Schüttler: "Sie kamen mit Trompeten"

Von Interview: Florian Regelmann
Nicolas Kiefer und Rainer Schüttler haben in Athen Silber gewonnen...
© Getty

Rainer Schüttler beendete nach 17 Jahren Profi-Tennis seine Karriere. Im SPOX-Interview lässt der 36-Jährige seine Karriere Revue passieren und spricht über das Olympia-Drama, seine sensationellen Auftritte bei den Australian Open und in Wimbledon - aber auch über harte Zeiten.

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SPOX: Fangen wir gleich mit dem "Schlimmsten" an. Olympische Spiele 2004 in Athen. Rainer Schüttler und Nicolas Kiefer schlagen alles, was Rang und Namen hat (u.a. Bhupathi/Paes), haben im Finale gegen Gonzalez/Massu im Tiebreak des vierten Satzes beim Stand von 6:2 vier Matchbälle und stehen am Ende trotzdem "nur" mit Silber da. Tut es noch weh?

Rainer Schüttler: Es war mein schönstes und gleichzeitig mein schlimmstes Erlebnis. Kiwi und ich haben uns innerhalb des Turniers so hoch gepusht. Wir haben so für diese Medaille gefightet, weil Olympia so einen besonderen Stellenwert hat. Als Tennisspieler hast du vier Grand Slams im Jahr, aber Olympia ist Olympia. Wenn du da eine Medaille holst, kannst du dich zumindest für dich selbst unsterblich machen.

SPOX: Welche Erinnerungen haben Sie an das Finale?

Schüttler: Wir haben den ersten Satz glatt verloren und uns dann gesagt, dass wir etwas ändern müssen. Die beiden Chilenen haben auf Hartplatz von hinten gespielt, also haben wir versucht zu crossen, sie zu stören, wir haben versucht, irgendetwas anders zu machen. Was dann auch geklappt hat. Leider haben wir es nicht ganz zu Ende gebracht und das Ding im Fünften 4:6 verloren. Wenn man das Bild von der Siegerehrung sieht, sieht man, dass weder Kiwi noch ich jemals nach einem verlorenen Match so zerstört gewesen sind.

SPOX: Wie lange hat der Schmerz angehalten?

Schüttler: Ich bin am nächsten Tag nach Hause geflogen, um vor den US Open bei meinen Eltern zum Mittagessen vorbei zu schauen. Ich hab sie aber vorgewarnt, dass ich schlechte Laune hätte. Als ich ankam, wollten meine Eltern und meine Schwester sofort die Medaille sehen. Und mein Vater hat mich dann so genervt. Er erzählte, wie voll das Wohnzimmer bei unseren Matches immer gewesen und was da für eine Party abgegangen wäre - wir sollten doch wenigstens mal die Verwandten anrufen. Nach dem fünften Mal habe ich ihm gesagt, mach doch was du willst. Also rief meine Mutter meine Tante an und eine halbe Stunde später war das Haus gerammelt voll. Mit Trompeten sind sie gekommen. Jeder wollte die Medaille sehen. Es war ein Fest. In diesem Moment habe ich erst realisiert, wie sehr sich andere über diese Silbermedaille mitfreuen. Da habe ich dann auch angefangen mich mitzufreuen. (lacht) Es wurde ein richtig cooler Abend.

SPOX: Wenn man Ihre Karriere chronologisch durchgeht, springt einem der erste Turniersieg 1999 in Doha ins Auge.

Schüttler: Erst mal hatte ich bis 16 gar nicht die Idee, Profi zu werden. Ich wollte studieren und wie meine Schwester in der Bank arbeiten. Das war so meine Idee, bis mich Dirk Hordorff da reingeschubst hat. 1995 hatte ich die Schule beendet und stand dann relativ schnell so um Platz 120 bis 150 in der Weltrangliste, dort stand ich dann aber irgendwie zwei Jahre lang. Bis Doha kam und sich alles mit einem Schlag veränderte. Ich musste sogar noch Quali spielen und hatte in der letzten Runde große Mühe, im dritten Satz lag ich da schon mit einem Break hinten. Aber dann habe ich angefangen, unglaublich zu spielen. Medvedev geschlagen, Ivanisevic, Pioline, dann im Finale Henman, drei Top-20-Spieler in Folge, sogar einen Top-10-Spieler - das war sensationell. In der Weltrangliste habe ich mich sofort so auf Rang 50 katapultiert. Das sind unglaubliche Erinnerungen. Wenn man so reflektiert, wie jung ich damals war, die Bilder, schon cool.

SPOX: Sie haben 1999 auch noch in der ersten Runde von Toulouse gegen einen ganz jungen Roger Federer gespielt. 6:7. 1:6.

Schüttler: Ich dachte, ich hätte in drei Sätzen verloren. Egal, als Tennisspieler neigt man dazu, die Niederlagen zu verdrängen. (lacht) Ich kann mich eher an das Match gegen Roger 2002 in Dubai erinnern, als ich ihn 6:3, 6:1 geschlagen habe. Man konnte damals schon absehen, dass er mal ein richtig Guter wird. Er war ja in der Jugend etwas ungestüm, aber zu diesem Zeitpunkt war er schon ruhiger geworden und hatte begonnen, sehr erfolgreich zu spielen.

SPOX: Zurück zu Ihnen. Als Sie 2003 zu den Australian Open gekommen sind, standen Sie in den Top 40, 2002 waren Sie sogar schon mal die 22. Sie waren also absolut etabliert, aber niemand hätte für möglich gehalten, was sich in den nächsten zwei Wochen abspielen sollte. Plötzlich hieß es: "Who the hell is Rainer Schüttler?"

Schüttler: Ich habe schon in den Wochen zuvor gutes Tennis gespielt und bin mit Selbstvertrauen nach Melbourne gekommen. Und dann läuft es, wie es manchmal so läuft. Du gewinnst ein paar Matches, bist locker, das Selbstvertrauen wird immer größer, dann ist es wirklich sehr, sehr gut gelaufen. Ich habe mir gar keine großen Gedanken gemacht. Ich hatte zudem das Jahr zuvor sehr gut gearbeitet und war körperlich topfit, sodass mir die Hitze auch nicht so viel ausgemacht hat. Es kam irgendwie alles zusammen. Es war ein richtiger Höhenflug. Ich habe es einfach genossen, in den vollen Stadien zu spielen. Es war genial. Klar, das hatte vorher niemand geahnt. Ich habe aus diesen Wochen so viele schöne Erinnerungen, die ich nicht missen möchte.

SPOX: Es waren auch wahnsinnige Matches dabei auf dieser Reise bis ins Finale. Vor allem dann auch das Viertelfinale gegen Nalbandian und das Halbfinale gegen Roddick.

Schüttler: Nalbandian ist ja echt ein zäher Kerl, gegen den 6:0 im Vierten zu gewinnen, das war schon klasse. Und das Night-Session-Match gegen Roddick war dann eh der Knaller. Wie ich da beim Matchball den Rückhand-Longline-Passierball getroffen habe, das habe ich jetzt noch im Gefühl. Es gibt nichts Schöneres, als wenn man einen Ball richtig satt trifft und genau weiß, wo der Ball hingeht. Das war so einer von diesen Schlägen.

SPOX: Im Finale ging es dann gegen Andre Agassi. Ihr Idol. Konnten Sie die Nacht vor dem Match schlafen?

Schüttler: Ich war eigentlich gar nicht so nervös. Es stimmt natürlich, gegen Andre im Finale der Australian Open zu spielen, das war unglaublich für mich. Aber ich hatte vorher schon mal in München gegen ihn gespielt, wir hatten auch mal zusammen trainiert, wir kannten uns. Mein Problem war mehr, dass ich wusste, ich spiele gegen jemanden, der alles ein bisschen besser spielt als ich. Aber auf der anderen Seite war ich so gut drauf. Die Marschroute war dann, am Anfang zu versuchen dranzubleiben, dann kriegst du deine Chance. Aber er hat mich dann so weggemacht. Ich habe alles versucht dagegenzusetzen, aber er hat viel zu gut gespielt. Ich war danach zwar enttäuscht, dass es viel zu schnell vorbei war, aber wenn jemand so spielt, muss man das dann auch akzeptieren. Es ist ja zum Glück nur Tennis.

SPOX: Sie haben Agassi in Montreal dann auch noch geschlagen in Ihrer Karriere. Und beim Masters waren Sie einmal ganz knapp dran. Was hat Sie als Persönlichkeit so fasziniert an ihm?

Schüttler: Er ist ein sehr charismatischer Typ. Ich hatte einige wirklich interessante Gespräche mit ihm. Als Steffi und er gerade ihr erstes Kind bekommen haben, waren wir in Indian Wells einmal beide für die Night Session angesetzt. Da haben wir in der Umkleide geplaudert. Ich war auch dabei, als er nach seiner letzten Niederlage gegen Benny Becker in die Kabine kam und er von allen Spielern eine Standing Ovation bekam. Ich habe noch nie so viele Spieler in einer Umkleide gesehen. Er war dann auch total berührt. Das zeigt, wie viel ihm Tennis und das Lob seiner Kollegen bedeutet hat. Ein toller Mann.

Teil 2: Schüttler über sein Wimbledon-Halbfinale und das deutsche Tennis

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