Rangnick: "Ich leide genauso wie ein Trainer"

Von Interview: Haruka Gruber
Sportlicher Leiter bei Red Bull in Salzburg und Leipzig: Ralf Rangnick
© Imago

Im Juni 2012 kehrte Ralf Rangnick nach einem Burnout-Syndrom wieder in den Profifußball zurück. Als Sportdirektor leitet der 54-Jährige seit dem die Geschicke beim FC Red Bull Salzburg und soll gleichzeitig die positive Entwicklung von RB Leipzig vorantreiben. Im SPOX-Interview spricht der ehemalige Schalke-Coach über die Arbeit mit den beiden Klubs, die überragende Qualität der Hoffenheimer Jugendspieler und sein Beinahe-Engagement in der Premier League bei West Bromwich Albion.

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SPOX: Nach dem denkbar ungünstigsten Einstand mit dem Scheitern in der Champions-League-Qualifikation gegen den luxemburgischen Provinzklub Düdelingen hat sich Salzburg gefangen und legte den besten Saisonstart der Red-Bull-Ära hin. Parallel führt RB Leipzig die Regionalliga Nordost als Tabellenerster an und dürfte nach zwei verloren Jahren in die 3. Liga aufsteigen. Wie viel Ralf Rangnick steckt in den Erfolgen?

Ralf Rangnick: Ich hatte bei meinen vorherigen Stationen bereits Wert darauf gelegt, nicht nur als Cheftrainer zu arbeiten, sondern mir auch Gedanken um das Club Building, wie es neudeutsch heißt, zu machen. Dass wir bei Red Bull insgesamt so viele Veränderungen an der Mannschaft sowie am Trainer- und Betreuerstab vornehmen, war nicht geplant. Bei uns veränderte sich in vier Monaten mehr als bei vielen anderen Vereinen in zwei Jahren. Entsprechend schön ist es zu sehen, dass die Entscheidungen ineinander greifen und sich Salzburg und Leipzig in die richtige Richtung bewegen. Langsam kommen die Synergie-Effekte zum Tragen.

SPOX: Welche Synergie-Effekte?

Rangnick: Unter anderem führten wir mit den Trainern der ersten und zweiten Mannschaften sowie den älteren Jugendmannschaften zwei Workshops durch, einmal in Salzburg, einmal in Leipzig. Dabei sprachen wir über unsere Spielphilosophie und vermittelten diese in Theorie und Praxis. Außerdem luden wir die Red-Bull-Akademien in Brasilien und Ghana ein, die teilweise mit ihren besten Spielern zu uns kamen. Dadurch entstehen wichtige persönliche Beziehungen. Mittlerweile ist es so: Wenn ich in Leipzig bin, ist immer die erste Frage an mich, wie es in Salzburg läuft - und umgekehrt genauso. Man hat mir gesagt, dass das in den letzten Jahren eher nicht der Fall war.

SPOX: Ihr Aufgabenfeld als Sportdirektor von Salzburg und Leipzig unterscheidet sich von dem als Trainer. Wie sieht Ihr Terminplan aus?

Rangnick: Es geht nur mit einer extrem guten Planung. Ich erstelle immer einen Plan für vier bis sechs Wochen, wobei in der ersten Zeit durch die Tagesaktualität kurzfristig Anpassungen nötig waren. Jetzt aber muss ich den Plan nur noch selten über den Haufen werfen, weil an beiden Standorten gute Leute die Verantwortung tragen. Es ist zeitlich schlichtweg nicht möglich, in Salzburg und Leipzig alles selbst zu erledigen. Daher werde ich unweigerlich dazu gezwungen, Aufgaben zu delegieren.

SPOX: Kommen Sie als Sportdirektor eher dazu, den internationalen Fußball zu beobachten?

Rangnick: Es wäre schlimm, wenn ich dafür keine Zeit hätte. Ich versuche natürlich, so viele Spiele wie möglich unserer Mannschaften live zu sehen, aber die Beobachtung der Konkurrenz ist ebenfalls sehr wichtig. Wie in Hoffenheim lautet unser Anspruch, sich an den besten Mannschaften Europas zu orientieren. Daher muss man wissen, welche Entwicklungen es auf diesem Niveau gibt.

SPOX: Eine der wichtigsten Fragen derzeit betrifft die taktische Flexibilität und lautet: Wie wichtig ist die Fähigkeit, innerhalb eines Spiels die Grundordnung oder sogar das gesamte System, also die Verhaltensweise auf den einzelnen Positionen, zu verändern?

Rangnick: Ich denke nicht, dass es unbedingt nötig ist, flexibel in den Verhaltensweisen auf den einzelnen Positionen zu sein. Wir bei Red Bull wollen in Salzburg und in Leipzig durchgängig mit der gleichen Art und Weise Fußball spielen und nicht davon abrücken. Etwas anderes ist es bei der Grundordnung. Jede Mannschaft sollte in der Lage sein, mindestens zwei Grundordnungen zu spielen. Das ist auch ein Punkt bei den Workshops und bei den Gesprächen mit den Trainern. Ich glaube, dass ich bei diesem Thema mit Rat zur Seite stehen kann.

SPOX: Fehlt Ihnen das tägliche Arbeiten mit einer Mannschaft, um sie taktisch zu verbessern?

Rangnick: Jein. Wenn man 30 Jahre als Trainer tätig war, gibt es natürlich immer wieder Momente, in denen man das vermisst. Ich wusste jedoch von vornherein, dass mir der Job des Sportdirektors keine Zeit für die tägliche Trainingsarbeit lässt. Immerhin kann ich bei den Workshops in Praxisdemonstrationen wieder auf dem Platz stehen.

SPOX: Fällt es Ihnen schwer, Ihre Trainer an der langen Leine zu lassen?

Rangnick: Klar. Von daher muss man sich selbst immer wieder überprüfen und die Frage stellen: "Was hättest du früher selbst als Trainer gut gefunden, wenn dir der Sportdirektor etwas sagt?" Es besteht die Gefahr, dass man als Sportdirektor, der immer noch wie ein Trainer denkt, über das Ziel hinausschießt. Ich denke, dass ich eine gute Balance gefunden habe.

SPOX: Im Umfeld der Bayern wird gerätselt, ob sich Matthias Sammer als Sportvorstand und ehemaliger Top-Trainer zu sehr in den Bereich von Jupp Heynckes einmischt. Sitzen Sie bei einem Spiel anders als Sammer bewusst auf der Tribüne und nicht mit auf der Bank, um derlei Diskussionen zu vermeiden?

Rangnick: Es spielte natürlich eine Rolle - zumal bei mir vermutlich noch mehr darauf geschaut und jede Gestik überinterpretiert werden würde, wenn ich neben dem Trainer auf der Bank säße. In der öffentlichen Wahrnehmung bin ich ja noch viel mehr ein Trainer als Matthias, der seit sieben Jahren nicht mehr in dem Job gearbeitet hat. Es macht zudem auch fußballanalytisch Sinn, dass ich das Spiel von der Tribüne verfolge. Ich habe von dort mehr Überblick und wahre eine emotionale Distanz, so dass mir andere Dinge auffallen.

SPOX: Wie wichtig ist emotionale Distanz für Ihren Job?

Rangnick: Ich kann allen versichern, dass ein Sportdirektor nach einer Niederlage genauso leidet wie ein Trainer. Aber: Als Sportdirektor wahrt man eine größere emotionale Distanz zu den Spielern und kann so konsequenter, rationaler und nachhaltiger Entscheidungen treffen. Ein Trainer kann sich durch das Tagesgeschäft emotional gar nicht davon trennen und muss immer aufpassen, das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren.

SPOX: Ihr Traum ist es bekanntlich, einmal in der Premier League als Manager, also als Mischung aus Trainer und Sportdirektor, zu arbeiten. Sie waren lange Trainer - und sammeln nun bei Red Bull Erfahrungen als Sportdirektor. Perfekte Voraussetzungen für einen Wechsel in die Premier League.

Rangnick: Ich bin 54 Jahre alt und damit jung genug, um offen für alles zu sein. Pauschal ausschließen möchte ich also nichts. Als junger Student fing ich an, intensiv die erste und zweite Liga in England zu verfolgen - und dieses Interesse ist weiter vorhanden. Aber ich bin mit vollem Herzen bei Red Bull und möchte dabei mithelfen, dass etwas Großes heranwächst.

SPOX: Uwe Rösler, selbst beim englischen Drittligisten Brentford tätig, sagte im Interview mit SPOX: "Ralf genießt bei den englischen Fachleuten, bei denen, die den Besitzern die Entscheidungen ins Ohr flüstern, einen hervorragenden Ruf." Wissen Sie das?

Rangnick: Nein. (lacht)

SPOX: Bereuen Sie es, im Sommer das Angebot von West Bromwich ausgeschlagen zu haben? WBA ist die Überraschung der Saison und liegt in der Premier Leauge auf Platz fünf.

Rangnick: Ich möchte nicht viel dazu sagen, außer: Es gab sehr konkrete Gespräche, doch am Ende entschied ich mich dagegen.

SPOX: Nach Felix Magaths Entlassung in Wolfsburg gelten Sie als möglicher Nachfolger - entweder als Manager oder als Trainer. Was ist dran?

Rangnick: Dass spekuliert wird, ist normal. Wenn ich ehrlich bin, bekomme ich davon allerdings nur wenig mit. Ich bin voll und ganz auf Red Bull konzentriert und lasse solche Gerüchte bewusst nicht an mich heran.

SPOX: Eine der Hauptaufgaben bei Red Bull ist die Verbesserung der Jugendabteilungen. Sie warben von Stuttgart die Nachwuchsexperten Frieder Schrof und Thomas Albeck für Leipzig ab, in Salzburg ist Ernst Tanner der neue Nachwuchsleiter. Welche Fehler wurden in Ihrer Zeit in Hoffenheim gemacht - und welche Lehren zogen Sie daraus?

Rangnick: Ich glaube nicht, dass es einen Fehler im Hoffenheimer Jugendkonzept gab. Wir fingen 2006 richtig an und nun zahlt sich die Arbeit der letzten Jahre aus. Hoffenheim besitzt eine der, wenn nicht die, interessanteste U-23-Mannschaft in ganz Deutschland. Sie werden für die Qualität der Talente beneidet und ich weiß, wie viele Scouts mittlerweile bei den Spielen dabei sind. Das ist der Ertrag von sechs Jahren konsequenter Aufbauarbeit. Wir wollen deswegen mit Red Bull einen ähnlichen Weg gehen wie Hoffenheim: Wir fanden für beide Standorte die besten Akademieleiter und mit ihnen versuchen wir, die besten Trainer zu finden. Sie sollen zusammen mit der Scouting-Abteilung dafür sorgen, dass die besten Talente in Österreich nach Salzburg und im Umkreis von 200 Kilometern nach Leipzig kommen.

SPOX: Hierzulande wird gegrübelt, ob es ein systematisches Problem des deutschen Fußballs ist, dass keine Stürmer und Linksverteidiger ausgebildet werden. Wie sehen Sie die Problematik?

Rangnick: Solange die deutsche Nationalmannschaft selbst ohne Mario Gomez vier Tore gegen Schweden und sechs Tore gegen Irland erzielt, weiß ich nicht, auf welchem Niveau wir jammern. Vorne sehe ich gar keine Probleme. Hinten links hingegen schon eher - doch das ist kein neues Phänomen. Selbst bei meiner allerersten Trainerstation bei Viktoria Backnang suchte ich nach guten Linksverteidigern. Es ist schon so, dass Linksfüßer immer besondere Typen sind und deswegen nicht immer deckungsgleich mit den Anforderungen eines Linksverteidigers sind, der zuverlässig und taktisch diszipliniert sein soll. Daher spielen in der Regel gute Linksfüßer in der Offensive und nicht in der Defensive.

Ralf Rangnick im Steckbrief

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