich wollte aber unbedingt wieder in Australien spielen. Ich muss da hin. Ich will nicht in der Rangliste abrutschen. Das waren meine Gedanken. Dirk Hordorff wollte, dass ich pausiere, aber ich habe meinen Dickkopf durchgesetzt. Das war aber einfach zu früh. Ich war zu hungrig, was mir dann ein halbes Jahr gekostet hat. Mit dem Pfeifferschen Drüsenfieber war es dann noch mal die gleiche Geschichte. Ich weiß noch, wie ich in Pörtschach war. Sobald ich zu viel machte, habe ich innerhalb von zwei Stunden 40 Grad Fieber bekommen. Am Sonntag wollte ich mich mit meinen Eltern zum Mittagessen treffen, ich lag 16 Stunden im Bett und habe nur geschlafen - ich war total fertig. Irgendetwas stimmte nicht. Ein Test brachte dann die Diagnose. Ich hatte dann aber wieder nicht die Ruhe, mal einige Monate rauszunehmen und mir Zeit zu geben.

SPOX: Nach schwierigen Jahren haben Sie sich dann wieder zurückgekämpft. Bis 2008 noch einmal ein absoluter Höhepunkt kam: Wimbledon. Diesmal sind Sie als Nummer 94 zum Turnier gekommen, wieder hatte Sie niemand auf der Rechnung. Nach einem unfassbaren über fünf Stunden langen Match gegen Clement standen Sie plötzlich im Halbfinale.

Schüttler: Nach dem Match gegen Clement habe ich in der Umkleide mein Cool Down gemacht und meine Schwester angerufen. Ich spiele morgen gegen Rafa, das werdet Ihr und ich wohl nicht noch mal erleben, Ihr müsst unbedingt kommen, ich buche heute Abend die Flüge. Meine Eltern wollten erst nicht, weil das Haus schon wieder voll war, aber ich habe meine Schwester gebeten, sie doch zu überreden. Dann sind sie gekommen, nachdem sie länger nicht mehr dabei gewesen waren, und konnten die Atmosphäre live erleben. Sie waren auch hin und weg, viel besser geht es im Tennis ja auch nicht. Das war ein besonderer Moment, sie da dabei zu haben.

SPOX: Im Halbfinale ging es also gegen Nadal. Wie in Melbourne gegen Agassi haben Sie sich sicher vorgenommen, gut ins Match reinzukommen...

Schüttler: ... und das hat wieder überhaupt nicht geklappt. 1:6. 20 Minuten. Ich habe mir gedacht: Das kann ja wohl nicht sein, dass ich schon wieder so abgeschossen werde, wenn es mal um was geht. (lacht) Dann habe ich aber besser gespielt, bin mutiger geworden und habe mehr riskiert. Bei 5:4 habe ich auf den 2. Satz aufgeschlagen, aber er hat dann auch gut gespielt. Und wenn er dann mal rollt, dann rollt er.

SPOX: Wimbledon war dann leider der letzte Grand-Slam-Höhepunkt. Wie ist die Entscheidung bis zum Rücktritt in den Jahren danach gereift?

Schüttler: Ich habe zunächst noch ganz solide gespielt und war wieder in den Top 30, aber danach habe ich mir selbst zu viel Druck gemacht. Ich wollte unbedingt noch mal richtig angreifen und dachte, jetzt geht es noch mal ab, aber dann habe ich einfach nicht gut gespielt. Ich war dann auch schon 32, 33. Eigentlich hatte ich letztes Jahr schon überlegt, dass es jetzt reicht, aber Dirk hat mich noch mal motiviert, dass ich doch noch mal versuchen solle, zu Olympia zu kommen. Was ja meine vierten Olympischen Spiele gewesen wären, Wahnsinn. Und wo kannst du besser aufhören als in Wimbledon? Dann haben wir einen Plan gemacht und das durchgezogen, bis eine Adduktorenverletzung dazwischen kam. Ich merkte, dass es für Olympia nicht mehr reicht und musste mir die Frage stellen, was noch ein realistisches Ziel sein könnte? Das war aber für mich nicht mehr interessant, wenn du mal auf 5 der Welt gestanden bist.

SPOX: Keine Motivation mehr da?

Schüttler: Genau. Die Motivation war weg. Ich habe trotzdem noch mal die Vorbereitung mitgemacht, weil ich ja harte Arbeit mag, und mich mit Tipsarevic und Co. in Kenia sechs Wochen gequält. Als ich dann in der Quali der Aussie Open im dritten Satz 6:8 verlor, war das Thema aber durch. Ich hatte zwei Freunde mitgenommen und wir haben dann direkt zwei Wochen Urlaub gemacht. Ich habe nur noch mit der offiziellen Verkündung gewartet, weil ich schauen wollte, ob der Rappel mich noch mal packt. Ich habe es aber gar nicht vermisst. Und es kamen sehr schnell interessante neue Sachen auf mich zu.

SPOX: Jetzt steigen Sie ins Management ein, werden das Nachfolge-Turnier des World Team Cups in Düsseldorf mitorganisieren und dabei Lehrling von Ion Tiriac sein. Worauf freuen Sie sich am meisten?

Schüttler: Zuerst mal freue ich mich, dass der Sprung vom aktiven Sportler ins Leben danach so reibungslos geklappt hat. Die Partnerschaft mit Herrn Tiriac ist sensationell, jeder weiß, was er für Boris Becker und das deutsche Tennis gemacht hat, welche Turniere er schon organisiert hat. Ich lerne unglaublich viel und arbeite hart daran, dass ich die Erwartungen so gut es geht erfülle.

SPOX: In gewisser Weise haben Sie sich ja auch während Ihrer Karriere auf ein Management-Leben vorbereitet. Sie waren unter anderem mal Präsident des Player Councils.

Schüttler: Dirk Hordorff hat mich auch da ein bisschen reingeschubst. Er hat überhaupt immer geschaut, dass ich mich nicht nur mit Tennis beschäftige. Als wir mit unserer Zusammenarbeit anfingen, war ich 19 und musste in seinem Büro erst mal einen Schreibmaschinenkurs machen. Später hat er mich dann auch in Immobilien-Projekte involviert, weil er ja auch aus der Branche kommt. Oder er hat mich in Management-Entscheidungen an die Hand genommen.

SPOX: Viele Spieler erzählen, dass Sie oft nur zwischen Hotel und Trainingsplatz pendeln. Was haben Sie während Ihrer Karriere von der Welt gesehen?

Schüttler: Also wenn man etwas sehen will, dann geht das auch. Ich habe das immer gemacht. 2008 habe ich mit meinem Coach eine Vereinbarung getroffen, dass wir bei jedem Turnier mindestens 20 Bilder schießen und uns mindestens einen halben Tag nehmen, um die Stadt zu erkunden. Ich war immer ein großer Asien-Fan, aber es gibt überall auf der Welt Sehenswürdigkeiten, die man besuchen kann. Das war mir immer wichtig.

SPOX: Lassen Sie uns zum Abschluss noch zum deutschen Tennis kommen. Mit Kohlschreiber und Haas stehen zwei Jungs in den Top 20, Mayer ist auch noch in den Top 30. Wie bewerten Sie die Situation?

Schüttler: Tommy hat wirklich ein sensationelles Comeback hingelegt. Wenn Tommy fit ist, ist er einfach ein geiler Spieler. Schade, dass er nicht zu Olympia durfte, er hätte es verdient gehabt. Insgesamt muss man sagen, dass wir in der Breite gut aufgestellt sind. Wir haben bei jedem Grand Slam zehn Spieler im Hauptfeld. Was fehlt, ist ein Top-10-Spieler. Wir sind aber immer noch verwöhnt durch die Becker-Graf-Stich-Zeit. Ich bin mal gespannt, wer in der Schweiz die Lücke nach Federer schließt? Oder in Spanien nach Nadal? Oder in Serbien nach Djokovic? Die Messlatte ist einfach sehr hoch. Aber klar, ein junger Wilder, der sich hochkatapultiert, würde uns gut tun. Einer, der auch die anderen dann mitzieht, so wie es früher bei Tommy, Kiwi und mir war, oder wie es jetzt bei den deutschen Mädels ist. Dass du dir denkst: Hey, ich hab den im Training geschlagen, wieso steht er auf 10 und ich nur auf 40, das gibt's doch nicht. In Serbien ist genau das passiert. Durch Djokovic kamen dann auch Tipsarevic und Troicki hoch.

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