Ryan Gravenberch beim FC Bayern: Eine Personalie, die Zündstoff bieten kann

Von Oliver Maywurm
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Rund um den FCB wurde zuletzt viel über den Bedarf an einer "Holding Six" diskutiert. Welche Rolle spielt Gravenberch bei dem Thema?

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Seit Harry Kane da ist, wird natürlich weiterhin viel über Harry Kane geschrieben. Wie findet er sich ein? Was ist er für ein Typ? Ist er die 100 Millionen Euro wert? Welche Schuhe trägt er?

Doch seit Harry Kane da ist, ist beim FC Bayern ein viel diskutiertes Thema auch abgeschlossen: Die Suche nach einer neuen Nummer 9. Statt der 9 ging es in der Berichterstattung rund um den FCB jüngst viel um die 6. Genauer gesagt, die "Holding Six".

Dass Thomas Tuchel eine solche "Holding Six", einen zentralen Mittelfeldspieler mit klarem Fokus auf der Defensivarbeit, vor Schließung des Transferfensters gerne noch verpflichten würde, ist nur zu gut bekannt. Die Bayern-Bosse sehen die Sache aber wohl anders, sehen die von Tuchel geforderten Qualitäten auch im aktuellen Kader vorhanden. Bei Neuzugang Konrad Laimer sowieso, aber auch bei Leon Goretzka und Joshua Kimmich. Der Tenor in Bayerns Führungsetage deckt sich wohl so ziemlich mit einer Einschätzung von Ex-FCB-Profi Stefan Effenberg: "Wenn ich einen Kimmich habe, einen Laimer und Goretzka, dann wird doch einer die Holding Six spielen können", sagte er zuletzt im Doppelpass bei Sport1.

Ein Name, der in der entsprechenden Diskussion selten fällt, ist der des vierten zentralen Mittelfeldspielers im aktuellem Bayern-Kader: Ryan Gravenberch. Das liegt zum einen daran, dass der 21-Jährige vom Spielertyp her am wenigsten zum von Tuchel gewünschten Holding-Six-Profil passt. Und zum anderen vielleicht auch daran, dass man Gravenberch ob seiner Situation beim Rekordmeister mitunter vergisst. Vergangene Saison, in seiner Premieren-Spielzeit in München, spielte er trotz großer Vorschusslorbeeren kaum einmal eine Rolle. In den ersten beiden Pflichtspielen der neuen Runde saß Gravenberch dann zweimal 90 Minuten lang auf der Bank.

Und dennoch hat seine Personalie heimlich, still und leise möglicherweise das Zeug zu einem nachhaltigen internen Streit-Thema an der Säbener Straße ...

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Ryan Gravenberch beim FC Bayern: Tuchels Zünglein an der Waage?

Mittlerweile soll eine Entscheidung gefallen sein: Laut der SportBild wird Bayern darauf verzichten, in diesem Sommer noch einen weiteren Mittelfeldspieler zu verpflichten. Die Bosse scheinen sich also durchgesetzt zu haben, Tuchel wird sein Transferwunsch offenbar nicht erfüllt.

Beim Verfolgen eben jenes Wunsches soll der Bayern-Coach zuletzt kundgetan haben, dass er mit einem Verkauf Gravenberchs gut leben könnte. Obwohl er den Niederländer öffentlich auch zuletzt wieder lobte und diesem weitere Chancen in Aussicht stellte, wenn er denn geduldig bleibe: Tuchel hätte sich wohl keineswegs dagegen gesträubt, Gravenberch zu verlieren, um damit mehr finanziellen Spielraum für einen defensiv orientierten, klassischen Sechser zu haben. Immerhin war in den Transferspekulationen um den niederländischen U21-Nationalspieler zuletzt von einer Ablösesumme von bis zu 35 Millionen Euro die Rede. Möglicherweise war Gravenberch also Tuchels Zünglein an der Waage, um seinen Wunschspieler doch noch bekommen zu können.

Doch auch in der Einschätzung des früheren Ajax-Talents soll es Unterschiede zwischen Trainer und Führungsebene geben. Während Tuchel Gravenberch offenbar nicht unbedingt braucht, sind seine Bosse laut The Athletic der Ansicht, dass man ihm noch mehr Zeit und mehr Chancen geben solle. Differenzen, die noch Zündstoff bieten könnten, sollte es sportlich nicht laufen wie erwartet und sollte Tuchel das auch im Versäumen der Verpflichtung eines klassischen Abräumer-Sechsers begründet sehen - der möglicherweise auch deshalb nicht kam, weil man an Gravenberch festhalten wollte.

Und auch innerhalb der Mannschaft könnte derweil Verwunderung darüber herrschen, warum Gravenberch sich so selten zeigen darf. Schließlich wird er von seinen Mitspielern immer wieder für starke Trainingsleistungen gelobt, Joshua Kimmich sagte schon kurz nach Gravenberchs Ankunft im Sommer 2022: "Von Ryan bin ich ehrlich gesagt am meisten begeistert. Der verliert fast keinen Ball. Der wird uns viel Freude bereiten."

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Ryan Gravenberch beim FC Bayern: Option Verbleib

Sollte tatsächlich kein weiterer zentraler Mittelfeldspieler dazu geholt werden, wird ein Verbleib Gravenberchs bei Bayern natürlich wahrscheinlicher. Zumal das Transferfenster nur noch rund eine Woche geöffnet ist und auch ein Ersatz für die Breite im Fall eines Abgangs des Niederländers nicht im Handumdrehen gefunden werden dürfte.

Für Gravenberch, dessen Vertrag noch bis 2027 läuft, ist das natürlich eine höchst unbefriedigende Situation. Schon im Herbst vergangenen Jahres hatte er nach nur wenigen Wochen im Verein Unzufriedenheit geäußert. Im April legte er dann nach und schloss einen Wechsel nicht aus, sollte seine Spielzeit weiterhin derart gering ausfallen. Und ein ganzes Jahr nach seinem Wechsel von Ajax zum FCB hat sich die Lage nun keinesfalls verbessert.

Sowohl im Supercup gegen Leipzig als auch beim Bundesliga-Start in Bremen kam Gravenberch nicht zum Zug. Er ist in der Rangordnung im Mittelfeld nur die Nummer vier und dass Tuchel offensichtlich eher einen anderen Spielertypen für seinen Fußball haben will, dürfte ihn nicht gerade optimistischer machen. "Ich sehe ihn in einer offensiven Position", sagte Tuchel zuletzt über Gravenberch und schloss damit quasi aus, dass er ihn auch nur ansatzweise als Option für seine gewünschte Holding Six im Hinterkopf hat.

Auch das wiederkehrende Mahnen zur Geduld, dass vom Trainer in Bezug auf Gravenberch zu hören ist, dürfte dem Spieler nicht gefallen. "Jetzt geht es für ihn darum, geduldig zu sein", sagte Tuchel im April. Diesen Sommer wiederholte er nach öffentlichem Lob für Gravenberchs Trainingsleistungen: "Wenn er geduldig ist, bekommt er seine Chance." Diese Chance scheint aktuell aber ziemlich weit weg.

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Ryan Gravenberch beim FC Bayern: Seine Wechseloptionen

Schon als im Januar ein frühzeitiger Abschied Gravenberchs aus München im Gespräch war, gehörte der FC Liverpool zu den meistgenannten Interessenten. Nun soll es laut Daily Mail auch zuletzt Gespräche zwischen den Reds und dem deutschen Rekordmeister wegen eines Transfers des elfmaligen A-Nationalspielers gegeben haben.

In Liverpool war bekanntlich die Neuausrichtung des Mittelfelds die größte Kader-Baustelle von Jürgen Klopp und Co. für diesen Sommer. Mit Alexis Mac Allister, Dominik Szoboszlai und Wataru Endo hat man bereits drei neue Spieler dafür geholt, mittlerweile ist man also relativ breit aufgestellt.

Will sagen: Auch bei den Engländern wäre die Konkurrenz für Gravenberch sehr hoch. In den ersten beiden Premier-League-Spielen bildeten Mac Allister, Szoboszlai und Cody Gakpo das Dreier-Mittelfeld. Für Gravenberchs wohl beste Position auf der Acht hat Klopp zudem den zuletzt verletzten Thiago in der Hinterhand, ebenso wie Curtis Jones - einen ähnlichen Spielertypen wie Gravenberch mit ähnlichen Qualitäten, der aus dem eigenen Nachwuchs stammt.

Ob Liverpool momentan tatsächlich ein sinnvolles Ziel für Gravenberch wäre, ist also fraglich. Ähnlich sieht es bei Manchester United aus, das ihn ebenso im Auge haben soll.

Auch hier stehen mit Bruno Fernandes, Mason Mount und Christian Eriksen bereits drei Spieler von internationalem Format im Kader, die Gravenberchs Position besetzen. Auch hier müsste er sich also wahrscheinlich zunächst hinten anstellen. Zumal United zwar wohl noch einen neuen Mittelfeldspieler sucht, dieser aber offenbar eher das Profil eines defensiven Abräumers haben soll.

Bliebe von den zuletzt gehandelten Vereinen noch die AC Milan. Dort hätte Gravenberch anders als zum Beispiel in Liverpool Champions-League-Fußball, würde zudem vermutlich um den Titel in der Serie A mitspielen. Was aber am wichtigsten ist: Milan bietet ihm sicherlich die beste Perspektive, was unmittelbar regelmäßige Spielzeit angeht. Und von außen betrachtet sollte es ihm darum primär gehen: Er muss so viel wie möglich auf hohem Niveau spielen, um sich weiterzuentwickeln, um sein riesiges Potenzial ausschöpfen zu können. Dass er herausragende Qualitäten hat, ist unbestritten - und es wäre extrem schade, würden diese weiterhin verborgen bleiben.

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