Gefangen in der Vorahnung

Wird Manuel Neuer am Montag Weltfußballer? Es gibt eine gewisse Skepsis
© getty

Beim FC Bayern München wird die Meinung geteilt, dass bei der Weltfußballer-Wahl (ab 17.30 Uhr im LIVE-TICKER) kein Weg an Manuel Neuer vorbeiführt. Ungebremste Euphorie entfachen die Münchener aber nicht. Die Erfahrung macht den Bayern Sorgen. Nur Neuer selbst ist unbeeindruckt.

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"Neuaaaaaaarrr!" "Neuuuaaaaar!" Immer wieder "Neuaaaaarrr!" Auf der Suche nach dem Fanliebling im Trainingslager des FC Bayern München im katarischen Doha wird man schnell fündig. Insbesondere für die einheimischen Kiebitze ist Manuel Neuer der Superstar schlechthin.

Natürlich finden sie auch Arjen Robben super oder Thomas Müller, den sie "Mullar" nennen. Selbstverständlich ist Katar-Botschafter Pep Guardiola, dem sie schon ein paar Mal aus Freundlichkeit ein "Viva Catalunia" zuriefen, ein willkommener Gast und Franck Ribery, der für sie nur "Bilal" heißt. Der Franzose nahm diesen Namen nach seiner Konvertierung zum Islam an.

Die größte Unterstützung genießt aber Neuer. Sobald der 28-Jährige in Sichtweite ist, hallt es an allen Ecken: "Neuaaaarr!" Beim Nachmittagstraining am Samstag gingen ein paar Kinder gar so weit, mitten im Training den Platz zu stürmen, um Neuer noch näher zu kommen oder die Chance zu ergreifen, ihn sogar einmal kurz zu berühren.

Ribery: "Neuer trainiert nie normal"

Nun war Neuer nie ein Freund großer Emotionen, um selbst große Begeisterung ob seiner exponierten Stellung an den Tag zu legen. Ein kurzes Zurückwinken ist nicht drin. Neuer arbeitet mit Towart-Trainer Toni Tapalovic extrem konzentriert und fokussiert, lässt sogar beim Spaß-Elfmeterschießen nach den Einheiten nicht locker.

"Für Manuel gibt es kein Training, in dem er sagt: 'Heute trainiere ich mal normal.' Er geht immer 100 Prozent und da ist es sogar im Training schwer für uns, ein Tor zu machen", sagt Teamkollege Ribery und schiebt hinterher: "Nur für mich nicht." Und lacht.

Neuer lässt sich auch nicht davon beeinflussen, dass derzeit viel über ihn geredet wird. Dass er möglicherweise am Montagabend zum weltbesten Fußballer gekürt wird, scheint Neuer nicht weiter zu beschäftigen. Er sieht die Situation pragmatisch: "Sagen wir so: Favorit bin ich sicher nicht. Die anderen beiden sind weltweite Marken, die haben da sicher Vorteile."

"Komische Stimmung in Zürich"

Fast kein Bayern-Profi äußerte sich in den letzten Tagen nicht über Neuer. Alle wünschen ihm Glück und verleihen ihrer Anerkennung Ausdruck. "Viel mehr kann man nicht machen, um Weltfußballer zu werden", sagt Ribery. Neuer sei seit "zwei, drei Jahren der beste Torhüter der Welt".

Aber Ribery selbst weiß, wie es laufen kann. Der Franzose stand selbst vor einem Jahr im Finale mit Cristiano Ronaldo und Lionel Messi und zog den Kürzeren. "Die Stimmung in Zürich ist komisch", sagt der Franzose mit ernster Miene. "Schauen wir mal."

Dass er nach seiner Final-Niederlage bestürzt war und gar in ein Leistungsloch fiel, lag nach eigenem Bekunden nicht daran, dass er verloren hatte, sondern an den Begleitumständen. "Die Fristen wurden plötzlich verlängert, es lief alles komisch ab. Ich habe meiner Frau gesagt: Ich gewinne das nicht."

Erinnerungen an letztes Jahr

Sportvorstand Matthias Sammer kann sich noch genau erinnern: "Wer die Reise-Delegationen der Klubs im letzten Jahr gesehen hat, wusste, dass die nicht angereist sind, um Platz 2 oder 3 zu feiern. Da war klar, wer gewinnt."

Real Madrid rückte damals mit einer größeren Delegation in Zürich an und feierte Sieger Ronaldo im Anschluss frenetisch.

Die Situation bremst die Bayern in ihrer Euphorie für Neuer und ein wenig hören sich die Münchener so wie viele ihrer Gegner an, die im Vorfeld der Spiele zwar durchaus selbstbewusst sind, aber insgeheim die Befürchtung haben, dass nichts zu holen ist. Sie sind gefangen in der Vorahung.

Thomas Müllers Aussage, auch wenn sie mit einem Augenzwinkern zu verstehen ist, dient als Beispiel recht gut: "Die Variante, dass Cristiano Ronaldo den Titel holt, die wäre ja fast schon langweilig. Da sollte man vielleicht auch die Wahl hinterfragen - da könnte man ihm den Titel ja gleich per Post zuschicken."

"Ronaldo ist Favorit"

Beim FC Bayern teilt man das Selbstverständnis, dass aus sportlichen Gesichtspunkten an Neuer kein Weg vorbeiführt. Neuer war 2014 nicht nur der beste Torhüter, er interpretierte seine Position auch völlig neu. Dass er bei der Weltmeisterschaft auftrumpfte und in der Bundesliga-Hinrunde nur vier Gegentore kassierte, sind ebenfalls nachdrückliche Argumente für den Deutschen.

International sieht man die Rollenverteilung dagegen etwas anders. Iker Casillas, Torhüter von Real Madrid, findet es zwar "lächerlich", dass noch nie ein Torwart die Wahl gewann, für ihn führt aber dieses Jahr kein Weg an Cristiano Ronaldo vorbei: "Er hat es verdient. Wegen seiner Rekorde, seiner Tore und seiner entscheidenden Rolle."

Auch für Lothar Matthäus ist Ronaldo "Favorit", weil der Portugiese "Tore wie am Fließband" schieße: "Seine Leistungen sind einzigartig."

Pep Guardiola, der - ganz egal wie die Wahl ausgeht - in Neuer schon einen "Sieger" sieht, sagt auch, dass ein Feldspieler "mehr Möglichkeiten" habe, weil er eben Tore schießen und somit der Allgemeinheit stärker auffallen würde.

Ob Neuer gewinnt oder nicht, beim FC Bayern befürchtet man keine negativen Folgen, sollte der Welttorhüter nicht auch Weltfußballer werden. "Egal, wie es ausgeht: Manuel wird damit umgehen", sagt Sportchef Sammer.

Und egal, wie es ausgeht: "Neuaaar", bleibt in Doha der größte Liebling der Fans.

Der FC Bayern München im Steckbrief

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