Bergomi: "Müller kann Inter vor Probleme stellen"

Christian Bernhard
22. März 201211:51
Giuseppe Bergomi (r.) stand 759 Spiele für Inter Mailand auf dem Platz - einsamer RekordGetty
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Inter Mailand oder der FC Bayern: Wer macht am Samstag in Madrid das Triple klar? Giuseppe Bergomi ist eine der größten Inter-Legenden und hat mit 759 Partien die meisten Spiele für die Nerazzurri bestritten. Der Vorgänger des heutigen Kapitäns Javier Zanetti hat 1998 den letzten internationalen Titel für Inter gewonnen (UEFA-Cup), selbst ein legendäres Spiel gegen den FC Bayern bestritten und tolle Erinnerungen an seine Ex-Teamkollegen Karl-Heinz Rummenigge, Lothar Matthäus, Andreas Brehme und Jürgen Klinsmann.

SPOXGiuseppe Bergomi ist der Rekordspieler von Inter Mailand. 759 Partien stand der 46-Jährige, der in seiner Karriere nur für die Nerazzurri spielte, im schwarz-blauen Trikot auf dem Platz.

Im Interview mit SPOX spricht "Lo Zio" (Der Onkel), der heute bei "Sky Italia" als TV-Kommentator tätig ist, über den Verein, das Finale in Madrid und seine spezielle Beziehung zu Inters "Deutschen".

SPOX: Herr Bergomi, wer ist am Samstag der Favorit?

Giuseppe Bergomi: Für mich ist Inter leicht favorisiert. Vor ein paar Monaten wäre die Ausgangslage eindeutiger gewesen, aber jetzt sind die Bayern in einer Bombenform. Dennoch hat Inter in der Qualität der Offensiveinzelspieler leichte Vorteile.

SPOX: Inters Mittelfeldspieler Esteban Cambiasso hat gesagt: "Wir haben bereits eine herausragende Saison gespielt, wenn wir am Samstag siegen, wird sie historisch." Unterschreiben Sie das?

Bergomi: Klar, dass er das sagt. Mit einem Sieg in Madrid würde die Saison auch historisch. Das wahre Ziel in den letzten Jahren war für Inter aber immer die Champions League. Keine Frage, das war bisher eine gute Saison, aber in Italien ist Inter mittlerweile ohne Konkurrenz. Der Finaleinzug hat viel Kraft und Nerven gekostet, deshalb wurde es in der Liga so knapp. Ansonsten ist die Dominanz zu groß.

SPOX: Inter war viele Jahre hinter Milan und Juve nur die Nummer drei in Italien. In den letzten Jahren sind die Nerazzurri an ihren Rivalen vorbeigezogen. Wie ist das gelungen?

Bergomi: Ein wichtiger Faktor war "Calciopoli", der große Fußballskandal. Inter hat nach Juves Zwangsabstieg mit Zlatan Ibrahimovic und Patrick Vieira viel Qualität von den Turinern geholt, die anderen Topteams konnten oder wollten nicht mehr so viel ausgeben. Inters finanzielle Möglichkeiten sind beeindruckend, da kann niemand mithalten. Selbst die Roma, der größte Konkurrent der letzten Jahre, kann nicht mehr machen, als sie jetzt imstande ist zu leisten.

SPOX: Es scheint sich auch die Mentalität verändert zu haben. So selbstbewusst und entschlossen wie in dieser Saison ist Inter in Europa lange nicht mehr aufgetreten.

Bergomi: Ja, das war eine konstante Entwicklung. Auch in den Jahren zuvor hätte Inter weit kommen können. Man darf nie vergessen, dass es in der Königsklasse auch das nötige Quäntchen Glück braucht. Man muss zum richtigen Moment in Topform sein, darf keine Verletzungen haben und muss auch etwas Glück bei strittigen Entscheidungen haben. Beide Finalisten haben all diese Faktoren genutzt. Die wahre Stärke einer Mannschaft zeigt sich aber in der Meisterschaft.

SPOX: Die Meisterschaft ist der "ehrlichere" Wettbewerb?

Bergomi: Ja, da musst du in 38 Spielen deinen Wert unter Beweis stellen. In der Champions League können gerade in den K.o.-Spielen viele kleine Faktoren entscheidend sein. Am Ende holt nicht immer die stärkste Mannschaft den Pokal. Inter und Bayern haben diese Saison alles richtig gemacht - obwohl andere Teams qualitativ vielleicht besser besetzt waren.

SPOX: Der Mann, der Inters Erfolge ermöglicht hat, ist Präsident Massimo Moratti. Sie kennen ihn gut. Was zeichnet ihn aus?

Bergomi: Moratti ist ein Schwärmer und Inters größter Fan. Er lässt sich von den Emotionen mitreißen, diese Leidenschaft hat viele Erfolge in den letzten Jahren eingebracht. Und er steckt sehr viel Geld in den Verein. Eine positive Erscheinung, solche Personen braucht der italienische Fußball. 1998 war ich in Paris am letzten internationalen Triumph beteiligt, jetzt hoffe ich, dass der Verein den langersehnten Pokal mit den großen Ohren holt. Moratti und die Fans verdienen es sich, sie haben viele Jahre lang gelitten.

SPOX: Welche aktuellen Inter-Spieler schätzen Sie besonders?

Bergomi: Javier Zanetti kenne ich am besten, mit ihm habe ich noch zusammengespielt. Er ist ein Musterprofi, kümmert sich um alle Details. Ich bin mir sicher, dass er noch mit 40 Jahren spielen wird, er ist ein wahrer Champion. Zu Dejan Stankovic habe ich auch ein besonderes Verhältnis. Und dann ist da Diego Milito, das Symbol der Mannschaft in diesem Moment.

Javier Zanetti im Porträt: Der Traum eines jeden Trainers

SPOX: Trotzdem ist der Mann, um den sich bei Inter alles dreht, Jose Mourinho. Für viele ist er der beste Trainer der Welt. Für Sie auch?

Bergomi: Mir gefällt die Bezeichnung "der Beste der Welt" nicht - weder bei Spielern, noch bei Trainern. Wenn jemand sagt: "Maicon ist der stärkste Außenverteidiger der Welt", antworte ich: "Nein, er ist einer der Besten." Mourinho ist einer der besten Trainer die es gibt, keine Frage. So wie auch Carlo Ancelotti, Alex Ferguson oder Louis van Gaal. Man darf bei solchen Bewertungen auch nie das Umfeld vergessen: Mourinho kam von Roman Abramowitsch zu Massimo Moratti und ist womöglich bald bei Florentino Perez, da gibt es schlechtere Voraussetzungen für einen Coach.

SPOX: Was beeindruckt Sie am Portugiesen?

Bergomi: Er schafft es, einfach alles aus seinen Spielern herauszuholen. Wenn ich Samuel Eto'o und Diego Milito sehe, wie sie in Barcelona als Verteidiger spielen, zeigt das, dass die Spieler alles für ihn tun. Wirklich alles. Diese Hingabe zu erhalten, ist nicht einfach für einen Coach.

SPOX: Mourinho hat gesagt, dass die Mannschaft in den kommenden Jahren auch ohne ihn gewinnen wird. Sehen Sie das auch so?

Bergomi: Ja, genau so. Der Verein und das Team sind schon Jahren auf dem richtigen Weg. Der Klub hatte mit Roberto Mancini Erfolg, er ist jetzt mit Mourinho erfolgreich und er wird auch mit dem nächsten Trainer erfolgreich sein. Da stimme ich Mourinho vollkommen zu.

SPOX: In den letzten Tagen überschlugen sich die Meldungen über einen Wechsel Mourinhos nach Madrid. Stören diese Gerüchte nicht das Team?

Bergomi: Nein, die Mannschaft ist voll auf das große Ziel fokussiert. Alle wissen, um was es geht, von diesen Gerüchten lassen sie sich nicht beeinträchtigen.

Lese Sie auf Seite zwei, was Bergomi von Louis van Gaal hält und wen er von den Bayern am meisten fürchtet. Außerdem spricht über eine bittere Niederlage gegen den FCB und sein tolles Verhältnis zu den Inter-"Deutschen".

SPOX: Louis van Gaal gilt als Lehrmeister Mourinhos. Wie schätzen Sie den Niederländer ein?

Bergomi: Sie sind sich ähnlich, denn sie schaffen es beide, eine Stimmung "Einer gegen alle" herzustellen. Van Gaal hat überall Erfolge eingefahren, den Titel mit Alkmaar schätze ich besonders hoch ein. In Deutschland den Titel mit den Bayern zu holen, ist wie momentan in Italien mit Inter erfolgreich zu sein. Klar ist es nicht einfach, aber es gehört zur Normalität. Van Gaal ist auch ein Beispiel dafür, wie schnell sich die Dinge im Fußball ändern können. Vor dem Juve-Spiel sah es so aus, als wäre er bald weg, dann hat dieses eine Spiel alles verändert. Das sollte man nicht vergessen.

SPOX: Van Gaal muss am Samstag auf den gesperrten Franck Ribery verzichten. Wie schwer wiegt der Ausfall des Franzosen?

Bergomi: Schwer. Van Gaal legt großen Wert auf das Spiel über die Flügel und wenn man da einen Spieler wie Ribery hat, kann man den Gegner vor große Probleme stellen. Allerdings haben die Bayern momentan ein unglaubliches Selbstvertrauen, deshalb können sie Riberys Abwesenheit besser kompensieren als noch vor einigen Monaten.

Das macht Inter so stark: Die SPOX-Taktikanalyse

SPOX: Wen oder was fürchten Sie an den Bayern am meisten?

Bergomi: Hauptsächlich den Fakt, dass sie auf so viele Arten Tore machen können. Ein Spieler gefällt mir besonders: Thomas Müller. Er ist unberechenbar und kann Inter richtig Probleme bereiten. Er ist viel unterwegs und darf auf keinen Fall unterschätzt werden.

SPOX: Sie haben selbst mit Inter gegen den FC Bayern gespielt, 1988 im UEFA-Cup-Achtelfinale. Erinnern Sie sich noch daran?

Bergomi: Und wie, leider.

SPOX: Das Rückspiel in Mailand, dass der FCB nach dem 0:2 im Hinspiel mit 3:1 gewann, ging als "Wunder von San Siro" in die Annalen der Bayerngeschichte ein. Was ist damals passiert?

Bergomi: Brehme hat sich in der ersten Halbzeit verletzt und musste ausgewechselt werden. Wir waren dann ein paar Minuten nicht geordnet und haben uns die drei Tore eingefangen. In der zweiten Halbzeit war es ein einziger Sturmlauf unsererseits. Raimond Aumann hat unglaublich gehalten, ich kann mich noch genau an eine Parade gegen Matthäus erinnern, die war der Wahnsinn. Zehn Leichtsinnsminuten haben uns damals den Einzug ins Viertelfinale gekostet, so ist der Fußball eben. Nimmt man beide Spiele her, hätten wir weiterkommen müssen, geschafft haben es aber die Bayern: Das macht die Faszination dieses Sports eben aus. Allerdings schmerzt diese Niederlage immer noch.

SPOX: Nach dem Schlusspfiff soll es in den Katakomben zu Rangeleien gekommen sein...

Bergomi: Das stimmt, im Kabinengang hat sich die große Anspannung entladen. Solche Sachen sollten nicht passieren, aber es war eben ein wichtiges Spiel. Zwischen Andi Brehme, Lothar Matthäus und den deutschen Bayernspielern ging es hoch her, wir Italiener haben "unsere" Deutschen verteidigt. Wir haben uns vielleicht nicht ganz richtig verhalten, aber von Bayernseite wurde auch ein wenig provoziert.

SPOX: Neben Matthäus und Brehme haben Sie auch mit Karl-Heinz Rummenigge und Jürgen Klinsmann zusammengespielt. Welche Rolle haben die Deutschen für Inter gespielt?

Bergomi: Sie haben vor allen Dinge eins mitgebracht: die Winner-Mentalität. Die Deutschen gaben nie auf, sie trainierten immer hart und waren Top-Profis. Mir persönlich hat diese Zeit auch tolle Freundschaften gebracht.

SPOX: Haben Sie zu einem der Deutschen ein spezielles Verhältnis aufgebaut?

Bergomi: Rummennige war nicht nur als Spieler, sondern auch als Mensch beeindruckend. Aber ich habe mich mit allen gut verstanden, egal ob Brehme, Klinsmann, Hansi Müller oder Matthias Sammer. Bei Matthias habe ich alles versucht, um ihn zu überreden, bei uns zu bleiben, denn ich habe gesehen, dass er ein überragender Spieler war. Und Lothar war in den Jahren, in denen ich gespielt habe, der beste Ausländer, den Inter hatte. Kurzum: Sie waren enorm wichtig für uns, ich habe sie alle noch gern. Wenn es bei großen Turnieren ans Mitfiebern geht, kommt bei mir hinter Italien gleich Deutschland. Diese Spieler haben mir so viel gegeben, ich erkannte mich was die Arbeitsmoral betrifft in ihnen wieder.

SPOX: Können die Bayern und Inter in der kommenden Saison an diese überragende Spielzeit anknüpfen?

Bergomi: In den jeweiligen Meisterschaften auf jeden Fall. Die Champions League ist ein anderes paar Schuhe: Seien wir mal ehrlich, wir erinnern uns alle noch, wie die Bayern gegen die Fiorentina weitergekommen sind und was in der ersten Halbzeit in Manchester los war. In der Königsklasse muss einfach alles passen, da ist es fast unmöglich, Vorhersagen zu treffen.

SPOX: Fiebern Sie in Madrid im Stadion mit?

Bergomi: Nein, ich schaue mir das Spiel gemütlich zuhause an. Auf der Couch mit meinen Ultras, den Kindern. (lacht)

Giuseppe Bergomi im Steckbrief