"Morgen früh wirst Du entlassen", sangen sogar die Fans von Gegner Hull City höhnisch in Richtung Tottenhams Trainer Juande Ramos, nachdem der Aufsteiger den Spurs in der Premier League eine empfindliche 0:1-Heimniederlage zugefügt hatte.
Die Schlappe gegen den Neuling zementierte Tottenhams letzten Tabellenplatz und stürzte den Verein endgültig in die Krise. Sieben Spiele, zwei Punkte, 4:10 Tore, Tabellenplatz 20 - die momentane Situation der Spurs könnte kaum prekärer sein.
Der schlechteste Saison-Start seit 1912 brachte die englischen Zeitungen zum etwas weit hergeholten Vergleich mit der Titanic, da diese im selben Jahr sank und Ramos Tottenham nun auf ein ähnliches Schicksal zusteuert.
Der Stuhl des Trainers wackelt natürlich gewaltig. Im Moment weist der 54-Jährige Spanier Rücktrittsgedanken weit von sich: "Ich kann das natürlich nicht entscheiden, aber ich bin fest entschlossen, alles wieder gerade zu rücken."
Comolli vor dem Aus
Der desaströse Start weckt Zweifel am "kontinentaleuropäischen" Modell, bei dem sich Ramos auf das Team konzentriert und Sportdirektor Damien Comolli für Spielertransfers verantwortlich zeichnet.
Comolli werden einige Fehlgriffe angelastet, darunter der frühere Berliner Bundesliga-Profi Kevin-Prince Boateng, der zuletzt völlig in der Versenkung verschwand. Seine Zeit bei den Spurs scheint abgelaufen, als Ersatz für den Franzosen sind Avarm Grant und Terry Venables im Gespräch.
Kolumne: Raphael Honigstein über die Krise der Spurs
90 Millionen Euro für Neuzugänge
Dabei hatten die Spurs die Konkurrenz in der Sommerpause europaweit mit ihren Millionentransfers staunend zurückgelassen. Das Ziel: Die "Big-Four"-Phalanx der Premier League sollte gesprengt werden.
Knapp 90 Millionen Euro hatte der Verein aus dem Londoner Norden vor der Saison hingeblättert. Der Kronprinz plante mit sehr viel Geld in der Tasche den Aufstand in der Premier League. Ramos' neues Personal machte ganz Fußball-Europa neidisch.
Acht Spieler kamen, darunter David Bentley (22 Millionen, Blackburn Rovers), Luka Modric (21 Millionen Euro, Dinamo Zagreb), Roman Pawljutschenko (17,5 Millionen Euro, Spartak Moskau) sowie das Riesentalent Giovani dos Santos (sechs Millionen Euro, FC Barcelona).
Keine Alternativen im Sturm
14 Spieler mussten ihre Koffer packen. Und dabei scheinen sich die Spurs erheblich verzockt zu haben. Vor allem die Abgänge der beiden Stürmer-Stars Robbie Keane (FC Liverpool) und Dimitar Berbatow (Manchester United) können bisher überhaupt nicht kompensiert werden.
Mit Darren Bent und dem von ManUtd ausgeliehnen Fraizer Campbell hat Ramos nur noch zwei richtige Stürmer Kader, was dem Spanier sauer aufstößt.
"Auf der Stürmerposition sind wir am schwächsten besetzt. Es gibt überhaupt keine Möglichkeiten zu wechseln", meint Ramos. Zu allem Überfluss zog sich Pawljutschenko gegen Hull auch noch eine Knöchelverletzung zu.
Tiefe Risse im Projekt
Das Projekt Tottenham hat mittlerweile tiefe Risse aufzuweisen, da die Integration der Neuen nicht klappt. Modric wirkt ohne Bindung und kann dem Spiel nicht seinen Stempel aufdrücken. Von seiner Form, die ihn in Zagreb und bei der EM 2008 auszeichnete, ist der 23-Jährige weit entfernt.
Der 19-jährige Giovani dos Santos kommt über die Joker-Rolle nicht hinaus. Seine spritzige Art und seine jugendliche Unbekümmertheit lässt der Mexikaner zu selten aufblitzen.
Roman Pawlyutschenko ist alles andere als glücklich in London. Der Shooting-Star der EM findet so gut wie gar nicht statt. Mit Sturmpartner Darren Bent harmoniert der Russe überhaupt nicht. Unlängst jammerte er auch über das harte Training: "Zweieinhalb Stunden lang habe ich wie nie zuvor in meinem Leben trainiert."
Abfindung hält Ramos im Amt
Auf einen neuen Coach sollte sich der Russe aber nicht verlassen. Denn vorerst rettet Ramos, der mit Tottenhams Ligapokal-Triumph über den FC Chelsea seinem Ruf als "Cup-König" alle Ehre machte, laut "Sun" auch eine 15-Millionen-Pfund-Entschädigungs-Klausel, die bei einem Rauswurf fällig würde.
Aber viel Zeit bliebt nicht mehr. "Zu viele kleine Dinge kommen im Moment zusammen, sie produzieren ein dickes Problem", räumt Co-Trainer Gus Poyet ein, "wir haben viel Arbeit vor uns und müssen schnell die Wende schaffen."
Die Schreckensbilanz der Spurs
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