Mad World

Jetzt heiß es zuschauen! Neymar wurde nach seinem Aussetzer für vier Spiele gesperrt
© getty

Ein Ausraster auf dem Platz sowie eine Attacke auf den Schiedsrichter in den Katakomben nach dem Spiel gegen Kolumbien kosten Brasiliens Nationalheiligtum Neymar die Copa America. Es ist nicht erst der jüngste Eklat um den Superstar, der zeigt: Neymar zu sein ist nicht nur nicht einfach - es ist unmöglich.

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Weit oben auf Neymars Facebook-Seite springt einem der kleine Werbe-Clip entgegen. Eine brasilianische Kleinfamilie ist da zu sehen, Mutter, Vater, Kind. Der dunkelgraue Kombi vor der schicken Stadtwohnung geparkt, vorfreudig auf dem Weg zum Familienausflug. Doch der Autoschlüssel dreht sich vergebens im Zündschloss, irgendetwas ist hier kaputt.

Doch keine Panik! Für solche Fälle sind ja zum Glück Neymar und seine fachkundigen Kumpels von "Heliar Baterias" da. Die tauschen so eine kaputte Autobatterie einfach aus. 24-Stunden-Notservice, versteht sich. Am Ende gibt's sogar noch ein Selfie mit dem Superstar. Laune, Auto und Ausflug sind gerettet.

Man muss nicht viel weiter scrollen, bis Neymars Trikot in der Timeline auftaucht. Geformt von einem kroatischen Künstler aus Red-Bull-Dosen. Das trifft sich besonders gut, wenn man den Brausehersteller ohnehin seinen Werbepartner nennen darf. Auch auf dem Cover des neuesten Pro Evolution Soccer ist der 23-Jährge zu sehen, wie er virtuell mit Stolz verkündet. Guarana Antarctica trinkt Neymar sowieso seit jeher mit großer Begeisterung und wenn man sich schnell genug bei Pokerstars mit dem Passwort "NEYMARJR11" anmeldet, dann gibt es sogar ein Meet and Greet zu gewinnen.

Bald wird Neymar 53 Millionen Fans auf Facebook haben. Seinen Followern hat der 23-Jährige in den letzten neun Posts fünfmal Werbung vorgesetzt. Mit ihm als Testemonial. Ein skurriles Schauspiel, das zeigt, dass Vater Neymar senior keine Sprüche klopft, wenn er seinen Sohn nicht als Fußballer oder Popstar betitelt, sondern als Firma.

Ein Akt der Aggression

Zumindest in den sozialen Medien wurde es in den vergangenen Tagen ruhig um Neymar da Silva Santos Junior. Keine neuen Werbe-Clips, keine der zahlreichen gottesfürchtigen Einzeiler mehr, keine Bilder von Toren und Trophäen. Dafür türmten sich in der echten Welt die Schlagzeilen über ihn.

Ausgerechnet er. Das Idol, der Triple-Sieger, derjenige, der seit Jahren die Hoffnung von 200 Millionen fußballverrückten Brasilianern auf seinen schmalen Schultern trägt, hatte sich einen derartigen Aussetzer erlaubt. Ein Frustschuss in den Rücken von Kolumbiens Pablo Armero und einen angedeuteten Kopfstoß gegen Jeison Murillo noch auf dem Feld, ein Griff in den Nacken und die Worte "Du willst auf meine Kosten berühmt werden, du Hurensohn" gegen den Schiedsrichter Enrique Osses nach Ende des Spiels im Bauch des Estadio Monumental David Arellano.

Von einem "Akt der Agression" und einer glimpflichen Strafe sprach Alberto Lozada vom CONMEBOL-Disziplinarkomitee, das Neymar für vier Spiele aus dem Verkehr zog: Das vorzeitige Copa-Aus für den Kapitän der Selecao.

Begonnen haben soll alles aber schon früher am Abend, mit Juan Zuniga. Jener Spieler, der Neymar bei Brasiliens Heim-WM mit einem ungestümen Foul den dritten Lendenwirbel brach. Es folgten Anfeindungen, Morddrohungen - eine Hexenjagd schaurigen Ausmaßes gegen den Kolumbianer. Allerdings sahen 73.429 Zuschauer wenige Monate später, wie sich Neymar und Zuniga bei einem Freundschaftsspiel in Miami mit einer herzlichen Umarmung aussöhnten. Der Brasilianer trieb sogar seine Späße mit dem vermeintlichen Peiniger und nominierte Zuniga für die Ice Bucket Challenge.

Und jetzt? "Ruf mich nachher an, um dich zu entschuldigen, du Hurensohn", soll Neymar seinem Gegenüber vor wenigen Tagen mehrfach an den Kopf geworfen haben.

Die größtmöglich Bürde

Es sind Momente wie dieser, die zeigen, wie unmenschlich groß der Druck ist, dem sich der 23-Jährige aus Mogi das Cruzes ausgesetzt sieht. Neymar ist die Blaupause des Idols für eifernde Hinterhof-Kicker auf der ganzen Welt, eine Figur, die man sich für die Generation Playstation nicht besser ausdenken hätte können. Doch ist Neymar auch ein junger Mensch, der sich einer Welt ausgesetzt sieht, die auf ihre Weise extremer nicht sein könnte. Polarisierend, wertend, jeden Schritt observierend. Jederzeit kurz davor, zu explodieren.

Randnotizen oder kleine Zwischenfälle? Die gibt es bei Neymar nicht. Als letzter schillernder Star der brasilianischen Nationalmannschaft ist der Angreifer längst ein nationales Heiligtum. Und trägt damit nicht nur eine fußballerische Bürde, die größer nicht sein könnte. Immer der unbekümmerte, zu Späßen aufgelegte Neymar zu sein, das ist unmöglich. Richtig oder falsch gibt es nicht, wenn es um Neymar geht. Es gibt nur beides, in den extremsten Formen. Anbetung und Ablehung, Verehrung und Hass.

Als Neymar bei der WM vor dem zweiten Gruppenspiel gegen Mexiko während der Hymne in Tränen ausbrach, spalteten sich die Fußball-Fans in zwei Lager. In die einen, die ergriffen waren von der Identifikation und Leidenschaft des jungen Brasilianers. Und in die, die ihm gute schauspielerische Künste und Effekthascherei unterstellten.

Auch bei seinem aktuellen Verein Barcelona ist das nicht anders. Als Neymar im Saisonendspurt gegen Sevilla in der 73. Minute für Xavi ausgewechselt wurde, reichte eine abfällige Geste mit der Hand, um die Gazetten Land auf, Land ab verrücktspielen zu lassen. Neymar kennt den versammelten medialen Irrsinn um seine Person. Doch ist der Copa-Skandal nicht der erste Vorfall in der jüngeren Geschichte, der dem Wunderkind plötzlich Wind aus dem eigenen Lager entgegen wehen lässt.

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