Tuchel verzockt sich - aber er ist nicht der Alleinschuldige: Die Gründe für den Statement-Untergang des FC Bayern München gegen Bayer Leverkusen

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Vollkommen chancenlos hat der FC Bayern München das Bundesliga-Spitzenspiel gegen Tabellenführer Bayer Leverkusen verloren. Trainer, Spieler, Bosse: Alle haben ihren Anteil daran.

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Dass der FC Bayern im Bundesliga-Titelkampf wackelt, ist nichts Neues. Das gab es im Zuge der mittlerweile elfjährigen Meisterserie immer mal wieder, speziell 2019 und 2023. Verlässlich aber liefen die Münchner zumindest in den direkten Duellen mit dem jeweiligen Titelrivalen (heißt Borussia Dortmund) zu Höchstform auf. Nun die sensationelle Neuigkeit: Bayer Leverkusen hat diese Tradition gebrochen.

Leverkusen besiegte die Münchner im Spitzenspiel am Samstag nicht nur, Leverkusen führte sie vor. Eine "Statement-Leistung" hatte Trainer Thomas Tuchel vorab von seiner Mannschaft gefordert, es wurde ein "Statement-Untergang". Der FC Bayern war vollkommen chancenlos, das Ergebnis von 3:0 leistungsgerecht. Kapitän Manuel Neuer sprach konsterniert von der "schlechtesten Leistung im wichtigsten Spiel".

Fünf Punkte beträgt nun der Rückstand des FC Bayern auf den weiterhin ungeschlagenen Tabellenführer. Nach den Eindrücken vom Spitzenspiel fehlt jegliche Vorstellung, wie die Münchner in den verbleibenden 13 Spielen Leverkusen noch abfangen können. Während der Ex-Herausforderer Dortmund in den vergangenen Titelkämpfen gerne etwas überemotionalisiert wirkte, macht Leverkusen einen beängstigend stabilen Eindruck.

Das Resultat dieses Spitzenspiels ist aber nicht nur auf Leverkusens Stärke zurückzuführen, sondern auch auf das Münchner Versagen. Trainer, Spieler und Bosse: Alle haben ihren Anteil am Untergang von Leverkusen.

Thomas Tuchel, FC Bayern München
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FC Bayern Thomas Tuchels Taktik-Umstellung scheitert krachend

Nach einer 1:2-Pleite an eben jenem Ort wurde vor elf Monaten Julian Nagelsmann entlassen. Sein Nachfolger Tuchel entwickelte die Mannschaft seitdem nicht entscheidend weiter. Dass sie sich im Spitzenspiel keine einzige ernsthafte Torchance erspielt und auf einen beschämend schlechten xG-Wert von nur 0,57 kommt, ist ein Armutszeugnis.

Mit seiner sowohl taktisch, als auch personell unverständlichen Aufstellung sorgte Tuchel schon vor Anpfiff für Verwunderung. Den Trainer scheint das berühmte Pep-Syndrom befallen zu haben: Ein Highlight-Spiel im Vorfeld zu zerdenken; statt den gegnerischen Trainer mit überraschenden Umstellungen auszucoachen, nur die eigene Mannschaft zu verwirren. Pep Guardiola passierte das früher regelmäßig, beispielsweise beim Halbfinal-Aus in der Champions League mit dem FC Bayern gegen Real Madrid 2014.

Passend zum Karneval verkleidete Tuchel seine Mannschaft gegen Leverkusen bis zur Unkenntlichkeit. Statt im gewohnten 4-2-3-1-System spielten die Münchner im 3-4-3. Überhaupt erst zum zweiten Mal in seiner Amtszeit beim FC Bayern setzte Tuchel auf eine Abwehr-Dreierkette, schon das erste Experiment gegen den FSV Mainz 05 in der vergangenen Saison scheiterte (1:3). Die defensive Stabilität verbesserte die Umstellung nicht, im Offensivspiel gingen unterdessen sämtliche Automatismen verloren.

FC Bayern München, Bayer Leverkusen
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Warum dieses Risiko? Sacha Boey enttäuscht als Linksverteidiger

Obwohl Tuchel mit Raphael Guerreiro ein gelernter Linksverteidiger zur Verfügung stand, bot er auf der linken Außenbahn Rechtsverteidiger Sacha Boey auf, der nach seinem Winter-Wechsel noch dazu sein Startelf-Debüt für den FC Bayern feierte. Warum dieses Risiko? Boey präsentierte sich völlig verunsichert, beim 0:1 ließ er den Torschützen Josip Stanisic gewähren.

In der Innenverteidigung verzichtete Tuchel auf den zuletzt stabilen Matthijs de Ligt und beorderte stattdessen Min-Jae Kim und Dayot Upamecano in die Startelf. Der eine weilte bis Mittwoch beim Asien-Cup, der andere wurde nach seinem Muskelfaserriss gerade noch rechtzeitig fit. Obwohl ebenfalls fit, saß Joshua Kimmich dagegen nur auf der Bank. Genau wie Thomas Müller. Mit seiner Lautstärke und Präsenz hätte die Klub-Ikone der lethargischen Mannschaft gutgetan.

Unverständlich war aber nicht nur Tuchels Aufstellung an sich. Sondern auch, dass er sie trotz offensichtlichen Problemen nicht frühzeitig änderte. Erst in der 60. Minute brachte er Kimmich und Müller und kehrte im Zuge dessen zur Viererkette zurück.

Xabi Alonso sorgte unterdessen für das Kontrastprogramm: Seine taktischen und personellen Umstellungen griffen, unter anderem verzichtete er in seiner Startelf auf die nominellen Stammspieler Jeremie Frimpong und Patrik Schick. "Wir haben die Leverkusener nicht so erwartet von der Aufstellung", gab Neuer zu.

Thomas Müller, FC Bayern München
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Kimmich und Müller nehmen die Mannschaft in die Pflicht

Tuchel ist aber nicht der Alleinschuldige am Untergang: Eine dermaßen chancenlose Vorstellung einer dermaßen prominent besetzten Mannschaft kann nicht nur an der Taktik liegen. Wie so oft in den vergangenen Wochen und Monaten gilt es auch, Bereitschaft und Emotionalität der Spieler zu hinterfragen. Einmal mehr ließen sie ihren Trainer im Stich. Das scheinen die Spieler auch selbst zu wissen: Statt sich über ihre Bankplätze zu beschweren, äußerten die Führungsspieler Kimmich und Müller beachtliche Selbstkritik.

Kimmich betonte, dass er zwar generell "kein Freund" davon sei, die Taktik an den Gegner anzupassen. Als Kritik an Tuchel wollte er das aber nicht verstanden wissen: "Der Trainer hat uns gut eingestellt. Am Ende des Tages müssen wir das mit Leben füllen. Jeder von uns ist in der Lage, auch mal eine andere Taktik, eine andere Herangehensweise umzusetzen."

Müller äußerte sich bei seiner bemerkenswerten Wutrede ähnlich und bügelte Fragen nach Tuchel weg: "Wir haben genug Spieler von internationalem Format. Deswegen brauchst du gar nicht in Richtung Trainer gehen." Stattdessen müsse man "mal die Spieler anpacken", meinte Müller. "Wir Spieler sind im Training mutig und spielen frei. Im Spiel fehlen mir dann aber teilweise die Eier und die Freiheit."

Der Vorstandsvorsitzende Jan-Christian Dreesen und Sportdirektor Christoph Freund stellten sich ebenfalls hinter den Trainer. Tuchel selbst verteidigte unterdessen seine Taktik, sagte aber auch: "Ich übernehme die Verantwortung."

Jan-Christian Dreesen, FC Bayern München
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FC Bayern: Die Pleite steht auch sinnbildlich für die Kaderplanung

Gewissermaßen steht die Pleite gegen Leverkusen auch sinnbildlich für die fehlerhafte Kaderplanung des FC Bayern. Ausgerechnet nach einem Patzer von Boey schoss ausgerechnet Stanisic Leverkusens Führungstor. Ohne Not hatten die Münchner den selbst ausgebildeten Stanisic im Sommer an Leverkusen verliehen und mussten deshalb im Winter nachrüsten. Boey kam für 30 Millionen Euro von Galatasaray Istanbul.

Während sich die Außenverteidigung längst zu einem chronischen Problem des FC Bayern entwickelt hat, liegen ausgerechnet hier Leverkusens große Stärken. Nach Stanisics Führungstor sorgten mit Alejandro Grimaldo und Frimpong passenderweise zwei weitere Außenverteidiger für den Endstand von 3:0.

Auf nationaler Ebene wurde der FC Bayern wohl letztmals von Jürgen Klopps großer Dortmund-Mannschaft vergleichbar deklassiert. In der Saison 2011/12 gewann der BVB beide Bundesligaspiele gegen den FC Bayern und besonders eindrücklich das DFB-Pokal-Finale mit 5:2. In der darauffolgenden Saison begann die mittlerweile elf Jahre andauernde Münchner Meisterserie. Nie war sie so sehr in Gefahr wie aktuell.

FC Bayern München: Die nächsten Spiele des FCB

DatumWettbewerbGegner
14. Februar, 21 UhrChampions LeagueLazio Rom (A)
18. Februar, 17.30 UhrBundesligaVfL Bochum (A)
24. Februar, 18.30 UhrBundesligaRB Leipzig (H)
01. März, 20.30 UhrBundesligaSC Freiburg (A)