Kurz vorm kritischen Punkt

Seit seiner Rückkehr zum BVB erzielte Shinji Kagawa 14 Tore in 57 Bundesligaspielen (15 Assists)
© getty

Shinji Kagawa geht nach der Rückkehr zu Borussia Dortmund in seine dritte Saison, die zweite unter Thomas Tuchel. Es wird im Alter von 27 Jahren eine wegweisende Spielzeit für den Japaner. Für Kagawa geht es um die Frage, ob ihm noch einmal ein Sprung in seiner Entwicklung als Spieler und Persönlichkeit gelingt.

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Siehe da, der Abgang von Ilkay Gündogan bei Borussia Dortmund scheint auch etwas Positives mit sich zu bringen. Zumindest für Shinji Kagawa. Zwar geht mit Gündogan einer seiner engsten Freunde, beide haben einige Zeit sogar im selben Appartementblock gewohnt. Kagawa muss sich aber nicht mehr Gündogans Klagen anhören, wenn sich der BVB in den kommenden Wochen in Österreich, China und der Schweiz aufhält.

Gündogan hatte sich im Winter-Trainingslager in Dubai nämlich noch über seinen japanischen Zimmerkollegen beschwert, weil dieser so viel Zeit im Bad in Anspruch nehme. Als Gündogan diese Anekdote mit einem Augenzwinkern im BVB-Klub-TV ausplauderte, saß Kagawa spitzbübisch lachend neben ihm.

Kagawa wirkte dort und auch sonst immer noch sehr jugendlich, genauso jedoch zurückhaltend. Dabei wird der Japaner am Ende der kommenden Spielzeit bereits 28 Jahre alt sein. Der einstige Youngster, der aus der zweiten japanischen Liga kommend unbekümmert durch die Bundesliga fräste, hat nun schon einige Jahre auf dem Buckel. Mittlerweile gehört er zu den erfahrensten Spielern im verjüngten Dortmunder Kader.

Wegweisende Saison für Kagawa

Am vergangenen Montag nahm Kagawa das Training bei der Borussia nach fast fünfwöchigem Urlaub wieder auf. Es war für den Nationalspieler der Start in eine Saison, die wegweisend für ihn werden dürfte.

Nach den Verkäufen von Mats Hummels, Henrikh Mkhitaryan und Gündogan sucht Trainer Thomas Tuchel nach neuen Führungsspielern. Es seien Säulen aus der Dortmunder Mannschaftsstruktur herausgebrochen, die sich nun auf organische und von Tuchel minutiös beobachtete Weise neu herausbilden sollen, gab der Trainer selbst bekannt. Kagawa müsste eine dieser Säulen werden.

46 Pflichtspiele, 25 Torbeteiligungen

Es ist nun die dritte Spielzeit nach seiner Rückkehr zum BVB, die Kagawa vor der Nase hat. Die zweite unter Tuchel. Der Trainer hat eine hohe Wertschätzung für den demütig auftretenden Japaner, Kagawas Vorjahr verlief trotzdem ambivalent.

Seine Tuchel-Bilanz liest sich mit 25 Torbeteiligungen (13 Treffer, 12 Vorlagen) in 46 Pflichtspielen stark, die aus den Meisterjahren unter Jürgen Klopp bekannte Konstanz bringt Kagawa allerdings nicht mehr stringent in seine Leistungen. Das war aus unterschiedlichen Gründen bei Manchester United der Fall, in seiner letzten Saison unter Klopp und auch im ersten Jahr mit Tuchel geriet sein Formverlauf wellenförmig.

"Wir müssen neue Rollen finden", schlussfolgerte Tuchel. Kagawa sollte sich dabei eindeutig angesprochen fühlen.

Tuchel mit Kagawa besonders streng

Der Japaner befindet sich kurz vorm kritischen Punkt seiner Karriere. Es geht für ihn um die Frage, ob ihm noch einmal ein Sprung in seiner Entwicklung als Spieler und Charakter gelingt. Kagawa ist zweifelsohne ein Teamspieler, der bislang jedoch eher selbstverantwortlich unterwegs war und dessen Persönlichkeitsstruktur ihn nicht unbedingt dazu befähigte, den lautstarken Antreiber zu geben.

Dies wird und muss auch in Zukunft nicht der Fall sein, allerdings wird auch an den 27-Jährigen der Anspruch gestellt, eine neue und verantwortungsvollere Rolle einzunehmen - um eben ein Kandidat für eine neue Stützen im Kader zu werden. Dieser Mangel unterscheidet Kagawa derzeit noch von Fußballern, die ein oder zwei Kategorien höher angesiedelt werden.

Kagawa muss seinen Maßstab bestätigen

Wie alle Dortmunder spielte Kagawa in der Vorsaison vor allem eine brillante Hinrunde, im zweiten Abschnitt knickte diese Entwicklung ein. Tuchel gab zu, mit seinem japanischen Schützling besonders streng zu sein.

Er ließ Kagawa in den ersten Wochen des Jahres 2016 mehrfach draußen, beim Gastspiel in Berlin nahm er ihn nicht einmal in den Kader auf. Stattdessen fand sich für den 17-jährigen Christian Pulisic ein Platz, mit dem auch im kommenden Jahr zu rechnen sein wird.

Shinji Kagawas Statistiken aus der Saison 2015/2016

Kagawa wird seinen vor rund einem Jahr gesetzten Maßstab nun bestätigen müssen, um dauerhaft das Potential für die erste Elf zu haben. Die Fähigkeiten dazu bringt er in jedem Fall und oft bewiesen mit. Kagawa kann sehr gut den Ball abschirmen und in die letzte Linie transportieren, bewegt sich geschickt in offensiven Räumen, ist ballsicher, Vorlagengeber und kann selbst torgefährlich werden.

Sein spieltaktisches Verständnis erscheint zwar nicht so ausgeprägt wie das eines Mkhitaryan, der damit ein Team auch tragen kann. Kagawa hat aufgrund seiner Fähigkeiten aber die Perspektive, sich für Tuchel unverzichtbar zu machen.

Regeneration spielt größere Rolle

Schon im letzten Jahr nahm er zahlreiche Veränderungen in seiner Herangehensweise als Profi vor. Aufenthalte in Düsseldorf, wo er dank der großen japanischen Gemeinschaft hin und wieder Freunde zum Essen traf, sind seltener geworden.

"Ich fahre nach der letzten Trainingseinheit des Tages nun fast immer direkt nach Hause, weil das zu meiner Regeneration und Vorbereitung auf das nächste Spiel beiträgt. Ich bin beinahe schon ein Stubenhocker", verriet Kagawa kurz vor Weihnachten im SPOX-Interview lächelnd.

Er hat sich in seinem Heim ein Fitnessstudio eingerichtet, manchmal kommt ein persönlicher Trainer vorbei. Durchschnittlich schläft er mehr als acht Stunden, was wohl an einem neuen Super-King-Size-Bett plus Matratze liegt. Diese ließ er sich von der italienischen Firma "Magniflex" spezialanfertigen.

Kagawa: Tuchel "fordert viel"

Nun in diesen Tagen werden die Karten für die neue Saison erstmals gemischt, das Pulisic-Beispiel aus Berlin sollte Kagawa als Warnschuss dienen. Nur mit überzeugenden Trainingswochen landet man bei Tuchel in der Mannschaft, es könnte jederzeit beinahe problemlos ein anderer für ihn spielen.

Kagawa hatte letzte Saison Schwierigkeiten damit, die neue Achterposition befriedigend auszufüllen. Tuchel spielt häufiger auch ohne klassische Zehn, mit der tieferen Position muss sich der Japaner noch anfreunden. Es lauert große Konkurrenz um die Plätze, die Kagawa bekleiden könnte.

"Bei ihm ist es die Art und Weise des Fußballs, den er spielen lässt, die mir total zusagt und mir von allen Trainern, die ich erlebt habe, am meisten liegt", sagte Kagawa über Tuchel. "Er ist sehr akribisch und intensiv in der Zusammenarbeit, er fordert viel, aber es macht enorm Spaß."

5 Tore in den 9 letzten Bundesligaspielen

Als Tuchel Kagawa 2016 wieder von der Leine ließ, dankte der es ihm mit fünf Toren in den letzten neun Bundesligaspielen. "Ich versuche", erklärte Kagawa: "Dieses Auf und Ab in meinen Leistungen aus dem Vorjahr reduzieren. Ob ich aber noch einmal so spielen kann wie zu meiner ersten Zeit, ist nicht entscheidend."

Mit Letzterem hat er Recht, an der Einlösung des ersten Satzes wird Shinji Kagawa jedoch weiter arbeiten müssen, um beim sportlichen Neuanfang von Borussia Dortmund nicht nur mit zu schwimmen. Und um als Spieler den nächsten Schritt zu gehen.

Shinji Kagawa im Steckbrief

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