Erschreckende Entwicklung: Hintergründe zum "eigentlichen Problem" des FC Bayern München

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Der FC Bayern München leidet nicht erst seit dem Untergang von Leverkusen an einer Offensiv-Misere. Ein Blick auf die bedenklichen Statistiken vor dem Achtelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Lazio Rom am Mittwoch.

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Beim Fußball geht es bekanntlich darum, Tore zu schießen und keine zuzulassen - vor diesem Hintergrund ist Joshua Kimmichs Bestandsaufnahme des FC Bayern München durchaus dramatisch. "Wir haben echte Probleme damit, uns Chancen zu erarbeiten. Wir lassen auf der anderen Seite aber auch zu viele Chancen zu", sagte Kimmich nach der 0:3-Pleite gegen Bayer Leverkusen.

Vollkommen chancenlos - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes - verloren die Münchner das Spitzenspiel gegen den in allen Belangen überlegenen und nun auf fünf Punkte enteilten Tabellenführer. Der FC Bayern erspielte sich gegen Leverkusen keine einzige klare Torchance, 100-Millionen-Euro-Stürmer Harry Kane verzeichnete lediglich 18 Ballaktionen und keinen Schuss aufs Tor.

Nach dem Untergang von Leverkusen galt es nicht nur, Probleme zu orten. Sondern bei dieser Fülle auch, sie zu gewichten. Kimmich bereitete der Mangel an "Spielfreude, Kreativität, Leichtigkeit und Freiheit nach vorne" am meisten Sorgen: "Das ist bei unserem Anspruch das eigentliche Problem."

Thomas Müller sah es in seinem emotionalen TV-Interview nach Abpfiff ähnlich: Er ortete eine "Verkopftheit" im Spiel des FC Bayern. "Keiner hat die Freiheit, einfach mal zu zocken!" Trainer Thomas Tuchel gab sich - einmal mehr - völlig ratlos: "Wir waren nicht in der Lage, uns Torchancen herauszuspielen, wir konnten uns nicht durchsetzen. Ich habe keine Erklärung, warum wir es nicht geschafft haben, Harry Kane ins Spiel zu bringen."

Thomas Tuchel
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Bedenkliche Statistiken beim FC Bayern München

Tatsächlich mangelt es den Münchnern aktuell an Kreativität und Durchschlagskraft im Offensivspiel. Individuelle Geistesblitze fehlen genauso wie choreografierte Angriffe. Das 0:3 von Leverkusen war diesbezüglich kein Ausreißer, sondern nur der vorläufige Höhepunkt einer erschreckenden Entwicklung.

Nach dem 3:0-Sieg gegen die TSG Hoffenheim beim Rückrunden-Auftakt reiste der FC Bayern zum Kurztrainingslager nach Portugal. Tuchel lobte das "extrem hohen Trainingsniveau" seiner Mannschaft, bekam bei der anschließenden 0:1-Pleite gegen Werder Bremen aber nach eigener Auskunft "belanglosen" Fußball zu sehen. Spätestens seitdem leiden die Münchner für ihre nominell exquisite Besetzung und allerhöchsten Ansprüche unter einer Offensiv-Misere.

Vergleicht man die ersten 25 Pflichtspiele dieser Saison bis zum Sieg gegen Hoffenheim mit den darauffolgenden fünf ab der Pleite gegen Bremen, werden die Probleme deutlich. Nur sieben Treffer erzielte der FC Bayern in diesen fünf Spielen, zwei davon resultierten aus Standards, kaum einer war nett herausgespielt. Gleichzeitig unterliefen in diesem Zeitraum zwei der fünf Saisonniederlagen. Sowohl gegen Bremen als auch gegen Leverkusen blieb der FC Bayern jeweils ganz ohne eigenen Torerfolg.

Nun zum Vergleich mit den ersten 25 Saisonspielen: Damals erzielte der FC Bayern im Schnitt 2,76 Tore pro Spiel, in den vergangenen fünf lediglich 1,4. Das liegt nicht nur an ungenauen Abschlüssen, sondern auch an einem Mangel an Chancen. Der xG-Wert sank im Schnitt von 2,48 auf 1,74 pro Spiel.

FC Bayern: Rückgang bei Toren und beim xG-Wert

KategoriePflichtspiele 1 bis 25Pflichtspiele 26 bis 30
Tore gesamt695
Tore pro Spiel2,761,4
xG-Wert gesamt61,98,69
xG-Wert pro Spiel2,481,74
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Harry Kane: Die Personifizierung der Offensiv-Misere

Die Personifizierung dieser Entwicklung ist Harry Kane, im Sommer für 100 Millionen Euro von Tottenham Hotspur verpflichtet. In 28 Pflichtspielen erzielte der englische Stürmer für den FC Bayern bisher ebenso viele Treffer, die Bundesliga-Torschützenliste führte er mit 24 Toren weiterhin deutlich an. Nach vielen Premier-League-Jahren ohne Winterpause scheint ihm der Strand-Urlaub diesen Januar aber nicht bekommen zu haben.

Erzielte Kane in den ersten 25 Saisonspielen im Schnitt noch beeindruckende 1,18 Tore pro 90 Minuten, waren es seitdem nur 0,4. Er trifft aber nicht nur seltener, er ist auch schlechter ins Spiel seiner Mannschaft eingebunden. Die Anzahl an Ballaktionen pro 90 Minuten sank merklich von 34,81 auf 28,8.

Harry Kanes Abwärtstrend beim FC Bayern München in Zahlen

KategoriePflichtspiele 1 bis 25Pflichtspiele 26 bis 30
Tore gesamt262
Tore pro 90 Minuten1,180,4
xG-Wert pro 90 Minuten0,870,44
Ballaktionen pro 90 Minuten34,8128,8
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Leroy Sanés Herbst-Form ebbte ab - auch Jamal Musiala agiert glücklos

Und was ist mit Kanes Kollegen? Leroy Sanés sensationelle Herbst-Form ebbte zuletzt arg ab. Von seinen 21 Scorerpunkten dieser Saison entfällt lediglich einer auf die vergangenen fünf Spiele. Bezeichnend: Nach Leverkusens Treffer zum 3:0 drosch Sané den Ball zunächst wutentbrannt auf die Tribüne, anschließend schlug er die Tor-Kamera zu Boden. Seine Körpersprache ließ zuletzt generell zu wünschen übrig: Als ihn Tuchel gegen Bremen im Zuge einer Umstellung in der zweiten Halbzeit auf die linke Außenbahn beorderte, reagierte Sané mit abfälligen Gesten und Kopfschütteln.

Sein Kumpel Jamal Musiala agiert aktuell ähnlich glücklos, in den vergangenen fünf Spielen gelang ihm kein einziger Scorerpunkt. Genau wie Kingsley Coman. Anfang der Rückrunde gesetzt, zog er sich gegen den FC Augsburg einen Innenbandriss in Knie zu und fällt voraussichtlich bis Ende April aus.

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FC Bayern: Joker stechen nicht - Torgefahr durch Defensivspieler

Tuchel reagierte auf Comans Verletzung zunächst, indem er gegen Borussia Mönchengladbach Thomas Müller in die Startelf beorderte. Der Routinier dankte es mit einem guten Auftritt, an zwei Treffern war er beteiligt. Gegen Leverkusen musste Müller aber dennoch weichen - und zwar für einen zusätzlichen Verteidiger. Tuchel wählte im Spitzenspiel eine auf Sicherheit bedachte 3-4-3 Formation, sowohl taktisch als auch personell lag er daneben.

Impulse von der Bank bleiben aktuell weitestgehend aus: Eric Maxim Choupo-Moting wartet seit November auf einen Torerfolg, der zu Saisonbeginn noch so treffsichere Mathys Tel sogar seit Anfang Oktober. Serge Gnabry arbeitet nach seiner Muskelsehnenverletzung am Comeback, Winter-Neuzugang Bryan Zaragoza kam auch krankheitsbedingt noch nicht zum Einsatz. Gegen Lazio könnte Müller in die Startelf zurückkehren.

Dass die Münchner aktuell überhaupt Tore schießen, liegt abgesehen vom deutlich ungefährlicheren Kane an Defensivspielern. Fünf der letzten sieben Bayern-Treffer erzielten Aleksandar Pavlovic (zwei), Alphonso Davies, Raphael Guerreiro und Matthijs de Ligt. Böse Zungen könnten behaupten: Womöglich stellte Tuchel gegen Leverkusen ja deshalb so viele Defensivspieler auf, weil von ihnen aktuell mehr Gefahr ausgeht als von den Angreifern.