"Mix aus Slasher und Schützen"

Haruka Gruber
19. Februar 201514:39
Niels Giffey spielt seit dieser Saison für Alba Berlingetty
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Er wurde von einem Fanatiker "gebrochen" - und er wird vom nächsten Fanatiker an seine Grenzen gebracht. Alba Berlins Niels Giffey, zweimaliger College-Champion mit den Connecticut Huskies, spricht vor dem Pokal-Viertelfinal-Kracher gegen den FC Bayern über Jim Calhoun, Sasa Obradovic und seinen Weg aus der Schublade. Und: Wie seine seltsame, dreimonatige Odyssee durch die USA in Berlin endete.

SPOX: Nach Ihrer Verpflichtung sagte Albas Geschäftsführer Marco Baldi, dass Sie mit gewissen Zweifeln vom College in den Profi-Basketball wechseln würden. Ein halbes Jahr später: Wurden die Zweifel bestätigt?

Niels Giffey: Gesunder Respekt trifft es besser. Vier Jahre lang war am College alles geregelt und ich wusste, wie mein Alltag aussieht. Daher hatte ich nicht Respekt vor dem Profi-Basketball an sich, sondern Respekt vor Veränderungen. Mittlerweile habe ich mich super eingefunden und kann das Profi-Leben extrem genießen. Ich hätte es vorher nicht gedacht, aber es ist schön, wenn man sich nur auf eine Sache fokussieren muss. Am College war alles geregelt - und alles durchgeplant: Ich musste mich um die Uni kümmern, Termine einhalten, Termine ansetzen, alles mit dem Training arrangieren, die Prüfungen bestehen, und und und. Mental war es sehr anstrengend.

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SPOX: Fehlen Ihnen dafür die Freundschaften? Wie ist das unterschiedliche Miteinander in einem College- und BBL-Team?

Giffey: Es ist natürlich etwas komplett anderes. Bei einem Profi-Team weiß du, dass in jedem Sommer das Kommen und Gehen beginnt, daher ist es normal, dass man außerhalb des Basketballs häufig nicht die ganz dicken Freundschaften schließt, auch wenn die Kollegialität im Locker Room sehr gut ist. Am College hingegen gibt es viel mehr persönliche Erlebnisse, die einen verbinden. Man ist eine echte Familie. Ich habe beispielsweise mit meinem Teamkollegen Tyler Olander, der jetzt in Litauen spielt, im ersten College-Jahr ein Zimmer und danach ein Apartment geteilt. Irgendwann verstehst du deinen Kumpel blind: Wann steht er auf? Welche Macken hat er? Was geht ihm auf die Nerven?

SPOX: Olander gewann mit Ihnen und der University of Connecticut, den Huskies, zweimal die College-Meisterschaft. Nun spielt er im litauischen Hinterland in Siaulai. Wie tough ist es als Profi-Basketballer?

Giffey: Man ist Profi und muss liefern. In Russland heißt es: "Du bist da? Zack, dann musst Du produzieren!" Wenn man sich verletzt, wird eben ein Neuer geholt. Für Tyler kommt hinzu, dass er in der Nähe von UConn aufgewachsen ist und daher erstmals weit weg von zuhause lebt. Es sind Entscheidungen, die man treffen muss, wenn man als Basketballer seinen Lebensunterhalt verdienen möchte. Allerdings ist die Umstellung definitiv nicht einfach. Ich kann mich gut hineinversetzen. Als ich aus Deutschland in die USA gegangen bin, kannte ich nichts und niemanden und plötzlich war alles komplett anders. Dennoch musste ich mich mit Basketball auseinandersetzen. Man muss sich immer vor Augen halten: Ab einem bestimmen Punkt ist es nicht Sport, sondern Business.

SPOX: Gab es für Sie lukrativere Angebote aus dem Ausland als von Alba?

Giffey: Deutschland war die erste Option.

SPOX: Neben Berlin bemühte sich vor allem Bamberg um Sie. Gab die Heimatverbundenheit den Ausschlag?

Giffey: Natürlich ist es einfacher, dort den ersten Schritt als Profi zu gehen, wo man aufgewachsen ist und wo ein gewachsener Freundeskreis auf einen wartet. Trotzdem traf ich die Entscheidung für Berlin nicht emotional, sondern vernünftig nach Abwägung rationaler Argumente. Ich schaute mir den Kader und den Coaching-Staff an und es kristallisierte sich heraus, dass bei Alba eine größere Rolle auf einen zukommen könnte. Dazu kam die Aussicht, in der Euroleague zu spielen.

SPOX: Was unterscheidet den europäischen Spitzenbasketball vom College?

Giffey: Die Execution, die Ausführung von elementaren taktischen Prinzipien. Die Systeme werden konsequenter gelaufen und das Skill Set von jedem Spieler ist deutlich größer. Sprich: Du darfst keine Fehler machen, weil jeder Fehler ausgenutzt wird. Das ist in der BBL schon der Fall, in der Euroleague ist das noch extremer. Ein weiterer Unterschied: Das Tempo ist deutlich geringer. Abgesehen von Mannschaften wie Real Madrid, das Auf und Ab läuft, ist der Basketball langsamer und weniger Fast-Break-orientiert.

SPOX: Vorausgesetzt, man einigt sich auf eine Hybrid-Regelung wie bei den NBA Global Games: Wer würde das theoretische Gedankenspiel zwischen dem heutigen Alba Berlin und den UConn Huskies des Vorjahres gewinnen?

Giffey: Alba - und das aus zwei Gründen. Erstens: die Inside-Präsenz. Zweitens: die Tiefe. In Berlin gibt es keinen Spieler auf dem Talentlevel eines Shabazz Napier oder Jeremy Lamb. Wobei Alba breiter aufgestellt ist und die Nummer sieben bis Nummer zehn in der Rotation besser - oder zumindest erfahrener und abgezockter - sind als bei einem College-Team. Selbst UConn kann da nicht mithalten.

SPOX: Wie fügten Sie sich als College-Absolvent in einem Profi-Team ein? Was hat nicht so funktioniert, wie Sie es sich gedacht hatten?

Giffey: Ich hatte eigentlich erwartet, dass ich defensiv stabiler wäre und in der Verteidigung sofort mehr Verantwortung übernehmen könnte. Das war leider nicht so. Es schockierte mich nicht, aber es war erst mal ein Realitätscheck, wie es im Profi-Bereich zugeht. Daher musste ich zum Saisonstart viel mehr Zeit dafür investieren, mich auf die Basics in der Defense zu konzentrieren.

SPOX: Und was hat besser funktioniert, wie Sie es sich gedacht hatten?

Giffey: Ich durchging nach ein paar Wochen zwar ein Rookie-Tief, wobei es mir generell leichter fiel, mit den vielen Spielen klarzukommen und fokussiert zu bleiben. Mental hatte ich gedacht, dass mir alles zu viel wird. Zumal unser Coach Sasa Obradovic nicht der Entspannteste ist und jeden an seine Grenzen bringen will. Ich habe jedoch schnell einen guten Weg gefunden, um mit der Belastung klarzukommen.

SPOX: Waren Sie bereits auf Obradovic vorbereitet, weil Ihr früherer College-Trainer Jim Calhoun ihm in nichts nachsteht? Sie sagten, dass Calhoun Sie im Freshman-Jahr "gebrochen hätte". Und Obradovic sorgte zuletzt bei der Niederlage gegen Oldenburg für Aufsehen, weil er in einer Auszeit mit Ihrem Mitspieler Alex Renfroe aneinandergeriet, weswegen Sie dazwischen gehen mussten.

Giffey: Ich glaube schon. Beide haben andere Charakterzüge, von der Intensität sind sie vergleichbar. Beide sind Basketball-Fanatiker. Ich kam damals als Teenager an die UConn, sprach nicht fließend Englisch, musste mich an die neue Umgebung gewöhnen - und dann wird man mit einem Coach wie Jim Calhoun konfrontiert. Ich dachte irgendwann, ich könnte keinen Basketball mehr spielen. Es gab viele Faktoren, auf die ich nicht vorbereitet war und die mich beeindruckten. Mittlerweile passiert mir das nicht mehr so schnell. (lacht)

SPOX: Mit Calhoun gewannen Sie 2011 die erste College-Meisterschaft. Nach dessen Rücktritt übernahm Assistent Kevin Ollie als Head Coach - und es folgte 2014 die zweite Championship.

Giffey: Kevin Ollie ist im Vergleich zu Jim Calhoun der klassische Vertreter eines Player's Coaches. Er fordert ebenfalls eine hohe Intensität, aber er hat eine sehr positive Art und brachte so eine neue mentale Einstellung ins Team.

Seite 1: Giffey über Alba, die Unterschiede zum College und Obradovic vs. Calhoun

Seite 2: Giffey über die NBA-Try-outs, die "Schublade" und seinen Nachfolger

SPOX: Sie feierten mit UConn große Erfolge, dabei waren die Huskies anders als Kentucky oder Kansas nie das talentierteste Team. Gibt es eine Parallele zu Alba? In Berlin wurden einst Verschmähte wie Jamel McLean und Reggie Redding zu Stars oder wie Akeem Vargas und Alex King zu deutschen Nationalspielern.

Giffey: Wenn man die Parallelen sehen will, dann ja. Ich war nie jemand, der zu einer Superstar-Truppe gegangen ist. Ich bin vielleicht auch nicht der Spielertyp dafür. Wir gehen es in Berlin mit der richtigen Art und Weise an, indem wir Leute holen, die nie hochgehypt waren und sich beweisen wollen. Alleine wenn ich Akeem sehe, wie er aufopferungsvoll seiner Pflicht nachkommt und verteidigt. So etwas ist entscheidend für den Teamerfolg. Bei uns kann sich jeder beweisen, der sich hocharbeiten möchte. Das gefällt mir.

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SPOX: Ihr Ex-Coach Ollie gehörte als Spieler ebenfalls zu der Kategorie.

Giffey: Wir haben häufig darüber gesprochen. Er war in einer ähnlichen Situation wie ich in diesem Sommer. Damals kam er an einem Punkt, als er es nicht in die NBA schaffte und eigentlich nach Europa gehen wollte. Allerdings wurde seine Frau schwanger, daher entschied er sich für die Minor League CBA. Damals war es noch aussichtsloser als heute, so den Weg in die NBA zu finden. Trotzdem blieb er immer optimistisch, arbeitete hart - und wurde von der NBA entdeckt und hielt sich dort 13 Jahre lang. Charakterlich ist er ein unglaubliches Vorbild für mich.

SPOX: Bevor Sie in Berlin unterschrieben, hatten Sie alles versucht, um sich einem NBA-Team anzubieten. Wie beschwerlich war der Sommer? Besonders nachdem Sie noch im April vor 80.000 Zuschauern in Arlington den NCAA-Titel feierten?

Giffey: Es war tough, sich vor allem physisch auf die Try-outs vorzubereiten. Eine Woche nach dem College-Finale ging es schon zum ersten Scouting-Turnier, dem Portsmouth Invitational. Sich sofort wieder auf seine Skills zu konzentrieren und an jedem Detail zu arbeiten, obwohl die Saison erst vorbei ging, ist schwer. Deswegen habe ich mir zwischendurch eine Woche Pause gönnen müssen. Und deswegen musste ich leider der Nationalmannschaft für die EM-Quali absagen. Es reichte körperlich und mental nicht, nachdem ich den gesamten Sommer dem NBA-Traum nachgejagt hatte.

SPOX: Sie nahmen unter anderem an Try-outs bei sechs NBA-Teams teil, reisten ins italienische Treviso für das Eurocamp und standen in der Summer League bei den Memphis Grizzlies und den Utah Jazz unter Vertrag. Wie kann man sich so ein Pensum vorstellen?

Giffey: Nach der Unterschrift in Berlin war es am schönsten zu wissen, dass man endlich irgendwo angekommen ist. Ich habe von Mai bis August durchgängig nur in Hotels geschlafen. Ich bin einmal im Flugzeug aufgewacht und musste fragen, wo wir abgeflogen sind und wohin ich fliege. Und wenn man dann in einem der Städte ankam, musste man immer auf Abruf bereitstehen, weil man nicht weiß, welche Gelegenheit sich ergibt. Man wusste nie, was am nächsten Tag passiert. Und das drei Monate lang.

SPOX: Wie enttäuscht waren Sie, dass all die Mühe vergebens war? In der Summer League kamen Sie für Memphis nicht eine Minute zum Einsatz. Für Utah lief es nur bedingt besser, unter anderem trafen Sie nur 3 von 14 Dreiern.

Giffey: Am Ende muss ich klar sagen, dass ich nicht gut genug war, um von den Jazz eine Garantie zu bekommen, die mir ausreicht. Sie hatten das größte Interesse und wir pflegen weiterhin ein gutes Verhältnis. Nur ich habe nicht so eingeschlagen, um hundertprozentig sicher zu sein.

SPOX: Sie sagen offen, dass Sie bei den NBA-Scouts in der Schublade "Three and D" stecken: Als Rollenspieler, der offensiv den offenen Dreier trifft und gute Defense spielt. In Berlin hingegen setzten Sie sich das Ziel, "kreativer" zu sein. Wie drückt sich das aus?

Giffey: Ich möchte variabler sein und mich nicht nur auf meinen Wurf verlassen, sondern mehr penetrieren, mehr mit Fakes arbeiten. Und anders als am College mit der Doppelbelastung durch das Lernen habe ich jetzt wirklich die Zeit, gezielt diese Skills zu trainieren. Ich möchte weiter ein guter Dreipunktwerfer sein, aber ich möchte als Spieler einen guten Mix verkörpern aus Slasher und Schützen.

SPOX: Wie sehen Sie sich in der Hierarchie von Alba? Derzeit sind Sie ein Rollenspieler, doch nach dieser Saison, wenn die Abgänge von McLean, Redding, Cliff Hammonds und Leon Radosevic drohen, gebührt Ihnen eine Führungsposition.

Giffey: Es ist zu früh, um sich darüber Gedanken zu machen. Ich habe als Profi noch nicht einmal eine komplette Saison gespielt. SPOX

SPOX: Sie verließen mit 19 Jahren Alba und gingen zu UConn, weil Sie mit der damaligen Jugendförderung von Trainer Luka Pavicevic nicht zufrieden waren. Seit Ihrer Rückkehr spielen Sie mit Moritz Wagner in einem Team. Eine wie Sie damals ähnlich talentierte Nachwuchshoffnung, die vor der gleichen Entscheidung steht wie Sie 2010: Bei Alba verlängern oder ans College wechseln. Neben Duke und Michigan bietet unter anderem UConn ein Stipendium.

Giffey: Die Situation ist ähnlich - und gleichzeitig unterscheidet sie sich grundlegend. Ich möchte Luka Pavicevic nicht zu nahetreten, aber es ist Fakt, dass ihn die Jugendförderung nicht interessiert hat. Damals wurde ich vielleicht dreimal zum Profi-Training eingeladen, in der ich eineinhalb Stunden Defense spielen musste, ohne die Systeme überhaupt zu kennen. Das brachte mich null weiter und ich fühlte mich nie als Teil der Mannschaft. Jetzt ist die Lage komplett anders: Alba setzt bewusst auf den Nachwuchs und Coach Obradovic trägt die Philosophie voll mit. Wenn es damals schon so gewesen wäre, hätte ich mich vielleicht gar nicht so intensiv mit UConn beschäftigt. Daher kann ich Moritz leider keinen Rat geben, die schwierige Entscheidung muss er selbst treffen.

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