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NBA-Kolumne Above the Break - Russell Westbrook geht zu den L.A. Clippers: "Warum machen die das?"

Von Ole Frerks
Russell Westbrook
© getty

Russell Westbrook wird sich nach seinem finalisierten Buyout den L.A. Clippers anschließen. Es ist das fünfte Team in ebenso vielen Jahren für den früheren MVP - und vielleicht seine letzte Chance auf hohem Niveau. Was haben die Clippers mit ihm vor?

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Wir müssen mit einem kleinen Disclaimer starten. Der Buyout-Markt sorgt zwar mittlerweile regelmäßig für Schlagzeilen, es ist jedoch sehr selten, dass ein auf diesem Wege verpflichteter Spieler wirklich einen großen Unterschied macht. Es ist eher das Gegenteil der Fall, wie Bobby Marks (ESPN) vor kurzem veranschaulichte.

Seit der Saison 19/20 notierte er 20 Buyouts (die aktuelle Spielzeit ausgeschlossen), nur zwei der betroffenen Spieler unterschrieben im Anschluss an ihre "Buyout-Saison" einen Anschlussvertrag über dem Veteranen-Minimum. Fast exakt die Hälfte der Spieler verließ das Team am Ende der Saison wieder.

Das heißt nicht, dass solche Spieler nicht helfen können - ihr Stellenwert ist einfach nur in der Regel nicht so groß, wie es auf den ersten Moment wirkt. Sie werden oft eher punktuell eingesetzt und ordnen sich am hinteren Ende der Rotation ein, sollen eine bestimmte Lücke stopfen oder vielleicht einen verletzten Spieler vertreten.

Es gibt allerdings auch spezielle Fälle. Wie nun den von Russell Westbrook - ein früherer MVP, dessen Ruf mittlerweile so beschädigt ist, dass sich vor kurzem viele darüber lustig machten, als Clippers-Star Paul George öffentlich mehr oder weniger forderte, dass sein Team ihn unter Vertrag nehmen sollte ... zumal die Clippers sich mit dem Team die Halle teilen, bei dem Westbrook zuletzt (= seit einem guten Jahr) nicht mehr gewollt wurde.

Nun: Die Clippers und Westbrook haben George diesen Wunsch erfüllt. Der 34-Jährige wechselt tatsächlich zum zweiten Team in seiner Heimat. Und wieder ist die Reaktion von vielen sehr ähnlich: "Warum machen die das?" Versuchen wir, es herauszufinden.

westbrook2
© getty

Russell Westbrook: Auf Iversons Spuren?

Zunächst, zu den Ursachen der Reaktion: Westbrook ist ein spezieller Fall auf dem Buyout-Markt, allerdings ist er nicht der erste frühere Superstar, der irgendwann mal diesen Weg gehen muss. Allen Iverson oder Derrick Rose kommen in den Sinn, wobei der Fall Iverson etwas besser zur Situation von Westbrook passt.

Iverson scheiterte zum Ende seiner Karriere daran, sich auf seine neue Situation umzustellen und eine Rolle zu finden, die nicht "Superstar" war. Es ging deshalb sehr rapide zu Ende. Westbrook ist noch nicht an diesem Punkt - er nahm über die vergangenen Monate ja erst die Rolle als Sixth Man bei den Lakers an und versuchte, das Beste daraus zu machen. Ein paar Gemeinsamkeiten gibt es trotzdem.

Auch Westbrook hat einen sehr speziellen Spielstil. Und das, was ihn einst zum Superstar gemacht hat - seine Sturheit, sein kompromissloses "Kopf durch die Wand"-Spiel -, arbeitet in der heutigen Zeit teilweise eher gegen ihn. Er kann den Boxscore immer noch füllen, klar, aber sein Team zahlt dafür auch einen gewissen Preis.

In zwei der letzten vier Saisons verloren Westbrooks Teams seine Minuten. In den beiden "positiven" Saisons war sein Einfluss marginal (Net-Rating: +0,4 respektive +0,1) und verzerrt durch positive defensive Zahlen, die eher nicht an Westbrook selbst, sondern an seinen Mitspielern lagen. Interessanterweise kehrte sich das erst in dieser Spielzeit um, wohl auch bedingt durch Westbrooks Wechsel auf die Bank.

Russell Westbrook: Sein Impact auf Offense und Defense

Saison (Team)Net-RatingOn/OffOffense ONDefense ON
18/19 (OKC)+5,5+5,4+8,4+2,9
19/20 (HOU)+2,1-0,8-3,6-2,9
20/21 (WAS)-1,7+0,4-2,2-2,6
21/22 (LAL)-3,6+0,1-2,5-2,7
22/23 (LAL)-1,8-0,6+4,8+5,3

Der neunmalige All-Star ist noch immer ein guter Passer, sein Scoring hingegen ist ein anderes Thema. Er gehört zu den ineffizientesten Scorern der Liga, und das liegt nicht mehr nur an seinem wackligen Jumpshot (der immer noch extrem wacklig ist).

Auch in seiner einstigen Kernkompetenz, dem Abschließen am Ring, hat Westbrook über die letzten Jahre nachgelassen. Unterm Strich steht Russ bei einer effektiven Wurfquote von 45,9 Prozent, sein schlechtester Wert seit über sieben Jahren. Und da sind wir noch gar nicht bei seinen teils wilden Entscheidungen, der komischen Wurfauswahl oder der Turnover-Anfälligkeit angekommen ...

Kawhi Leonard, Paul George
© imago images

Die Clippers: Dark-Horse-Potenzial ist vorhanden

Es fragt sich also erneut: "Warum machen die Clippers das?" L.A. befindet sich in einer interessanten Situation. Die Teambilanz ist zwar nicht überragend (33-28, Platz 4 im Westen), aber es lässt sich trotzdem gut dafür argumentieren, dass die Clippers eins der gefährlichsten Teams in der Conference sind. Das liegt vor allem an ihrer Dominanz, wenn Kawhi Leonard ihnen zur Verfügung steht (22-11; Net-Rating: +8,4!).

Die Clippers haben einen tiefen Kader, der zur Deadline durch die Additionen von Eric Gordon, Mason Plumlee und Bones Hyland noch tiefer wurde. Sie können alle möglichen Systeme spielen, haben die Switchability und in Bestbesetzung vielleicht sogar das Personal, um die neuen KD-Suns adäquat einzuschränken.

Es ist nicht so, dass sie diese Qualität immer abrufen würden - im Gegenteil, die Verfügbarkeit ihrer besten Spieler bleibt ein großes Problem, über die Saison steht ihr Net-Rating sogar im negativen Bereich (-0,8). Dennoch hat dieses Team Dark Horse-Potenzial, eigentlich.

Clippers: Zwei Probleme sind noch da

Was ihnen fehlt, sind neben der simplen Verfügbarkeit vor allem zwei Probleme. Zum einen ist da die Rim Pressure - L.A. ist wie kaum ein anderes Team vom Sprungwurf abhängig, nur rund die Hälfte der Clippers-Würfe kommt am Ring oder aus der Floater-Range. Das ist nicht zwingend verwerflich, Boston und Dallas etwa haben im Vergleich sogar noch weniger Abschlüsse nah am Korb, und beide Teams haben überragende Offensiven. Die Clippers haben diese allerdings definitiv nicht (Platz 22 ligaweit).

Rim Pressure ist immerhin eine Facette, die Westbrook mitbringt: Er zieht gerne und viel, kommt immer noch dynamisch zum Korb und zieht viele Freiwürfe, was ebenfalls keine Stärke der Clippers ist. Er trifft die Freiwürfe zwar mies und hat wie gesagt auch beim Abschluss am Korb seine Probleme, andererseits könnte man sich vorstellen, dass der zusätzliche Platz bei den Clippers durch bessere Schützen ihm hier helfen könnte.

Das ist der eine Part, auf den L.A. vermutlich hoffen wird. Der andere ist das Passing Game - es ist seit Jahren kein Geheimnis, dass es den Clippers an überdurchschnittlichen Passern und an Ordnung fehlt. Seit langem wird ein Point Guard gesucht, in dieser Spielzeit sollte es John Wall sein, der zur Deadline aber, genau wie Reggie Jackson, wieder verschifft wurde.

Über die letzten Wochen spielten die Clippers immer häufiger ohne "echten" Einser, stattdessen teilten sich George und Terance Mann oft diese Rolle. Bedarf an einem Spieler, der anderen leichte Würfe verschaffen kann, war im Prinzip aber durchaus noch da.

Russell Westbrook
© getty

Russell Westbrook: Genau wie John Wall?

Westbrook ist ein besserer Passer als Wall oder Jackson - und wohl auch besser als alle anderen Spieler der Clippers. Er ist indes auch nicht unbedingt der Spieler für Ordnung und Struktur, das war er selbst zu besten Zeiten nie. Er stand und steht für Chaos, nicht immer nur beim gegnerischen Team.

Er bringt zudem genau wie Wall das Problem mit, dass sein Wurf nicht respektiert wird. Das war weniger problematisch, als er in seiner athletischen Prime war, heutzutage nutzen Teams das konsequenter gegen ihn und sein Team.

Im Gegensatz zu Wall hat Westbrook keine so üppige Krankenakte und auch die Spieler sind nicht 1:1 vergleichbar, ihre Statistiken in dieser Spielzeit lesen sich aber normiert fast identisch.

Im Vergleich zu seiner Situation bei den Lakers hat er bei den Clippers immerhin den Vorteil, dass die beiden Topspieler des Teams nicht AUCH am liebsten in Korbnähe agieren. Er dürfte weder Leonard noch George, den er aus OKC kennt, so im Weg stehen, wie das bei LeBron und Davis teilweise der Fall war.

Westbrook bei den Clippers: Ein komischer Fit

Es bleibt dennoch ein komischer Fit. Und eine spannende Frage, was die Clippers wirklich mit Russ vorhaben. Medienberichten zufolge soll er früher oder später starten, noch wichtiger ist aber wohl, ob die Clippers mit ihm auch als Closer planen. Eigentlich ist das schwer vorstellbar, schon allein aus defensiven Gründen und weil Leonards Playmaking-Usage in den wichtigen Situationen ohnehin nach oben schießen sollte.

In diesem Fall könnte Westbrook eigentlich nur funktionieren, wenn er Dinge tut, die er bisher nie tun wollte. Blocks stellen, sich abseits des Balles als Cutter anbieten, zum Ring abrollen - darauf haben allerdings auch schon die Lakers und andere gehofft. Ab einem gewissen Punkt ist es vermutlich verrückt, mit einer 180-Grad-Drehung zu kalkulieren ...

Von daher: Das wahrscheinlichste Szenario bleibt, dass Westbrook, wie so viele andere Buyout-Spieler, letztendlich nur eine kleine Rolle spielen wird, die noch kleiner wird, sobald die Spiele richtig wichtig werden. Gut möglich, dass er in der restlichen Regular Season einfach ein "Innings-Eater" ist und eine Rolle ausfüllt, die in den Playoffs idealerweise kaum noch gebraucht wird.

Russell Westbrook: Die Uhr tickt

Westbrook ist nicht in dieser Phase, die Iverson zum Ende seiner Karriere erreichte. Als es schlagartig vorbei war, weil er sich eben nicht neu erfinden konnte oder wollte. Es ist aber davon auszugehen, dass dies Russ' letzte Chance sein wird, diese Neuerfindung bei einem Team mit Titelhoffnungen durchzuführen. Und selbst diese kommt schon überraschend.

Der frühere MVP hat seit dem Buyout keinen Max-Contract mehr, auch wenn er das Geld noch erhält, damit ist er jetzt auch "offiziell" kein Superstar mehr. Was er jetzt ist, und wie seine restliche Karriere verlaufen wird, das hat er (noch) selbst in der Hand. Aber weder er noch die Clippers haben viel Zeit, um es herauszufinden.

21 Spiele verbleiben nach dem All-Star Break. Die Uhr tickt, für die bisher enttäuschende Kawhi/George-Ära bei den Clippers - und irgendwie eben auch für die NBA-Karriere des Russell Westbrook.