Declan Rice weg, 150 Mio. Einnahmen - aber kein einziger Neuzugang: Hintergünde zu West Hams kurioser Transferperiode

Von Niklas Staiger
West Ham United, Declan Rice, David Moyes
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West Ham United ist der einzige Premier-League-Klub, der noch keinen Spieler verpflichtet hat. Trotz Abstiegskampf im Vorjahr, trotz des Abgangs von Declan Rice und 150 Millionen Euro Transfereinnahmen. Was ist da los?

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Das Transferfenster ist nur noch gut drei Wochen geöffnet. Trotzdem hat West Ham United noch keinen einzigen Spieler unter Vertrag genommen - und das, obwohl Verstärkungen dringend notwendig wären. In der vergangenen Saison steckten die Hammers erstmals nach zwei sorgenfreien Jahren tief im Abstiegskampf. David Moyes' Trainerstuhl würde gehörig wackeln, hätte er nicht die Conference League gewonnen.

Außerdem gilt es, den besten Spieler des Vereins zu ersetzen: Declan Rice. Der defensive Mittelfeldspieler schloss sich nach langem Werben des FC Bayern dem englischen Liga-Konkurrenten FC Arsenal an. Ablöse: rund 117 Millionen Euro. Dank weiterer Verkäufe hat West Ham sogar über 150 Millionen Euro eingenommen.

Neuesten Berichten zufolge könnte auch noch Lucas Paqueta den Klub verlassen: Laut GloboEsporte habe Manchester City ein Angebot über etwa 81 Millionen Euro abgegeben. Eine im Vertrag verankerte Ausstiegsklausel in Höhe von knapp 100 Millionen Euro greift laut Fabrizio Romano erst im kommenden Sommer. Paqueta soll von einem City-Transfer angetan sein, doch die Hammers wollen ihn nicht abgeben. Ausgang ungewiss.

Auf der Einkaufsseite steht unterdessen immer noch eine Null. Dabei ist West Ham den Berichten zufolge an einigen namhaften Spielern interessiert - es soll noch ein halbes Dutzend Verstärkungen kommen!

Tim Steidten, SV Werder Bremen
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Tim Steidten und die Komplikationen mit David Moyes

Zunächst ein Blick zurück: Viele der vergangenen Top-Transfers floppten. Nikola Vlasic (ZSKA Moskau) wurde nach nur einem Jahr verliehen und nun fest verkauft. Gianluca Scamacca (Sassuolo) ist nach einem enttäuschenden Jahr komplett weg. Und Lucas Paqueta entwickelt sich zwar individuell weiterhin hervorragend, hat bei den Hammers aber Probleme, seine Rolle zu finden.

Um diese Probleme im Scouting und Kadermanagement anzugehen, hat sich West Ham Expertise aus der Bundesliga geholt: Seit 1. Juli fungiert Tim Steidten als Technischer Direktor, zuvor war er als Sportkoordinator und Leiter der Scouting-Abteilung von Bayer Leverkusen tätig. Steidtens Ankunft führte aber zu einer Kolission der Philosophien.

Viele der gescheiterten Transfers sollten eine Umstellung von David Moyes' bevorzugtem Konter-Fußball hin zu einer Ballbesitz-lastigen Spielweise ermöglichen. Denn immer mehr Teams - bezeichnend etwa Eintracht Frankfurt im Europa-League-Halbfinale 2022 - agierten gegen die Hammers defensiv und schlugen sie mit ihren eigenen Mitteln. Mit der neuen Ausrichtung gewann West Ham zwar die Conference League. Doch in der Liga ging es nach zwei starken Saisons wieder dahin, wo West Ham vor Moyes stand: in den Abstiegskampf.

Ein Vorbild beim Stil- und Kaderumbruch: Steidtens Ex-Klub Bayer Leverkusen. Die Werkself spielt auch mit viel Ballbesitz einen schnellen und technisch anspruchsvollen Überfall-Fußball, ist gleichzeitig aber in der Lage, gegen Topklubs tief zu agieren und zu kontern. Mit Hilfe von Steidten sollte auch bei West Ham eine ähnliche Entwicklung genommen werden. Doch Moyes präferiert weiterhin Premier-League-erfahrenen Spielern, die physisch stark sind und in den Kampf- und Konterfußball passen, der einst zum Erfolg führte.

Das führt zu Komplikationen bei der Profilbestimmung von Neuzugängen. Wie der Guardian berichtet, haken gleich mehrere Transfers der Hammers vor allem an der Uneinigkeit zwischen Moyes, der bisher ein großes Mitspracherecht bei der Kaderplanung hatte und wohl zu jedem Transfer ein Vetorecht besitzt, und Steidten, der neue Wege gehen möchte.

Der Trainer würde offenbar gerne James Ward-Prowse vom FC Southampton als Nachfolger für Declan Rice verpflichten. Die von den Saints geforderte Summe sei Steidten aber deutlich zu hoch. Stattdessen soll sich Steidten auf AS Monacos Youssouf Fofana eingeschossen haben. Der französische Nationalspieler gefällt jedoch Moyes wiederum nicht. Bereits nach weniger als einem Monat wurden erste Gerüchte laut, wonach Steidten hinschmeißen wolle.

West Ham United, Declan Rice, David Moyes
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Sechs Neuzugänge: West Ham plant Transfer-Offensive

Geld ist durch die hohen Einnahmen eigentlich verfügbar, doch das kann auch zum Problem werden. Bei Borussia Dortmund verlangten abgebende Klubs nach dem 105 Millionen Euro schweren Transfer von Jude Bellingham beispielsweise plötzlich extrem hohe Summen - der VfL Wolfsburg kassierte für Felix Nmecha 30 Millionen Euro.

Bei West Ham kollidiert dieser Umstand mit Problematiken aufgrund des Financial Fairplay der UEFA. Die Hammers hatten zuletzt in der Saison 2017/18 eine positive Transferbilanz vorzuweisen, in den vergangenen vier Jahren erzielten sie ein Transferminus von über 300 Millionen Euro. Teile dieses Verlusts müssen nun wieder ausgeglichen werden. Die FIFA hat West Ham auf die Beobachtungsliste in Sachen FFP-Verstöße gesetzt.

Mittlerweile soll der Ernst der Lage im Osten von London angekommen sein: David Moyes und Tim Steidten scheinen nun beide daran zu arbeiten, Übereinkünfte bei Spielern zu finden. Medienberichten zufolge planen die Verantwortlichen noch sechs Neuzugänge in den übrigen drei Wochen des Sommertransferfensters. Dabei soll eine Mischung aus beiden Transfer-Philosophien zum Ziel führen.

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West Ham: Welche Spieler noch kommen könnten

Als Rice-Ersatz hat man sich wohl auf Edson Álvarez von Ajax Amsterdam geeinigt, der auch bei Borussia Dortmund auf der Liste gestanden haben soll. Selbst der FC Bayern hat Gerüchten zufolge über Álvarez als ihren Rice-Ersatz nachgedacht, nachdem dieser sich gegen den FCB entschieden hat. Laut Fabrizio Romano steht ein Wechsel von Álvarez kurz bevor - eine Einigung mit dem Spieler gebe es schon, das wohl eingereichte Angebot in Höhe von 35 Millionen Euro entspricht den zuletzt kolportierten Forderungen der Niederländer.

Zusagen hat offenbar aber auch Steidten gemacht - so soll Harry Maguire von Manchester United derzeit ein Top-Kandidat sein, um die Hintermannschaft der Irons zu verstärken. Der Nationalmannschaftskapitän Englands geriet bei Manchester United aufs Abstellgleis, verlor zuletzt auch die Kapitänsbinde. Laut The Athletic und Romano steht auch hier ein Wechsel kurz bevor. Die beiden Vereine sollen sich auf eine Transfersumme von ebenfalls 35 Millionen Euro geeinigt haben.

Zudem dürfte abgesehen von Álvarez ein zweiter Spieler für die Zentrale kommen. Hierbei scheint man ebenfalls mit United in Kontakt zu stehen - Scott McTominay soll der Kompromiss zwischen Steidtens Ideen und Moyes Premier-League-Wunsch sein. Doch laut The Athletic haben die Red Devils ein 35-Millionen-Euro-Angebot für McTominay abgelehnt und etwa 46 Millionen Euro gefordert. Das könnte Moyes' Wunschspieler Ward-Prowse doch wieder in den Fokus rücken lassen.

Sollte Paqueta zu City wechseln, bräuchte es noch ein bis zwei offensive Mittelfeldspieler. Zudem gibt es auch Interessenten für den langjährigen Mittelstürmer Michail Antonio. Auf dieser Position soll nach dem Abgang von Transferflop Scamacca ohnehin nachgerüstet werden - bei einem Antonio-Verkauf müssten gleich zwei neue Stürmer her. Doch noch lässt selbst der erste Transfer der Hammers weiterhin auf sich warten. Die Uhr tickt für West Ham, David Moyes und Tim Steidten.