Durch Reden und Ruhe

Von für SPOX bei der Nationalmannschaft: Stefan Rommel
Holger Badstuber (r.) spielt bislang eine überragende EM
© Getty

Holger Badstuber spielt bisher eine ausgesprochen starke EM. In seiner Rolle im Abwehrzentrum kommt ihm auch die spezielle Ausbildung in der Bayern-Jugend zugute. Und er besticht durch eine beinahe einzigartige Fähigkeit.

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Daniele De Rossi muss ihm vorgekommen sein wie ein Relikt aus einer fernen Zeit. Als sich Italien im Danziger EM-Stadion vor rund zehn Tagen gegen die spanische Übermacht der tausend Pässe stellte, war da hinten in der Kette ein zusätzliches Glied eingeflochten.

Italiens Trainer Cesare Prandelli kramte einen Spielertypus hervor, den der moderne Fußball angeblich längst weggesperrt hatte in die Mottenkiste für ausrangierte Berufsmodelle. Einen Libero wie De Rossi hat man schon lange nicht mehr gesehen, der gelernte Mittelfeldspieler des AS Rom war der Anführer und Kommandant der Fünferkette. Er war der Abwehrchef.

Mit keinem anderen Begriff wie diesem hat Holger Badstuber mehr Probleme. Abwehrchef. Was ist das? Wer soll das sein? Er? "Damit kann ich nichts anfangen", sagt Badstuber. Er ist in der Post-Libero-Ära aufgewachsen. Für ihn gilt schon immer, dass sich die beiden Innenverteidiger der Viererkette die Arbeit teilen.

In der Nationalmannschaft betreibt er dieses Jobsharing mit Mats Hummels. Der Dortmunder hatte sich erst in den Endzügen der Vorbereitung seinen Platz neben Badstuber erspielt. Der ist zwar erst 23 und ein Dreivierteljahr jünger als Hummels. Aber eben im Verein und in der nationalen Auswahl als Konstante gesetzt.

"Versuche meinen Teil zu leisten"

In den Tagen von Danzig wird er andauernd mit dieser Cheffrage konfrontiert, er antwortet darauf, wie er sich auf dem Platz gibt: stoisch und abgeklärt. "Ich versuche meinen, er seinen Teil zu leisten. Und es gelingt uns beiden gerade sehr gut. Wer da der Chef ist, sollen andere beurteilen."

Bei seinem Klub, dem FC Bayern München, hat er sich nach einer Saison auf seiner Lieblingsposition festgespielt. Vor drei Jahren tauchte er wie aus dem Nichts auf, zusammen mit Thomas Müller geriet Badstuber an seinen großen Förderer Louis van Gaal. Etablierte Größen wie Lucio und später Martin Demichelis und jetzt Breno suchten das Weite, weil der Niederländer einen Narren gefressen hatte an diesem Jungspund.

Van Gaal hatte schnell zwei erfrischende Direktiven. Müller spiele bei ihm immer. Und er brauche zwingend einen Linksfuß als Innenverteidiger. Seine geforderten Dreieckspielchen auf dem Platz gingen auch deshalb auf, weil sich in Badstuber der Prototyp des gewünschten Verteidigers fand.

Die Gärtnerplatz-Gang

Erst wenige Monate vorher hatte Badstuber seinen ersten Profivertrag unterschrieben, fristete sein Dasein aber noch bei den Amateuren. Da hatte ihn sein schwerster Schlag bereits getroffen. Kurz nachdem er sein erstes großes Etappenziel erreicht hatte, starb sein Vater Hermann an Krebs. Der war viel mehr als "nur" der Vater und Jugendkoordinator bei den Bayern. Er war auch Kumpeltyp und erster Ansprechpartner in allen Lebenslagen.

Badstuber heftete sich schnell an die Fersen von Bastian Schweinsteiger und Mario Gomez. Die "Gärtnerplatz-Gang" taufte die "Süddeutsche Zeitung" das Trio zuletzt, weil Badstuber auch einen Teil seiner Freizeit mit Schweinsteiger und Gomez verbringt. Dass er sich mittlerweile mit Schweinsteiger auch den Berater teilt, ist sicherlich kein Zufall.

Auf dem Platz hat er sich nach einer starken Saison längst emanzipiert. Mit der Verlagerung seines Einsatzgebiets ins Abwehrzentrum entfielen die steten Wechsel zwischen Außenbahn und Mitte und verliehen Badstuber jene Konstanz, die er in der Spielzeit davor vermissen ließ. Während der WM 2010 kam es zu einem ersten Bruch in seiner Karriere.

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Als Linksverteidiger sah er gegen den Serben Milos Krasic bei der 0:1-Niederlage nicht gut aus und verlor seinen Stammplatz an Jerome Boateng. "Das war in meiner ersten Saison nach meinem Aufstieg ein Cut und in dem Moment nicht ganz einfach", gibt er zu. Aber es ist auch schon lange her und seitdem sei viel passiert. "Inzwischen sehe ich das ganz locker. Ich habe jetzt auf einer anderen Position den Durchbruch geschafft."

Großes Selbstbewusstsein

Seine Leistungen bei der EM sind bisher tadellos und in einer Disziplin ist er auch unter den Besten Europas unerreicht: Es gibt keinen anderen Innenverteidiger, der so präzise und hart passt wie Badstuber. Die kurzen Zuspiele sind die Auslöser vieler deutscher Angriffe, auch einen weiten Diagonalball nimmt er sich ab und an raus, auch wenn der Bundestrainer dabei immer ein wenig mürrisch reagieren sollte.

"Natürlich will Joachim Löw, dass wir flach nach vorne spielen. Wenn ich aber das Vertrauen habe und der Thomas Müller frei steht, dann haue ich den Ball eben rüber. Ganz einfach. Weil ich weiß: Ich kann so einen Ball schlagen, und Thomas hat danach wahrscheinlich eine Eins-gegen-Eins-Situation. Das gehört zu seinen Stärken. Und wenn der Ball ankommt, kann der Trainer wenig sagen."

Das Gespür für Spielsituationen auch fernab seines eigentlichen Kernzentrums hat er in seiner Zeit bei den Amateuren gelernt. Dort hat ihn Trainer Hermann Gerland ins defensive Mittelfeld gestellt. Mit den besonders Begabten hat Gerland das regelmäßig gemacht. Ganz früher mit Philipp Lahm, später mit Mats Hummels. Auf keiner anderen Position könne ein junger Spieler so viel lernen, begründete Gerland seine Entscheidung. Nebenbei fütterte er seine kognitiven Fähigkeiten mit Hilfe eines Mentaltrainers.

Neuer Spielgestalter

Die Erfahrungen aus dieser Zeit sind heute auch so etwas wie die Grundlage für sein Spiel als Verteidiger. Das hat sich in den letzten Jahren doch noch einmal ziemlich gewandelt, manch einer spricht sogar vom Innenverteidiger als neuen Spielgestalter. Einst lag der Fokus vor allen Dingen auf dem Spektakel der Offensivspieler. Heute finden auch die Defensivspezialisten große Beachtung.

"Das Thema hat immens zugenommen. Man erwartet von Verteidigern auch einen fußballerischen Beitrag, Spieleröffnung und gutes Stellungsspiel. Da ist der Anspruch gewachsen", erklärt es Badstuber.

So begehrt wie sein Nebenspieler in der Nationalmannschaft ist er nicht. Wahrscheinlich legt er darauf auch gar keinen großen Wert. Badstuber kommt immer etwas introvertiert rüber, dabei sind seine Analysen bisweilen sehr klar und tiefgründig.

Im Vorfeld der EM wurde er von Marco van Basten kritisiert. Woher auch immer der Niederländer seine Expertise hatte, sie fiel einigermaßen ernüchternd aus. "Badstuber ist für mich kein zentraler Mann, weil er nicht genug Persönlichkeit mitbringt", sagte van Basten da, der auch mit einigen anderen Defensivspielern der deutschen Mannschaft hart ins Gericht ging.

Dabei hat Badstuber seit der WM zwölf von 13 Pflichtspielen absolviert, er sagt: "Ich habe viele Spiele in der Nationalmannschaft durchgespielt. Deshalb denke ich auch, dass ich wichtig für die Mannschaft bin. Anscheinend gefällt dem Trainer mein Spiel und wie ich mich in der Gruppe verhalte. Er schenkt mir Vertrauen und fühlt sich dabei wohl. Und das fühlt sich natürlich auch für mich gut an."

"Wichtig ist, dass man sich respektiert"

Bleibt noch die Frage nach dem Zusammenspiel mit Mats Hummels, jenem Gefährten aus alten Münchener Jugendtagen, dessen Weg sich so selten mit dem von Badstuber kreuzte.

Er antwortet darauf nüchtern. "Bei uns kommt jeder mit jedem klar. Ich habe nicht das Gefühl, dass es irgendwo nicht stimmt. Wir haben ein ganz normales Verhältnis auf dem Platz. Wichtig ist, dass man sich respektiert."

Der professionelle Umgang ist ihm wichtig. Es geht ums große Ganze, nicht um einzelne Befindlichkeiten. Also versteht er seine Rolle innerhalb der Mannschaft auch als Unterstützer und Helfer, nicht als großer Anführer.

"Ich will der Mannschaft Sicherheit geben, durch reden und durch Ruhe", sagt er. Bisher funktioniert das ganz gut.

Der EM-Spielplan in der Übersicht

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