Elf Maschinen müsst Ihr sein

Von Interview: Alexis Menuge
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© Getty

München - Mit der Partie gegen die Schweden greift nun auch Titelverteidiger Griechenland ins Geschehen ein.

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Kurz zuvor sprach SPOX.com mit Nationalstürmer Angelos Charisteas über die Sensation 2004, Otto Rehhagels Erfolgsrezept und die griechischen Ziele.

SPOX: Herr Charisteas, endlich greift auch der Titelverteidiger ins Turnier ein. Sie werden es kaum noch erwarten können, oder?

Charisteas: Diese EM motiviert mich sehr. Körperlich bin ich topfit. Ich bin bereit. Für die griechische Nationalmannschaft aufzulaufen, ist für mich immer etwas Besonderes. Mental bin ich voll auf Griechenland konzentriert.

SPOX: 2004 gelang Griechenland der große Triumph. Denken Sie noch oft an diese Sensation zurück?

Charisteas: Selbstverständlich. Niemand in Griechenland kann vergessen, was wir in Portugal geleistet haben. Es war für uns sehr wichtig, die Qualifikation zur Europameisterschaft geschafft zu haben. Denn eine EM ohne den Titelverteidiger wäre schon eine Schande gewesen. Nichtsdestotrotz ist es für uns schon ein großer Erfolg, zum zweiten Mal in Folge an einer Endrunde teilzunehmen.

SPOX: Was war 2004 das Erfolgsgeheimnis der Griechen?

Charisteas: Wir waren eine kompakte Mannschaft, die schwer zu schlagen war, und ein eingeschworener Haufen. Keiner war arrogant. Wir hatten nicht elf Stars, sondern elf Maschinen mit einer großen Erfahrung und viel Spielintelligenz. Außerdem hatten wir einen Trainer, der jeden seiner Spieler perfekt kannte.

SPOX: Hat der Triumph von 2004 beim griechischen Volk etwas verändert?

Charisteas: Ich werde nie unsere Ankunft in Athen vergessen: Drei Millionen Leute warteten auf uns in den Straßen. 120.000 Fans haben sogar im Stadion stundenlang auf uns gewartet. Vier Jahre später sind meine Landsleute fest davon überzeugt, dass wir das Wunder wieder schaffen können.

SPOX: Und Sie?

Charisteas: Ja. Ich glaube, dass wir das Potenzial besitzen, bis ins Finale zu kommen. Ich bin guter Dinge, weil wir in der EM-Qualifikation von Anfang an unsere Gruppe mit der Türkei und Dänemark dominiert haben. Zwar mussten wir mit der verpassten WM 2006 eine schwere Phase durchstehen, vor allem nach Rückschlägen gegen Albanien und der Ukraine. Aber seitdem befinden wir uns wieder auf einem guten Weg und haben wieder unser Niveau von 2004 erreicht.

SPOX: Das heißt konkret?

Charisteas: Warum nicht wieder ins Finale? Es ist uns völlig bewusst, dass wir nicht zu den Favoriten gehören. Aber ich bin mir sicher, dass wir schwer zu schlagen sein werden. Wenn wir unser Gesicht von 2004 erneut zeigen, werden wir wieder sehr weit kommen.

SPOX: 2004 hat man Griechenland oft vorgeworfen, zu defensiv zu agieren. Wird es bei dieser EM wieder der Fall sein?

Charisteas: Erstens möchte ich betonen, dass wir nicht so defensiv spielen, wie viele denken. Wir spielen mit Theofanis Gekas, Ioannis Amanatidis und mir in einem System mit drei Angreifern. Vor vier Jahren bestritt Griechenland seine erste EM seit 20 Jahren. Und unsere Priorität war es, hinten dichtzumachen. Unsere Mannschaft war solide, aber ohne große Erfahrung. Es ist doch auch so, dass in der Champions League oft kompakt gespielt wird und die Teams auf Konter mit schnellen Stürmern setzen. Das ist der moderne Fußball. Und Griechenland spielt einen modernen Fußball.

SPOX: 2004 waren Sie der Held...

Charisteas: ... dennoch bin ich bescheiden geblieben. Das ist eben mein Charakter. Ich habe großen Respekt vor meinen Kollegen, vor meinen Gegnern und vor meinen Trainern. Ich lebe für den Fußball. Ich will alles geben. So bin ich erzogen worden. In Griechenland hat der Jüngere immer Respekt vor dem Älteren. Und unsere jungen Nationalspieler respektieren mich. Ich habe es auch verdient. In unserer Mannschaft ist es allerdings verboten, sich für einen Star zu halten. Otto Rehhagels Maxime lautet: Stars haben keinen Platz.

SPOX: Hat der Triumph von Lissabon Ihr Leben verändert?

Charisteas: In den zwei Jahren danach war es nicht einfach, eine gewisse Normalität im täglichen Leben zu finden. Danach wurde es immer besser, und jetzt ist wieder alles normal.

SPOX: Im Verein haben Sie Jahr für Jahr Schwierigkeiten gehabt, ob bei Werder Bremen, Ajax Amsterdam, Feyenoord Rotterdam oder beim 1. FC Nürnberg. Rehhagel baut trotzdem weiter auf Sie.

Charisteas: Er hat mir immer sein vollstes Vertrauen gegeben. In der Nationalmannschaft habe ich regelmäßig meine Tore gemacht. Also ist Otto glücklich. Für ihn ist Disziplin extrem wichtig. Seit er bei uns im Amt ist (September 2001, Anm. d. Red), hat er mir immer sehr geholfen. Dank seiner Unterstützung habe ich mich immer weiterentwickelt.

SPOX: Der griechische Verband hat seinen Vertrag bereits um zwei weitere Jahre verlängert.

Charisteas: Für Griechenland ist es eine sehr gute Nachricht. Eine Zukunft ohne Rehhagel ist für uns unvorstellbar.

SPOX: Was hat sich unter Rehhagel in Ihrer Nationalmannschaft in den letzten Jahren verändert?

Charisteas: Spieler wie Gekas und Amanatidis haben mehr Durchschlagskraft im Sturm gebracht. Wir haben nicht viele junge Spieler, aber unser Kader ist erfahren und stabil. Ich habe den Eindruck, dass wir kompakter sind als in Portugal. Außerdem haben wir mehr Konkurrenz und Möglichkeiten im Spielaufbau.

SPOX: Ihr Ziel lautet also Titelverteidigung?

Charisteas: Wir müssen natürlich von Spiel zu Spiel sehen. Mein persönliches Ziel ist zunächst, ins Viertelfinale einzuziehen. Mit Schweden, Russland und Spanien wird es keine einfache Aufgabe. Es handelt sich um eine ausgeglichene Gruppe. Unser erstes Spiel gegen Schweden wird schon wie ein Finale für uns sein. Aber vielleicht ist es für uns ein gutes Zeichen, dass wir außer Schweden genau die gleichen Gegner wie vor vier Jahren zugelost bekamen. 

SPOX: Wer sind Ihre Favoriten auf den Titel?

Charisteas: Immer noch Frankreich und Italien. Auch Deutschland wird sehr weit kommen, sowie auch Portugal.

SPOX: Welche Stars werden bei der EM brillieren?

Charisteas: Ich tippe mal auf den niederländischen Stürmer Klaas-Jan Huntelaar. Er könnte die große Entdeckung werden. Er schießt fast jede Saison in der Ehrendivision für Ajax 35 Tore. Er ist phänomenal. Auch Luca Toni sollte man nicht vergessen nach seiner herausragenden Saison beim FC Bayern. Und natürlich auch Cristiano Ronaldo und Deco.

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