Lucas Paquetá wäre der überraschende De-Bruyne-Ersatz: Er reiste per Boot zum Training, heute ist er Manchester City 80 Millionen Euro wert

Von Richard Martin / Falko Blöding
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Spätestens seit Kevin De Bruynes schwerer Verletzung muss Manchester City für die neue Saison umplanen. Ein Brasilianer könnte die Lösung sein.

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Manchester City hat nach dem siegreichen Finale der Champions League zwei absolute Leistungsträger verloren. Ilkay Gündogan und Riyad Mahrez verließen den Klub. Während die Verantwortlichen noch immer grübeln, wie sie das Duo am besten ersetzen können, drängt sich plötzlich eine ganz andere Nachfolgeregelung auf: die für den besten Spieler, den der Klub im vergangenen Jahrzehnt hatte.

Kevin De Bruyne war so wichtig wie kein anderer Spieler bei Citys Lauf zum Triple. Hinterher gestand er, dass die letzten beiden Monate der Saison mit einer Kniesehnenverletzung gespielt hatte. In der ersten Hälfte des CL-Endspiels riss genau diese Sehne. Zwei Monate später, in der 22. Minute des Premier-League-Auftaktspiels gegen Burnley (3:0), gab sie erneut nach.

Nun könnte der Belgier bis zu vier Monate ausfallen. Pep Guardiola bestätigte am Dienstag, dass sein neuer Kapitän sich eine "schwere Verletzung" zugezogen hat und der Klub entscheiden muss, ob eine Operation nötig ist. Wahrscheinlich fehlt City also bis Anfang 2024 der konstanteste und kreativste Spieler.

Das ist ein schwerer Schlag für die Skyblues und hinterlässt eine große Lücke, die es sofort zu füllen gilt. Die grundsätzlichen Gedanken zur Leistungsfähigkeit und einem mögliche Nachfolger für De Bruyne werden nun durch den Verletzungsschock schleunigst intensiviert.

Im Alter von 32 Jahren legte De Bruyne abgesehen von einer kurzen Schwächephase eine tolle Vorsaison hin: Er war an 42 Toren beteiligt und lieferte mehr Vorlagen als jeder andere Spieler in der Premier League. Jetzt muss er eine halbe Spielzeit aussetzen. Und selbst wenn er so gut wie neu von seiner Verletzung zurückkehrt: Wird er wieder 45 Spiele pro Saison bestreiten können?

Der Schlüssel zum Erfolg Citys unter Guardiola liegt in der Fähigkeit, vorausschauend zu planen und drei oder vier Transferfenster in die Zukunft zu schauen. Nach acht Jahren mit einem der besten Spielmacher, den die Premier League je gesehen hat, muss sich City nun mit einer möglichen Zukunft ohne De Bruyne auseinandersetzen - und die Lücken schließen, die Gündogan und Mahrez hinterlassen haben. Hier kommt Lucas Paquetá ins Spiel.

Pep Guardiola
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Pep Guardiola kehrt von traditionellen Flügelspielern ab

Als Anfang des Monats das Interesse von City an Paquetá bekannt wurde, war dies eine große Überraschung. Selbst nach dem Verlust Gündogans hat Guardiola immer noch eine Fülle von zentralen Mittelfeldspielern, mit denen er arbeiten kann: Rodri, Kalvin Phillips, Bernardo Silva, Neuzugang Mateo Kovacic, James McAtee und möglicherweise auch Phil Foden, der im Endspiel der Königsklasse gegen Inter De Bruynes Rolle einnahm.

Was Guardiola allerdings nicht im Überfluss hat, sind rechte Flügelspieler. Bernardo bekleidete diese Position in der Vergangenheit häufig, aber er hat nicht die Durchschlagskraft von Mahrez, und im Community Shield gegen Arsenal (1:4 n.E.) wurde er von Jurriën Timber in Schach gehalten.

Cole Palmer kam von der Bank, um City in diesem Spiel in Führung zu bringen, und erzielte ein Tor, das an Mahrez erinnerte. Aber der englische U21-Nationalspieler wurde in der letzten Saison nur selten eingesetzt und es ist fraglich, ob Guardiola ihm genug Vertrauen schenkt, um ihm einen Stammplatz in der Mannschaft zu geben.

Das Interesse an Paquetá deutet darauf hin, dass Guardiola, ähnlich wie im letzten Jahr, als er Innenverteidiger als Außenverteidiger einsetzte, von den traditionellen Flügelspielern abrückt. Dieser Prozess begann bereits auf links mit Jack Grealish, der den Ball lange hält und weitaus geduldiger dribbelt als die meisten Flügelspieler. Weiteres Anzeichen für diesen Trend: Mahrez stand in den letzten beiden Spielzeiten in weniger als der Hälfte der Ligaspiele von City in der Startelf.

Lucas Paquetá
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Lucas Paquetá: Eine durchschnittliche Saison, ein horrender Preis

Paquetá stand bestimmt nicht ganz oben auf der Wunschliste der City-Fans, wenn es um Ersatz für Gündogan oder De Bruyne ging. In seiner Karriere ging es bergauf und bergab, er hatte zum Beispiel eine enttäuschende Zeit bei Milan - seinem ersten europäischen Verein.

Bei Lyon begann er dann, sein Potenzial auszuschöpfen und lieferte in 80 Spielen 21 Tore und 13 Vorlagen, was West Ham dazu veranlasste, im Sommer 2022 die Rekordsumme von 54 Millionen Pfund (68 Millionen Euro) für ihn zu zahlen.

In seinem ersten Jahr bei den Hammers riss Paquetá nicht gerade Bäume aus: In 42 Einsätzen gelangen ihm fünf Tore und sieben Vorlagen. Die Vorstellung, dass City nach einer eher durchschnittlichen Spielzeit bereit war, 70 Millionen Pfund (81 Millionen Euro) für den Brasilianer zu bieten, wirkte völlig übertrieben.

Die Mutmaßung, dass die Citizens bereit sind, die von West Ham geforderten 121 Millionen Euro zu zahlen, ist sogar noch unglaublicher, wenn man bedenkt, dass Manchester aus dem Poker um Declan Rice ausstieg. Der kostete seinen neuen Klub Arsenal schließlich eine niedrigere Ablöse.

Lucas Paquetá
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Lucas Paquetá verkörpert, was Pep Guardiola liebt

City verfügt allerdings über die finanziellen Mittel, um einen solchen Schritt zu gehen.Und auch wenn der Preis hoch klingt, ist es leicht zu verstehen, warum Guardiola von Paquetá angezogen ist. Er ist sehr vielseitig und kann auf verschiedenen Positionen spielen, entweder als Nummer 8, die er normalerweise in Brasilien spielt, oder als Nummer 10, auf der er den Großteil der letzten Saison bei West Ham verbrachte. Er kann aber auch auf der Außenbahn spielen: Beim brasilianischen Spitzenklub Flamengo bekleidete er beide offensiven Flügelpositionen.

"Er hatte schon immer das nötige Talent. Was mir immer gefallen hat, war, dass er extrem vielseitig einsetzbar ist. Er kann auf vielen Positionen spielen. Bei mir hat er als Nummer 10 gespielt, auf beiden Außenbahnen. Wenn wir es mit defensiven Gegnern zu tun hatten, habe ich ihn manchmal tiefer im Mittelfeld spielen lassen", sagte Paquetás ehemaliger Flamengo-Trainer Zé Ricardo gegenüber The Athletic.

Weiter meinte er: "Nachdem Paquetá es in die erste Mannschaft geschafft hatte, spielte er gelegentlich sogar ganz vorne. Er hat diese große Anpassungsfähigkeit. Er hat so viele verschiedene Fähigkeiten, die es ihm ermöglichen, aus jeder schwierigen Situation auf dem Spielfeld einen Ausweg zu finden."

Paquetá könnte gut in Gurardiolas Vorstellung von seinen Mittelfeldspielern passen, die er gerne über das ganze Spielfeld treiben und die Plätze tauschen lässt, um weniger berechenbar zu sein.

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Lucas Paquetá: "Als würde er an der Copacabana tanzen"

Einer der größten Vorzüge des Brasilianers ist seine Fähigkeit, präzise Bälle zu spielen und seine Mitspieler bei Kontern zu entlasten, häufig im Mittelfeld. Man denke nur an seinen Assist zum Siegtreffer von Jarrod Bowen gegen die Fiorentina im Finale der Europa Conference League - seine wichtigste Aktion für West Ham.

Paquetá leitete den Ball kurz vor der Mittellinie auf den Stürmer weiter, der unbedrängt auf den Kasten der Viola zumarschierte. Bowen besorgte West Hams Führung und der anschließende Jubel von Teammanager David Moyes an der Seitenlinie erlangte sofort Kultstatus.

City hat in der vergangenen Saison mehr auf Konter gespielt als in den vergangenen Spielzeiten, und Paquetás Pass auf Bowen in den Rücken der Abwehr ist genau die Art von Zuspiel, die Erling Haaland so liebt. Sollte Paquetá tatsächlich zu City wechseln, kann man sich gut vorstellen, dass er mit dem Norweger eine produktive Partnerschaft eingehen wird.

Der WM-Teilnehmer verfügt außerdem über atemberaubende Dribbelkünste. Wie zum Beispiel bei seinem Assist für Manuel Lanzini beim 3:1-Sieg gegen Leeds zu sehen, als er auf seinem Weg entlang der Seitenlinie an vier Verteidigern vorbeitänzelte und den Argentinier anschließend mustergültig in Szene setzte. Nach diesem Tor sagte sein Mannschaftskamerad Vladimir Coufal, dass Paqueta "Fußball spielt, als würde er an der Copacabana tanzen".

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Lucas Paquetá hat das Selbstvertrauen "verrückte Dinge" zu tun

Es gibt sicher dankbarere Aufgaben, als Kevin De Bruynes Nachfolger zu werden. Wenn aber jemand über das nötige Selbstvertrauen verfügt, um sich dem zu stellen, dann ist es Paquetá. Wie viele Spieler, die in die Premier League wechseln, brauchte auch er eine gewisse Zeit, um sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Als er sich dann zurechtfand, waren seine Mannschaftskameraden verblüfft von seiner Kühnheit - und den rotzfrechen Dribblings.

"Er ist unglaublich, ganz ehrlich, er ist absolut unglaublich. Es hat offensichtlich eine Weile gedauert, bis er sich in der Premier League und auf dem Trainingsplatz eingelebt hatte und mit seiner Familie hier richtig ankam. Ich denke, jetzt sieht man den wahren Lucas. Manches, was er macht, sogar im Training, ist einfach wahnsinnig gut", sagte West Hams Ex-Kapitän Rice eine Woche vor dem Finale der Europa Conference League.

Weiter meinte er: "Es ist einfach das Selbstvertrauen, das er hat, und die Zeit, die er sich am Ball verschafft. Das Selbstvertrauen, das er in seine eigene Fähigkeit hat, Spieler stehen zu lassen und verrückte Dinge zu tun. Wenn wir das versuchen würden, hätten wir keine Chance."

Und Coufal fügte hinzu: "Er ist erstaunlich und spürt keinen Druck, wenn er spielt. Er hat einfach immer Spaß."

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Lucas Paquetá: Mit Boot und Bussen zum Training

Wie viele Südamerikaner musste auch Paquetá in der Anfangszeit seiner Laufbahn einen beschwerlichen Weg zurücklegen. Passenderweise stammt der Mittelfeldspieler von einer Insel namens Paquetá. Vor den Toren Rio de Janeiros gelegen, sind Autos auf der Insel nicht erlaubt, so dass die Einwohner zu Fuß gehen oder mit dem Fahrrad fahren müssen. Um zum Training von Flamengo zu gelangen, musste Paquetá in seiner Anfangszeit ein Boot und drei Busse nehmen.

Als er bei Flamengo den Durchbruch schaffte, trotzte er vielen Trainern, die meinten, er sei nicht groß genug, um als Fußballer erfolgreich zu sein. Er schaffte es auch, eine chaotische Zeit in Mailand zu überstehen, wo er innerhalb von 18 Monaten mit drei Trainern arbeiten musste.

Aber er hat gezeigt, dass er aufblühen kann, wenn er Stabilität und ein wenig Geduld von seinem Trainer bekommt.

Das bekäme er von Guardiola gewiss. Und anders als bei West Ham hätte er Mannschaftskameraden auf Weltklasseniveau. Der Schritt vom Gewinner der Europa Conference League zum Champions-League-Sieger könnte gelingen.

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