Die unangenehme Signora Morace

Von Christian Bernhard
Carolina Morace trainiert Deutschlands WM-Gruppengegner Kanada
© Imago

In diesem Sommer schaut die ganze Fußball-Welt gespannt nach Deutschland, wenn vom 26. Juni bis zum 17. Juli die FIFA-Frauen-Weltmeisterschaft ausgetragen wird und 16 Nationen um den sechsten WM-Titel der Geschichte kämpfen. SPOX widmet sich in seiner sechsten Themenwoche ausschließlich dem Frauen-Fußball. Im zweiten Teil steht Carolina Morace im Mittelpunkt, die Trainerin von Deutschlands WM-Gruppen-Gegner Kanada. Italiens Jahrhundertfußballerin schrieb auch als Trainerin Geschichte: Sie betreute als erste Frau männliche Profis. Und stolperte über einen skurrilen Typen. Ihren Dickkopf aber hat sie behalten.

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In welchem Verhältnis Heidi Mohr und Carolina Morace zueinander stehen, ist nicht bekannt. Mehr als wahrscheinlich dürfte allerdings sein, dass Signora Morace zumindest einmal einen Hals auf Mohr hatte. Vermutlich im Jahr 1998, als Mohr zu Europas Fußballerin des Jahrhunderts gewählt worden ist - drei mickrige Stimmen vor Morace.

Was Morace auf Platz zwei gebracht hat? Unzählige Titel und Tore. 120 Mal streifte sie das italienische Nationaltrikot über, 105 Mal traf sie dabei ins Schwarze. 1990 gelang ihr das Kunststück, im Wembley-Stadion vier Tore gegen England zu erzielen. Auf Vereinsebene gewann sie schlanke zwölf Scudetti, elf Torjägerkronen und jubelte über 554 Tore - Morace ist der Franz Beckenbauer des italienischen Frauenfußballs.

Das Unvorstellbare: Morace trainiert die Männer

Diesen Weg ermöglicht hat ihr vor allem eins: ein starker Charakter und sturer Kopf. Denn trotz der vielen Erfolge als Spielerin: So richtig Fahrt aufgenommen hat ihre Karriere erst nach der aktiven Zeit, die 1996 endete. Morace schlug die Trainerlaufbahn ein und stellte schnell fest, dass sie nicht "nur" Frauen trainieren wollte.

Die Männer sollten es sein, und sie wurden es. Nach einigen Stationen im Amateurbereich schrieb die heute 47-Jährige im Jahr 1999 Geschichte: Als erste Frau in Italien wurde sie Cheftrainerin eines Profiteams, und zwar des Drittligisten Viterbese aus der Provinz Umbrien.

Eine Frau, die den männlichen Profis den Fußball erklären soll - eigentlich unvorstellbar in Italien, einem Land, wo die Macho-Welt Fußball noch machohafter ist, als in vielen anderen Ländern. Doch von Verlegenheit war bei Morace keine Spur.

"Warum denn? Vielleicht sind es die Männer, ich ganz sicher nicht. Gibt es denn keine Lehrerinnen, die Männerklassen unterrichten? Ja also... Wichtig ist einzig, dass wir die selbe fußballerische Sprache sprechen", sagte die Fußballlehrerin bei ihrer Präsentation.

Das Ende: Der skurrile Herr Gaucci

Carlo Mazzone, Trainerlegende und mit 795 Einsätzen Rekordcoach der Serie A schlug sich auf Moraces Seite: "Wir sind überrascht, wenn eine Frau ein wichtiges Traineramt übernimmt, die ihr ganzes Leben in der Welt des Fußballs verbracht hat. Ein Mann aber, der nie Fußball gespielt hat und Trainer bei einem Erstligisten wird, ist für uns normal."

Morace stand also nicht ganz alleine da, nach zwei Spielen und einem Sieg war aber bereits Schluss in Viterbo. Der Grund: "Unüberbrückbare Differenzen" mit dem feurigen Präsidenten Luciano Gaucci. Der Reinigungsunternehmer ist bis heute einer der skurrilsten Präsidenten des italienischen Profifußballs. "Sein" Perugia brachte die jungen Fabio Grosso und Marco Materazzi auf die große Fußballbühne, er holte mit  Hidetoshi Nakata einen der ersten Japan-Profis nach Europa.

Gauccis Idee: Nach Gaddafis Sohn auch Birgit Prinz

Gaucci war aber auch für andere Ideen zu haben, weit spektakulärere. So verpflichtete er Al Saadi Gaddafi, den Sohn des lybischen Dikatators - und er wollte Birgit Prinz in die Serie A locken. "Sie ist schön, hat einen wunderbaren Körper und ist eine sehr gute Fußballerin", begründete Gaucci seine Idee, die am Veto des Verbands schließlich scheiterte. 100.000 Euro soll er Prinz für einen Sechsmonatsvertrag angeboten haben.

Eben dieser Gaucci bewog Morace zum Rücktritt. "Ich bin doch kein Idiot. Dieser Mann versteht nichts vom Fußball, verlangt aber, zur Halbzeit in die Kabine zu kommen, um die Auswechslungen zu diktieren. Ein Trainer, der nur ein Minimum an Würde hat, lässt das nicht mit sich machen", wütete sie.

Morace: Zurück zu den Frauen

Da war er wieder, Moraces Kampfgeist. "Ich wusste, dass Gaucci kein einfacher Typ ist, aber auch ich habe einen ausgeprägten Charakter. Dieser Herr hat sich anscheinend nicht gut genug über mich informiert." Moraces Weg führte wieder in den Frauenfußball zurück.

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Fünf Jahre lang trainierte sie die italienische Nationalmannschaft, dazwischen und danach arbeitete sie immer wieder als TV-Expertin. Doch Moraces Leidenschaft war die Trainertätigkeit. "Durch die Arbeit im Fernsehen bleibt man auf dem Laufenden, aber das Klima auf der Trainerbank ist ein ganz anderes. Unsere Arbeit findet auf dem Platz statt", sagte Morace.

Der kanadische Verband ermöglichte Morace 2009, wieder auf dem Platz zu arbeiten. Seitdem läuft es bei Kanadas Fußballfrauen wie geschmiert. Souverän qualifizierten sie sich für die WM in Deutschland, gewannen den Gold Cup 2010 und liegen mittlerweile auf Rang sechs der Weltrangliste - so gut wie noch nie.

Neuer Ärger in Kanada

"Carolina hat uns eine neue Art von Fußball gebracht. Sie hat sich unseren Respekt und unsere Bewunderung erarbeitet. Bevor sie da war, waren wir eine Gruppe von Athletinnen. Sie hat uns in Fußballerinnen verwandelt", schwärmt Christine Sinclair, Kanadas Topspielerin.

Diese Leistung brachte Morace auf die Top-100-Liste des Jahres 2010 der Tageszeitung "La Repubblica". Ihren Kampfgeist hat sie auch in Nordamerika nicht verloren. Trotz der sportlichen Erfolge legte sich Morace mit dem kanadischen Verband an. Der Grund: Fehlende Rückendeckung für sie und die Spielerinnen. Nach der WM in Deutschland werde sie deshalb ihr Amt niederlegen, so Morace.

Die Spielerinnen von Deutschlands Gruppengegner bei der WM stellten sich voll hinter ihre Trainerin und kündigten einen Streik an, falls der Verband sich nicht mit Morace einigen und sie zum Weitermachen ermutigen sollte. "Das ist unser Beitrag, um sie zu unterstützen", sagt Kapitän Sinclair. Egal, was jetzt noch kommt: Die Kämpferin Morace kann sich jetzt schon als Gewinnerin fühlen.

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