EM

Kommentar zum EM-Aus des DFB-Teams: Joachim Löw hat seine Überzeugungen verraten

Ausgerechnet im 198. und letzten Spiel der Ära Joachim Löw lernen wir den Bundestrainer als Angsthasen kennen, der verzagten und passiven Fußball spielen lässt.
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Ausgerechnet im 198. und letzten Spiel der Ära Joachim Löw lernen wir den Bundestrainer als Angsthasen kennen, der verzagten und passiven Fußball spielen lässt. Das an sich nicht blamable Ausscheiden im EM-Achtelfinale wird durch das Verhalten des Bundestrainers umso unverständlicher. Ein Kommentar.

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Wir durften in den vergangenen 15 Jahren sehr viele Joachim Löws kennenlernen. Da war der locker-leichte Jogi, der seine Mannschaft ebenso luftigen Fußball spielen ließ. Mal gab er den badischen Sturkopf, dann den modernen Chef, der auf seinen Assistenten Hansi Flick hörte und seine Mannschaft vor einem Turnier endlich auch mal Standards trainieren ließ.

Wir lernten den Kanzlerinversteher, Espressotrinker, Cabriofahrer, dominanten Weltmeistertrainer und regelmäßigen Vercoacher gegen Italien und Spanien ebenso kennen wie den arroganten Bundestrainer (Eigenbeschreibung in seiner Analyse des WM-Desasters 2018). In den letzten drei Jahren mussten wir uns auch an den erst selbstkritischen, dann kämpferischen, letztlich aber glück- und erfolglosen Löw gewöhnen, der die Nationalmannschaft viel zu spät losließ.

Ausgerechnet beim letzten seiner 198 Länderspiele haben wir nun auch noch den Angsthasen Löw kennengelernt. Einen verzagten Trainer, der seine Mannschaft mit einer derart mutlosen Strategie in das EM-Achtelfinale gegen das keinesfalls dominante England schickte, dass seine Ära nun mit einem für Löw völlig untypischen Spiel, mit einem schnöden und total verdienten 0:2 sowie einer beinahe kleinlauten Entschuldigung ("Tut uns leid") endet.

Das Aus im Achtelfinale bei dieser EM ist nicht blamabel. Englands Kader strotzt vor Talent, die Three Lions gehörten schon vor Turnierbeginn zu den Favoriten und sie haben auch jetzt aller immer noch vorhandenen spielerischen Defizite zum Trotz beste Chancen, zumindest das Finale zu erreichen.

DFB-Elf: Löw ließ Team gegen ihr Naturell spielen

Löw hat in der Vorbereitung und auch während seines letzten großen Turniers sicher nicht alles falsch gemacht. Er hat im Grunde die richtigen Spieler nominiert, er hat Größe bewiesen, indem er Thomas Müller und Mats Hummels zurückholte. Auch seine ursprüngliche Idee, mit dem 3-4-3 gegen die (vermeintlich) schnellen und dominanten Franzosen und Portugiesen in der (vermeintlichen) Todesgruppe F für Kompaktheit im Zentrum zu sorgen und das Spiel breiter zu machen, war nicht per se schlecht.

Doch Löw hat die Mannschaft vor allem im Achtelfinale gegen England gegen ihr Naturell und eigentlich auch gegen seine Überzeugungen der letzten 15 Jahre spielen lassen: passiv abwartend und auf ein, zwei Konter lauernd und ansonsten auf eine Verlängerung, das Elfmeterschießen oder vielleicht eine Eingebung von wem auch immer hoffend.

Und das gegen ein England, das im bisherigen Turnierverlauf auch nicht als drückend dominantes oder sonderlich gefährliches Team aufgefallen war und das nun im Achtelfinale durch den cleveren, aber auch nicht mehr besonders überraschenden Thomas-Tuchel-Gedächtnis-Underdog-Trick (einfach mal die Formation des Gegners spiegeln) das DFB-Team komplett aus dem Spiel nahm.

Wieso um alles in der Welt hat Löw nicht den zweitältesten Thomas-Tuchel-Gedächtnis-Verwirrungs-Trick angewandt und die Formation bald gewechselt? Dreierkette auflösen, die kompakt um die Mittellinie postierten Engländer aus einem 4-1-4-1 oder 4-3-3 mehr stressen und die Konter dann auch wirklich erzwingen?

Symptomatisch auch Löws viel zu späte und seltsame Wechsel während des gesamten Turniers: Den Stürmer Kevin Volland im ersten Spiel gegen Frankreich als Linksverteidiger zu bringen, war schon sehr speziell. Leroy Sane in der zweiten Halbzeit gegen Ungarn zum Rechtsverteidiger zu machen, hat das ohnehin schon angeknackste Selbstbild des Dribblers im DFB-Team sicher nicht zusammengeklebt. Jamal Musiala, Vorlagengeber und sofortiger Aktivposten nach seiner Einwechslung gegen Ungarn, jetzt in der 92. Minute beim Stand von 0:2 zu bringen, gehört schon in die Kategorie "Was soll das?".

DFB-Team bei der EM: Löw hat Zeichen der Zeit nicht erkannt

Löw muss sich zudem vorwerfen lassen, die Zeichen der Zeit nicht erkannt zu haben. Ironischerweise erleben wir bei dieser aus verschiedenen Gründen absurden und unverantwortlichen EM so etwas wie die Renaissance des Spektakel-Fußballs (irre Eigentore inklusive).

Mannschaften mit offensiven Ansätzen, welche mit klaren Ideen und mutig spielende Teams haben sich bisher mit dem Weiterkommen belohnt oder wurden mit Applaus aus dem Turnier verabschiedet. Allzu passive und Defense-First-Mannschaften wurden dagegen zuhauf mit dem frühen Ausscheiden bestraft.

Und ausgerechnet bei diesem Turnier, ausgerechnet in Löws letztem Spiel, haben wir die verzagteste und mutloseste DFB-Elf seit den fatalen EM-Abenteuern 2000 und 2004 erlebt.

Wenn es noch eines Beweises gebraucht hätte, dass die Zeit für einen Neuanfang überreif ist: Das ist er gewesen.