Wladimir Klitschko: Boxen im Sicherheitsmodus

Von Norbert Pangerl
Nicht nur beim Mundschutz vertraut Wladimir Klitschko ganz auf seinen Trainer Emanuel Steward (l.)
© Getty

Am 10. April 2004 musste Wladimir Klitschko gegen Lamon Brewster seine letzte Niederlage einstecken. Nicht wenige, die den jüngeren Klitschko damals in Las Vegas am Boden sahen, erklärten die Weltmeister-Karriere des Ukrainers damit für beendet. Klitschko belehrte sie jedoch eines Besseren: auch dank seines Trainers Emanuel Steward. Am Samstag gegen David Haye (22.30 Uhr im LIVE-TICKER) könnte der Ukrainer sein Meisterstück machen.

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Seinen Einstand als Trainer von Wladimir Klitschko hatte sich Emanuel Steward vermutlich anders vorgestellt. Als er im April 2004 erstmals in der Ecke des ukrainischen Boxers stand und damit Fritz Sdunek beerbte, deutete alles auf eine mehr oder weniger einfache Titelverteidigung seines Schützlings hin.

Lamon Brewster, älter, kleiner, leichter und in der Reichweite unterlegen, war zwar bei der WBO gerankt, hatte aber schon zwei Niederlagen auf dem Konto und zuvor keinen einzigen namhaften Gegner geboxt.

Als der als Puncher bekannte Mann aus Indianapolis in der vierten Runde dann auch noch erstmals in seiner Karriere zu Boden ging, zweifelte keiner mehr an einem Sieg Klitschkos. Die K.o.-Niederlage, die sich Dr. Steelhammer dann in der fünften Runde abholte, war so überraschend wie vernichtend, sollte aber zu einem Wendepunkt in der Laufbahn des Olympiasiegers von 1996 werden.

Kampf um Anerkennung

Seit dieser Zeit hat Wladimir Klitschko 13 Siege verbucht. Zehn davon vorzeitig. Er ist heute die Nummer eins des Schwergewichts und besitzt zwei der vier WM-Gürtel der anerkannten Verbände. Zu einem Zuschauermagneten hat er sich aber - außerhalb Deutschlands und Rest-Europas - nicht entwickelt.

Im Gegenteil: der US-amerikanische Bezahlsender HBO teilte im letzten Jahr mit, dass man darauf verzichte, die Klitschko-Kämpfe im TV zu zeigen. Für die Brüder ein Schlag ins Gesicht. Der US-Markt ist der größte Boxmarkt der Welt und eine Etablierung auf diesem aus finanziellen und sportlichen Gesichtspunkten eigentlich ein Muss.

Wie kommt es also, dass Wladimir Klitschko trotz seines Status als Nummer eins, in der aktuell an Schwergewichten armen US-Szene um seine Anerkennung kämpfen muss? Im ersten Moment begründete HBO-Boss Ross Greenburg die Entscheidung seines Netzwerks mit der optischen Ähnlichkeit der beiden Brüder, die der Zuschauer nicht auseinanderhalten könne.

Der Hauptgrund aber liegt in der Tatsache, dass die Kämpfe der Klitschkos, insbesondere die des jüngeren Bruders Wladimir, einfach zu unspektakulär, zu wenig actionreich und zu langweilig waren, sprich: inkompatibel mit den Sehgewohnheiten des amerikanischen Durchschnittsboxfans.

Safety first statt Bruder Leichtfuß

Dieser Boxstil, der auf der totalen Kontrolle des Gegners beruht und im Fight gegen Sultan Ibragimow im Madison Square Garden wohl sein Meisterstück fand, ist nicht nur, aber vor allem die Arbeit von Hall-of-fame-Trainer Emanuel Steward.

Schon unter Sdunek boxte Wladimir Klitschko kontrolliert, ging aber trotzdem noch auf Risiko, wenn es sich zu lohnen schien. Unter Steward hat er sich dies abgewohnt.

Risiko, oder im negativen Sinne gar Leichtsinn wie gegen Sanders und Brewster, konnte man bei Wladimir Klitschko in den letzten Kämpfen nicht entdecken. Zwar war er zu Anfang auch unter Steward gegen DaVarryl Williamson und Samuel Peter am Boden, fing sich aber wieder und gewann beide Kämpfe. Seitdem gilt die Devise: Safety first. Nur fünf Treffer pro Runde kassierte Klitschko in seinen letzten vier Kämpfen.

Dominante Führhand, unsichtbare Schlaghand

Die wohl stärkste Waffe Klitschkos, seine Weltklasse-Führhand, ist der Schlüssel bei der Umsetzung dieser Taktik. Er diktiert die Kämpfe mit seinem Jab und spielt seine Reichweitenvorteile gnadenlos aus. Für seine letzten vier Fights - Peter, Chambers, Tschagajew und Rahman - fällt die Schlagstatistik mit 632:188 klar zugunsten des Weltmeisters aus.

Von diesen 632 Schlägen entfallen 421 auf die Führhand. Die Schlaghand bleibt im Gegensatz zu früher meist außen vor, was ihm den Vorwurf mangelnder Finisherqualitäten einbrachte.

Erzielt er mit dem Jab Wirkung beim Gegner, geht er häufig aus Angst - oder Bedenken - selbst getroffen zu werden nicht mehr entschlossen hinterher. Dazu gehört auch, dass er durch dieses wirkungsvolle Ausschöpfen seiner distanzboxerischen Fähigkeiten häufig zu weit weg steht, um schnell nachzusetzen.

Erst wenn er den Gegner tatsächlich zermürbt hat und das Risiko für ihn gegen null geht, setzt er zum finalen Angriff an. Diese unspektakuläre Dominanz beschert ihm zwar Sieg um Sieg, aber die Zuneigung zahlreicher Box-Fans hat er dadurch verspielt.

Klammern gehört zum Geschäft

Seine lange Führhand ist es auch, die den Gegner immer wieder zwingt, durch schnelle Attacken in Klitschko reinzuspringen. Passiert dies, klammert er, was für den Gegner sehr kräfteraubend ist.

Fritz Sdunek sieht jedoch in diesen Attacken das einzige probate Mittel für David Haye. "Das werden auf jeden Fall die überfallartigen Angriffe sein, die Haye schon gegen Walujew gezeigt hat. Damals hat Haye taktisch richtig gut und klug geboxt", erklärte der erfahrene Box-Trainer im SPOX-Interview.

Für Sdunek gibt es aber trotzdem keine zwei Meinungen, wer den Kampf dominieren wird: "Wladimir ist im Endeffekt einfach schneller und wird diesen Angriffen aus dem Wege gehen. Wladimir selbst dagegen wird Haye mit seiner Führungshand auf Distanz halten, und wenn Haye den Jab ein paar Mal gespürt hat, wird er sich zwei Mal überlegen, in Wladimir reinzuspringen."

Steward frustriert über Wladimirs analytischen Boxstil

Obwohl Manny Steward einen gehörigen Anteil an Klitschkos Entwicklung hat, zeigte er sich zuletzt verärgert, über seinen Schützling. "Ich bin auf jeden Fall frustriert über Wladimirs systematischen, analytischen Boxstil", erklärte er auf "SkySportNews".

"Das Enttäuschende ist, dass ich weiß, welch Talent in ihm steckt und was er alles kann. Aber es ist wie ein Schachspiel mit ihm." Geht es nach Steward, denke Wladimir einfach zu viel. "Der Unterschied zwischen Wladimir und Lennox Lewis ist, dass Lennox tatsächlich die Dinge im Kampf umgesetzt hat, die er trainiert hat. Wladimir hält sie zurück."

Dennoch ist sich die Trainer-Ikone sicher, dass die Zuschauer am Samstag einen anderen Wladimir Klitschko im Ring sehen werden. Die ständigen Provokationen von Seiten Hayes, die in den "Köpfer-T-Shirts" gipfelten, hätten bei Wladimir zusätzliche Emotionen ins Spiel gebracht. Und die werde er am Samstag rauslassen.

Schnelles Ende oder Langeweile

Für die Zuschauer bleibt dies ebenso zu hoffen, wie dass David Haye seine vollmundigen Ankündigungen wahrmacht und von der ersten Runde an attackiert. Sdunek sieht "eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder er läuft am Anfang nur weg, oder er geht gleich wie ein Pitbull in den Mann rein."

Setzt Haye auf die erste Alternative, können sich die Zuschauer auf das beschriebene Szenario einstellen. Klitschko wird den Kampf mit der Führhand diktieren, dominieren und einen ungefährdeten Sieg einfahren.

Setzt Haye auf die zweite Alternative, sollte man pünktlich vor Ort sein. Beide haben überdurchschnittlich viel Dampf in den Fäusten und nur durchschnittliche Nehmerfähigkeiten. Gute Zutaten für einen spektakulären und actionreichen Kampf - den auch HBO übertragen wird.

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