Formel 1, Fragen und Antworten zur Saison 2023: Ein Ex-Weltmeister in Lauerstellung - sind RB und Verstappen zu stoppen?

Von Christian Guinin
Lewis Hamilton
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Das Warten hat ein Ende. Nach exakt 105 Tagen Winterpause startet die Formel 1 am kommenden Sonntag in Bahrain in die Saison 2023. Vor dem Auftakt beantwortet SPOX die wichtigsten Fragen: Was hat sich zum Vorjahr geändert? Welche Teams können um den Titel fighten? Und wie steht es um die Chancen von Comebacker Nico Hülkenberg?

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Logan Sargeant, Oscar Piastri
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Formel 1, Saison 2023: Was ist neu?

Nach der großen Revolution im vergangenen Jahr bleibt das technische Reglement für die 2023er-Saison weitestgehend unberührt. Vielmehr möchte die Formel 1 auf den Änderungen aufbauen. An einigen Stellschrauben wurde dennoch gedreht. Beispielsweise soll das Problem des Porpoising, mit dem vor allem der Mercedes 2022 zu kämpfen hatte, der Vergangenheit angehören. Die Autos wurden dafür am Unterboden innen um zehn und am Rand um 15 Millimeter höher gelegt.

Aus aerodynamischer Sicht haben die Teams etwas mehr Freiheiten am Frontflügel - die Verstellbarkeit wird von 35 auf 40 Millimeter angehoben. Gleichzeitig soll der sogenannte Outwash-Effekt verhindert werden, der es Fahrern schwer gemacht hat, im Windschatten des Vordermannes zu fahren und diesem zu folgen.

Anpassungen wurden auch am sportlichen Reglement vorgenommen. 2023 wird erstmals ein neues Qualifying-Format getestet, welches an zwei Rennwochenenden zum Einsatz kommt (die genauen GPs stehen noch nicht fest). Dabei müssen die Teams in Q1 die Hard-Reifen aufstecken, im zweiten Qualifying-Segment die Mediums und erst in Q3 kommen die Soft-Pneus zum Einsatz.

Mit 23 Rennen bietet die Formel 1 im neuen Jahr außerdem den vollgepacktesten Rennkalender der Geschichte. Teils wird wild von Kontinent zu Kontinent gesprungen. Wie etwa im Frühjahr, wo es von Melbourne über Baku nach Miami und von dort nach Imola geht. Inmitten der Europa-Saison jettet die Königsklasse dann für ein Rennen nach Kanada, nur um am Jahresende ein drittes Mal auf den amerikanischen Kontinent zu kommen.

Erstmals werden in diesem Jahr auch drei Grand Prix in den USA ausgetragen: in Miami, Austin und Las Vegas. Las Vegas, mit dem Rennen auf dem legendären Strip, feiert in dieser Form eine Premiere, zudem wird der Start nicht wie üblich sonntags, sondern am späten Samstagabend (Sonntag früh morgens deutscher Zeit) erfolgen.

Formel 1, Saison 2023: Vier neue Piloten am Start

Die größten Änderungen gibt es jedoch in der Besetzung der Cockpits. Lediglich die drei Spitzenteams Red Bull, Ferrari und Mercedes sowie Alfa Romeo treten mit identischem Personal an, bei den restlichen sechs Rennställen wurde fleißig durchgewechselt. Fernando Alonso tritt nach Sebastian Vettels Karriereende dessen Nachfolge bei Aston Martin an, außerdem kommt Nico Hülkenberg in die Formel 1 zurück - der Emmericher ersetzt Mick Schumacher im Haas.

Neu dabei sind außerdem der US-Amerikaner Logan Sargeant (Williams), der Niederländer Nyck de Vries (AlphaTauri) und das australische Talent Oscar Piastri (McLaren). Daniel Ricciardo und Nicholas Latifi mussten ihre Cockpits dafür (vorerst) aufgeben.

Weltmeister Max Verstappen (li.) und Herausforderer Charles Leclerc.
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Formel 1, Saison 2023: Wer ist Favorit?

Da das erste Saisonrennen nur eine Woche nach dem Abschluss der Testfahrten auf der gleichen Strecke mit (voraussichtlich) identischen Bedingungen stattfindet, lässt sich schon vor dem Auftakt ein relativ akkurates Bild der Kräfteverhältnisse für 2023 skizzieren.

Wie schon im vergangenen Jahr wird der Weltmeistertitel aller Voraussicht nach nur über Max Verstappen und Red Bull gehen. Die niederländisch-österreichische Erfolgskombination ist nach den ersten Eindrücken das Duo, welches es zu schlagen gilt. Der RB19 war bei den Tests schnell auf einer Runde, schnell in der Rennsimulation und dazu noch zuverlässig.

Ärgster Rivale scheint erneut Ferrari zu sein, auch wenn die Italiener im Vergleich zur Vorsaison nicht ganz so nah dran sind. Der starke Abbau der Reifen bei hohen Temperaturen macht der Scuderia noch zu schaffen, so wird speziell im Rennen für Charles Leclerc und Carlos Sainz erst einmal nichts zu holen sein.

"Die Meisterschaft wird nicht in diesem ersten Rennen gewonnen oder verloren. Es sind noch 22 übrig", äußerte Sainz eine zurückhaltende Prognose. Auch Teamkollege Leclerc sieht Red Bull in der Favoritenrolle: "Es sieht danach aus, dass sie im Vergleich zu uns etwas vorne sind."

Formel 1, Saison 2023: Mercedes wieder nur dritte Kraft?

Ein Stück hinter dem Spitzenduo reiht sich dann Mercedes ein, das die Probleme mit dem Porpoising zwar endgültig behoben hat, dafür aber mit einem anderen Krisenherd kämpft. Während der Tests klagten Lewis Hamilton und George Russell über das unberechenbare Heck des neuen W14, was vor allem die Suche nach dem richtigen Setup schwierig gestaltet.

Hamiltons Mission "Titel Nr. 8" ist damit zumindest fürs Erste auf Eis gelegt. Ziel der Silberpfeile muss es sein, nicht zu früh zu stark in Rückstand gegenüber Red Bull und Ferrari zu geraten, um im Entwicklungsrennen über das Jahr gesehen dann die Oberhand gewinnen zu können.

Fernando Alonso
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Formel 1, Saison 2023: Wer könnte für die Überraschung sorgen?

Quasi auf Augenhöhe mit Mercedes performte die große Überraschung der Testfahrten und für nicht wenige der Geheimfavorit für 2023: Aston Martin. Die Briten scheinen von allen Teams den größten Sprung gemacht zu haben. Ausgerechnet Aston Martin, möchte man aus deutscher Perspektive sagen. Ausgerechnet jetzt, wo sich Sebastian Vettel in den Ruhestand verabschiedet hat.

Zwei Jahre lang leistete der Deutsche bei den neureichen und ambitionierten Briten Aufbauarbeit, Top-Ergebnisse kamen aber nur selten herum. Nachfolger Alonso sitzt plötzlich in einem schnellen und scheinbar mehr als konkurrenzfähigem Auto. Den Tests nach zu urteilen kann der AMR23 im Renntrimm mit Mercedes um Podestplätze kämpfen, teilweise war man sogar schneller als Ferrari.

Die Kombination aus dem spanischen Ex-Weltmeister, der mit seinen 41 Jahren kein Stück seiner Klasse eingebüßt zu haben scheint, und einem vielversprechenden AM-Paket hat das Potenzial, an guten Tagen die Großen zu ärgern. Alonso wirkt motivierter denn je. Wenn sich die Chance ergibt, ganz vorne mitzumischen, wird er sie ergreifen.

Die direkte Konkurrenz zeigte sich in jedem Fall beeindruckt von der starken Performance der grünen Boliden. "Sie scheinen konstant gute Longruns zu fahren. Und wenn sie versuchen, eine Rundenzeit zu fahren, scheinen sie es auch zu schaffen. Ich denke also, dass sie einen großen Schritt gemacht haben", staunte Haas-Pilot Kevin Magnussen. Auch Guanyu Zhou (Alfa Romeo) attestierte Aston Martin den größten Schritt aller Teams. "Alonso schien an beiden Tagen unter beiden Bedingungen (morgens und abends; Anm.d.Red.) sehr konkurrenzfähig zu sein."

Bei den Briten selbst ist die Stimmung nicht ganz so euphorisch, auch wenn es nicht unüblich ist, vor dem ersten Rennen Understatement zu betreiben. "Es gibt viel Energie, aber keinen Hype", sagte Teamchef Mike Krack im Hinblick auf den Saisonstart: "Ich glaube, wir müssen mit den Füßen auf dem Boden bleiben."

Lando Norris
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Formel 1, Saison 2023: Für wen könnte es schwierig werden?

Eine übermäßig negative Überraschung hatten die Tests nicht zu bieten, für den ein oder anderen Rennstall könnte 2023 aber nicht ganz nach den Erwartungen verlaufen. Zum einen wäre da McLaren zu erwähnen, die am vergangenen Wochenende keinen sonderlich überzeugenden Eindruck von sich abgaben.

Schon bei der Vorstellung des neuen Boliden äußerte Teamchef Andrea Stelle, welcher Andreas Seidl als Hauptverantwortlicher beim Traditionsteam ersetzt, große Bedenken über die Konkurrenzfähigkeit des MCL60 - selten ein gutes Zeichen. In Bahrain bestätigte sich dieser Eindruck, vor allem aerodynamisch scheint man große Defizite zu haben.

Dabei hätte man bei der Truppe aus Woking eigentlich beste Voraussetzungen. In den vergangenen Jahren absolvierte man einen schweißtreibenden aber kontinuierlichen Weg zurück an die Spitze, nachdem das Team Anfang der 2010er-Jahre fast in der Bedeutungslosigkeit verschwunden war. Große Investitionen wurden getätigt, um fähige Leute von Konkurrenten loszueisen. Mit Lando Norris und Oscar Piastri hat McLaren darüber hinaus die vielleicht spannendste und talentierteste Fahrerpaarung im ganzen Feld.

Neben den Briten sticht AlphaTauri als "Problemfall" heraus. Für Red Bulls B-Team wird 2023 zur wegweisenden Saison, noch ein Jahr in der Bedeutungslosigkeit kann man sich aufgrund der anhaltenden Gerüchte um einen Verkauf durch den Mutterkonzern nicht leisten. Teamchef Franz Tost dementierte zwar etwaige Spekulationen, der Druck ist dennoch so groß wie nie.

Die Tests machten zu allem Überfluss wenig Hoffnung. Im Mittelfeld sehen Alpine, Aston Martin und Alfa Romeo deutlich stärker aus, es droht eine weiteres Jahr im Niemandsland des Feldes.

Kevin Magnussen, Nico Hülkenberg
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Formel 1, Saison 2023: Wie stehen die Chancen für Nico Hülkenberg?

Die gute Nachricht ist: Mit Nico Hülkenberg haben wir auch 2023 einen deutschen Piloten in der Formel 1. Die erste Saison ohne einen deutsche Stammfahrer seit 1980 wurde damit abgewendet. Die schlechte Nachricht: Der Emmericher ersetzt bei Haas mit Mick Schumacher einen von zwei Deutschen des 22er-Grids. Der Sohn von Rekordweltmeister Michael muss sich stattdessen mit dem Posten des Reservefahrers bei Mercedes zufrieden geben.

Ein Wechsel, der vielleicht auf den ersten Blick unsinnig erscheint, unter Berücksichtigung der Gegebenheiten aber nicht grundlos vollzogen wurde. Von Hülkenberg erhofft sich der US-amerikanische Rennstall nämlich vor allem eines: Konstanz. Mit der Erfahrung von 181 Grand-Prix-Starts soll der 35-Jährige helfen, das Team für die mittelfristige Zukunft nach vorne zu bringen und dabei wichtige Entwicklungsarbeit leisten. Dass der Emmericher keine Verpflichtung für die Zukunft ist, ist selbstredend.

Ob Hülkenberg tatsächlich für Ausrufezeichen sorgen kann oder für Haas lediglich Mittel zum Zweck ist, wird sich über die Saison hinweg zeigen. Hohe Erwartungen sollte man aber nicht hegen. Denn auch wenn das Auto bei den Tests nicht unbedingt schlecht aussah und Teamchef Günther Steiner betonte, viele kleiner Probleme der Vorgängerautos behoben zu haben: Um Podestplätze werden die US-Amerikaner nicht kämpfen können. Selbst Top-10-Platzierungen sind keineswegs garantiert.

Formel 1, Saison 2023: Teamduell mit Brisanz

Für eine gewisse Brisanz dürfte zudem das Verhältnis zum Teamkollegen sorgen. Mit Kevin Magnussen trifft Hülkenberg auf einen Fahrer, mit dem er in der Vergangenheit ein ums andere Mal verbal aneinandergeraten war. Das gipfelte beim Großen Preis von Ungarn 2017, als der Deutsche "K-Mag" zum "unfairsten Fahrer im gesamten Grid" gratulierte. "Suck my balls", auf Deutsch: "Lutsch mir die Eier", konterte der Däne darauf.

Diese Differenzen sollen mittlerweile jedoch der Vergangenheit angehören. "Jeder spricht über unsere kleine Sache in Ungarn 2017. Das ist natürlich das, was jeder zur Sprache bringt", meinte Magnussen diesbezüglich. "Tatsache ist: Ich habe eine Menge Respekt vor ihm. Und das habe ich auch schon gesagt, bevor er zu unserem Team kam, dass ich ihn als Fahrer sehr respektiere."

Hülkenberg selbst brennt indes drauf, wieder als Stammpilot in einem F1-Boliden zu sitzen. "Es wird sich großartig anfühlen, wenn die Lichter ausgehen", sagte der 35-Jährige am Donnerstag bei einer Pressekonferenz. Er fühle sich "gut, erfrischt, positiv", sei bereit. Wie viel bei seinem Comeback dann tatsächlich möglich ist, wird sich zeigen. Druck möchte er sich keinen machen: "Ich habe ja schon ein paar Saisons hinter mir und weiß, was auf mich zukommt, was ich erwarten kann."