Zwischen Faszination und Hysterie

Christoph Köckeis
19. Januar 201312:08
Didier Drogba wird von den Fans verehrt, doch die Faszination kann auch zur Hysterie werdenGetty
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Knallige Farben, schrille Outfits, laute Vuvuzelas - der Afrika Cup brilliert auch 2013 (alle Spiele im LIVE-TICKER) mit seinem einzigartigen Flair. Ab Samstag wetteifern 16 Nationen in Südafrika um die begehrte Krone. Passend zur kalten Jahreszeit werden sie uns kräftig einheizen. SPOX kennt die interessantesten Facts.

Der Austragungsort: In schöner Regelmäßigkeit predigen Verbandsgranden die strikte Abgrenzung zur Politik. Das ergibt fraglos Sinn, lässt sich jedoch in den seltensten Fällen realisieren. So wurde etwa der diesjährige kontinentale Vergleich maßgeblich durch den Arabischen Frühling beeinflusst.

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Ursprünglich war Libyen als Austragungsort auserkoren, ehe der fürchterliche Bürgerkrieg das Land erschütterte. Gezwungenermaßen reagierte der afrikanische Fußball-Bund (CAF), ernannte Südafrika zum neuen Gastgeber. Nach der WM 2010 erwartet man den zweiten Höhepunkt innerhalb kürzester Zeit. Ein Beschluss mit strategischem Weitblick.

Alle Stadien entsprechen modernsten Standards, die Infrastruktur ist bestens in Schuss. Zudem sollte das Organisationskomitee fähig sein, einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. Abenteuerlichen Verhältnissen, wie sie vielerorts in den Jahren zuvor herrschten, sagt man so den Kampf an. SPOX

Der Stellenwert: "In den meisten Ländern ist es eine Art Staatsangelegenheit. Nicht selten werden die Akteure von Präsidenten oder Machthabern eingeschworen", veranschaulicht Pablo Thiam, früherer Bundesliga-Profi, gegenüber "Eurosport". Das runde Leder fasziniert Afrika. Schnell kann Leidenschaft dabei zur Hysterie werden.

Blog: Philos "kleine" Vorschau auf den Afrika Cup

Beim Eröffnungsspiel des Vorjahres in Äquatorial-Guinea und Gabun drängten Tausende gegen geschlossene Eingangstore. Erst das gedankenschnelle Öffnen dieser verhinderte eine Tragödie. Im Oktober 2012 mussten die Kicker der Elfenbeinküste unter Polizeischutz vor brennenden Sitzen und fliegenden Steinen bei einem Spiel im Senegal von der Polizei beschützt werden.

Auch solche Emotionen werden bei der verarmten Bevölkerung ausgelöst. Thiam weiß: "Für die Trainingslager werden enorme Mittel zur Verfügung gestellt. Das ist, wenn man sich die finanzielle Stärke der Nationen zu Gemüte führt, eine große Belastung. Die wird aber gerne in Kauf genommen."

Seite 2: Die Favoriten und die Stars

Seite 3: Der Fall Togo und die Verweigerer

Die Favoriten: Zuerst eine geografische Auffrischung: Die Republik Kap Verde liegt vor der Westküste Afrikas. Rund 516.000 Einwohner verteilen sich auf neun Inseln. Umso sensationeller mutet die erstmalige Qualifikation gegen den viermaligen Kontinentalmeister Kamerun an. Ein Land, indem 40 Mal so viele Menschen leben.

Dennoch gehören die Kicker vom Atlantik-Archipel zu den krassen Underdogs. Ein Weiterkommen in Gruppe A käme angesichts der übermächtigen Konkurrenz mit Südafrika und Marokko unerwartet. Obwohl der Cup in der Vergangenheit einer Wundertüte glich. Selbst kühnste Optimisten hätten Sambias Triumph 2012 über die Ivorer wohl nicht prognostiziert.

Der Titelverteidiger löste übrigens erst mit 20 Elfmeterschützen gegen Uganda das Ticket. Zum engsten Zirkel gehören die "Chipolopolo" daher nicht. Dort finden sich vielmehr die Altbekannten aus Ghana, Nigeria oder der Elfenbeinküste, die im Kollektiv wie sooft bestens besetzt ist.

Für die "Goldene Generation" um Didier Drogba ist es vielleicht die letzte Chance, sich den ersehnten Titel zu erfüllen.

TV-Konsumenten erwartet jedenfalls die komplette Bandbreite zwischen Weltklasse und Amateur-Niveau. "Viele Teams greifen auf Spieler zurück, die in Europa spielen und sich gewisse Strukturen aneigneten. Das, gepaart mit der afrikanischen Athletik und dem Spielwitz, macht es so interessant. Andere haben weniger Legionäre, ihnen mangelt es an taktischer Ausbildung", betont Thiam.

Die Stars: Argwöhnisch verfolgen Trainer und Manager ab Samstag den ungeliebten Afrika Cup. Ausgerechnet zum Start der Bundesliga-Rückrunde müssen der SC Freiburg (Cedric Makiadi/Kongo), VfB Stuttgart (Arthur Boka), Hannover 96 (Didier Ya Konan/beide Elfenbeinküste) und der akut abstiegsbedrohte FC Augsburg (Aristide Bance/Burkina Faso) wichtige Spieler abstellen.

Noch ungelegener kommt es für Manchester City. Um die Titelverteidigung in der Premier League zu realisieren, benötigt Roberto Mancini eigentlich alle Kräfte. Doch die wichtige Phase der Saison muss man ohne die Ivorer Kolo Toure und Yaya Toure bestreiten. Für den italienischen Betreuer reinste Wettbewerbsverzerrung: "Wir haben keinen adäquaten Ersatz."

Neben den Toure-Brüdern weilen unter anderem John Obi-Mikel (Chelsea/Nigeria), Gervinho (Arsenal/Elfenbeinküste), Emmanuel Adebayor (Tottenham/Togo) oder Valencias Sofiane Feghouli (Algerien) in Südafrika.

Ex-Chelsea-Star Drogba tangiert dies nicht. Die Saison in China ist beendet, somit wird der 34-jährige "Repräsentant Afrikas" (Thiam) alles versuchen, um sich endlich die Krone aufzusetzen.

Seite 3: Der Fall Togo und die Verweigerer

Der Fall Togo: Im Januar 2010 versetzte ein Attentat den togoischen Fußball in eine Schockstarre. Auf der Reise zum Spielort in der angolanischen Enklave Cabinda wurde der Mannschaftsbus mit Maschinengewehren angegriffen. Zwei Menschen kamen ums Leben, unter den neun Verletzten befanden sich zwei Spieler.

Nach reiflichen Überlegungen verkündeten die Betroffenen ihren Wunsch, am Turnier teilnehmen zu wollen. Allerdings ordnete die Regierung den sofortigen Rückzug an. Ob politischer Einflussnahme wurde Togo für zwei Jahre verbannt, die Sperre später zurückgezogen. Im Vorfeld des Afrika Cups 2013 gab es abermals Unruhen um "Les Eperviers", diesmal gottlob nur intern. SPOX

Trainer Didier Six berief nämlich zwei prominente Namen nicht ein. Star Adebayor erklärte, nicht zu kommen. Auf Torhüter Kossi Agassa von Stade Rennes verzichtete Six wegen einer angeblichen Verletzung.

FTF-Boss Gabriel Ameyi war damit so gar nicht einverstanden: "Ich habe ihn aufgefordert, beide mitzunehmen." Gesagt, getan.

Der Verweigerer: Alle Augen waren im WM-Viertelfinale 2010 auf Asamoah Gyan gerichtet. Er, der bis dorthin drei Tore erzielte, übernahm in der 123. Minute Verantwortung. Vom Punkt könnte er zum Volkshelden aufsteigen. Doch er scheiterte.

Ghana blieb die erste Halbfinal-Teilnahme eines afrikanischen Vertreters verwehrt. Zwar traf Gyan im folgenden Elferschießen, trotzdem wurde er zur Inkarnation des Scheiterns. Der schwarze Kontinent trauerte geschlossen mit ihm. "Es ist Teil des Sports. Ich bin mental stark und werde zurückschlagen", kündigte er damals an.

Ob dieser Tragik richtete seine Mutter vor ihrem Ableben einen letzten Wunsch an den Sohnemann. "Sie hat mich gebeten, keine Strafstöße mehr auszuführen", erzählt der ehemalige Sunderland-Legionär. "Im Spiel werde ich daher nicht mehr antreten."

Vielleicht erlebt Gyan, seit 2011 in den Vereinigten Arabischen Emiraten tätig, mit Ghana schon bald sein persönliches Happy End.

Asamoah Gyan im Steckbrief