Todesbiss oder Kobrabeschwörung?

Kubrat Pulev (r.) will Wladimir Klitschko vom Thron stoßen
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Ausdauer

Mit dem Alter kommt die Weisheit. Besser könnte man den Wandel Klitschkos wohl kaum beschreiben. Während sich der Ukrainer zu Beginn seiner Profi-Karriere zumeist früh verausgabte und so noch vor Ende des Kampfes stehend K.o. war, hat er mit den Jahren gelernt sich seine Kraft einzuteilen. Mit 38 hat er deshalb kaum Probleme mit einem Kampf über die volle Distanz. Die Tatsache, dass er in der Regel das Kampfgeschehen diktiert, kommt entlastend hinzu.

"Ich habe Angst vor der biologischen Uhr, die unaufhaltsam tickt", weiß allerdings auch der Weltmeister: "Aber noch spüre ich mein Alter nicht. So lange ich es noch schaffe, der Beste zu sein und die Gegner zu dominieren, gibt es keinen Grund aufzuhören."

Trotz der gewohnten Fitness Klitschkos kann der immerhin fünf Jahre jüngere Herausforderer in Sachen Kondition aber durchaus mithalten. Selbst die kraftraubenden Treffer, die Pulev in vergangenen Kämpfen einstecken musste, sorgten nicht dafür, dass er am Kampfende nicht mehr auf der Höhe des Geschehens war. Vor dem anstehenden Duell befindet er sich nach eigenen Aussagen zudem in der Form seines Lebens - kein Vergleich also zu Vorgängern wie beispielsweise Alex Leapai.

"Wladimir wird im Ring viel laufen müssen, ich werde ein sehr gefährlicher Gegner sein", sagte Pulev und fügte an: "Er wird Probleme bekommen." Er weiß, dass er ein hohes Tempo gehen kann und dies auch muss. "Ich habe Energie für 20 Runden", so der Bulgare weiter.

SPOX-Urteil: Unentschieden

Körperliche Verfassung

In der Vergangenheit war Klitschko seinen Kontrahenten im Ring auf der physischen Ebene zumeist deutlich überlegen. Auch diesmal präsentierte er sich im Vorfeld des Kampfes in gewohnter Verfassung, ein Gramm Fett sucht man am Körper des Ukrainers vergebens, Muskeln bestimmen das Bild. Im Vergleich mit Pulev ist er - wenig verwunderlich - erneut vorne, allerdings in einem deutlich geringeren Ausmaß. Mit einer Körpergröße von 198 cm ist der jüngere Klitschko-Bruder nur rund vier Zentimeter größer als sein Gegenüber, bei der Reichweite sind es deren drei (206 cm zu 203 cm).

Eine Konstellation, die für Spannung sorgen könnte. "Er wird nicht in der Lage sein mit mir im Clinch so zu verfahren wie beispielsweise mit Povetkin", zeigte sich der Titelanwärter, der allerdings bei Geschwindigkeit und Beweglichkeit trotzdem im Hintertreffen ist, überzeugt: "Ich bin ihm keinesfalls ausgeliefert." Auch das Gewicht beider Kämpfer unterscheidet sich nur um 0,5 kg (111,5 zu 112). Diesmal allerdings zu Gunsten Pulevs.

SPOX-Urteil: Vorteil Klitschko

Fähigkeiten

In puncto Technik ist Klitschko ohne Zweifel auf einem eigenen Level - vor allem bei seiner Körpergröße. Sein Jab hat über die Jahre an Dominanz gewonnen, seine Schlagkraft ist extrem und auch seine koordinativen Fähigkeiten sind auf Top-Niveau. Die größte Entwicklung hat er jedoch in der Defensive durchlebt. Die Folge: Die Niederlagen der Vergangenheit wären heute undenkbar.

Pulev hingegen kann vieles, aber nichts davon außergewöhnlich. Keine Frage, das Gesamtpaket stimmt: Der Herausforderer ist ein robuster und technisch gut ausgebildeter Boxer, der über eine solide Schlagkraft sowie eine starke Kondition verfügt. Zudem versteht er die Bedeutung von Distanz, Reichweite und Timing - und dennoch: Es fehlt ihm einfach das gewisse Etwas.

Ankreiden lassen muss er sich zudem seine offensiv zuweilen eindimensionale Art, einen Mangel an Explosivität und einen mangelhafte Deckungsarbeit, die er jedoch mit seiner Beinarbeit zu kaschieren vermag. Vor allem seine Tendenz nach hinten statt zur Seite auszuweichen, sollte er sich abgewöhnt haben, sonst droht ihm ein Desaster.

SPOX-Urteil: Vorteil Klitschko

Mentale Stärke

Ohne Frage, die Auftritte Briggs' haben mit Sicherheit Nerven gekostet, in großer Gefahr war Klitschko innerhalb des Rings zuletzt jedoch nie. Ein anderer Faktor dürfte deshalb deutlich schwerer ins Gewicht fallen: Er wurde in seiner Karriere bisher dreimal ausgeknockt. Die Erinnerungen daran hängen zweifelsohne tief in seinem Gedächtnis und sind unmöglich zu vergessen. Vor allem vor dem Hintergrund, dass er praktisch nur durch einen K.o. zu bezwingen ist.

"Er hat alles für einen Weltmeister, aber er hat kein Herz. Er ist wie ein Mädchen", war nur eine Aussage Pulevs, der ebenfalls versuchte, die Nerven seines Gegners zu strapazieren. Hinzu kommen der Vorwurf der lediglich vorgetäuschten Verletzung und das Fernbleiben bei der offiziellen Pressekonferenz. Ob er damit jedoch Eindruck schinden konnte, ist höchst fragwürdig. Deshalb sollte der Bulgare seinen Fokus auf sich richten - den Glauben dazu scheint er zu haben, wirkt er gefestigt und selbstsicher.

Auch an Einsatz dürfte es nicht mangeln. "Er ist besessen von dem Gedanken, Schwergewichts-Champion zu werden", so Pulevs jüngerer Bruder Tervel: "Er weiß, dass es harte Arbeit sein wird, aber er wird alles tun was nötig ist." Wie die Situation in der mit knapp 14.000 Zuschauern seit Wochen ausverkauften Hamburger o2 World letztlich aussehen wird, wenn der Kampf nicht nach seinem Plan läuft, ist offen. "Viele Boxer haben im Vorfeld große Ankündigungen gemacht, im Kampf machten sie dann jedoch das genaue Gegenteil davon", zeigte sich Kitschko gelassen.

SPOX-Urteil: Vorteil Klitschko

Fazit

Auch im Duell in Hamburg findet sich Klitschko eindeutig in der Favoritenrolle wieder. Pulev bleibt - wie den letzten Gegnern des Ukrainers - nur die Position als Außenseiter, die jedoch keinesfalls mit einer kompletten Aussichtslosigkeit gleichgesetzt werden darf. Der Bulgare verfügt über Möglichkeiten, diese muss er allerdings auch umsetzen.

Alles fußt dabei auf einer soliden Defensivarbeit. Schafft es der 33-Jährige nicht, diese im Vergleich zu seinen letzten Kämpfen zu verbessern, gehen die Lichter aus - Kinn hin, Kinn her. Auch einen eher langsamen Start darf er sich nicht erlauben, eine große Intensität ist für ihn das Hauptaugenmerk.

Darüber hinaus wird es zum Duell der Führhände kommen, der Jab den Kampf ohne Zweifel entscheidend prägen. Besonders da beide Athleten Distanzboxer sind und auch Pulev über entsprechende Qualitäten in seiner Führhand verfügt.

Auf den Punktzetteln wird er dennoch keine Chance haben. Es gilt für Pulev deshalb die vorzeitige Entscheidung zu suchen. Ein Umstand, der Klitschko nicht verborgen geblieben sein dürfte. Deshalb wird dieser wohl nicht von seiner Linie abweichen und versuchen aus der Distanz über seinen Jab den Kampf zu diktieren. Zwar sind die körperlichen Vorteile geringer als bei seinen letzten Gegnern, dennoch sind sie noch immer vorhanden. Geht Pulev, dessen Stil Klitschko eigentlich liegen sollte, aus der Notwendigkeit heraus ein zu großes Risiko, ist ein K.o.-Sieg des Ukrainers wahrscheinlich.

SPOX-Urteil: Später K.o.-Sieg Klitschko

Seite 1: Vorbereitung bis Kinn

Seite 2: Ausdauer bis Fazit

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