Geschäftsführer Max Kothny von Türkgücü München im Interview: "Ich war zum Bewerbungsgespräch bei McDonalds"

Von Florian Mesner
Max Kothny (23) ist der jüngste Geschäftsführer im deutschen Profi-Fußball.
© imago images / Krieger
Cookie-Einstellungen

 

 

Der Vater des Erfolgs bei Türkgücü ist Präsident Hasan Kivran, der 2016 eingestiegen ist. Welcher Rolle spielt er im Alltag für den Verein?

Kothny: Es gibt wenige Investoren oder Mäzene, die so viel Zeit und Leidenschaft in ihr Projekt stecken wie er. Diese Liebe, dieses Herzblut und das erfolgsorientierte Denken bringen uns unglaublich voran. Für mich persönlich ist Herr Kivran ein Mentor, der jahrelange Erfahrung als Geschäftsmann mitbringt und zu dem ich eine wirklich enge Beziehung pflege. Er ist im Tagesgeschehen voll drin, will über jedes noch so kleine Detail informiert werden. Als wir beispielsweise unseren neuen Bus abgeholt haben, habe ich ihm ein Foto geschickt und er hat sich gefreut wie ein kleines Kind. Der Klub ist eben sein Baby, der Verein, den er in der Landesliga übernommen hat.

Hat er bei allen wichtigen Entscheidungen das letzte Wort?

Kothny: Wir arbeiten und entscheiden im Team. Bei relevanten Themen wie der Verhandlung mit Sponsoren oder Spielerverpflichtungen ist er natürlich involviert. Er hat früher selbst aktiv bei Türkgücü gespielt und war damals als Nummer 10 auf dem Platz der Denker und Lenker. So sehe ich seine Rolle aktuell auch. Er bringt einen großen Fußball-Sachverstand mit, deswegen ist er vielleicht auch ab und zu bei gewissen Trainer-Entscheidungen ziemlich streng und äußert seine Meinung.

Mischt er sich also in die Arbeit des Trainers ein?

Kothny: Er äußert seine Meinung immer offen und deutlich, also auch dem Trainer gegenüber. Der Trainer ist natürlich für die Aufstellung verantwortlich, er steht in der Verantwortung und ist der Erste, der seinen Platz bei Misserfolg räumen muss. Aber Hinweise gibt es von Herrn Kivran immer wieder, gerade wenn sie sich aus wirtschaftlichen Gründen ergeben. Wenn es zum Beispiel für einen bestimmten Spieler ein Angebot eines anderen Vereins gibt, soll dieser Spieler vermehrt zum Einsatz kommen, um sich weiterhin zu zeigen und seinen Marktwert zu erhöhen. So etwas kommt vor, ist aber ein normaler Vorgang.

Wie ordnen Sie Türkgücü innerhalb der Fußballstadt München ein?

Kothny: Wir sind ein einmaliges Fußball-Projekt. Das Standing von 1860 München und dem FC Bayern ist natürlich gewaltig in der Stadt. Sportlich gesehen sind wir aktuell als Aufsteiger in der 3. Liga noch am niedrigsten platziert. Das wird aber nicht mehr lange so sein.

Türkgücü München: Die Platzierungen seit dem Einstieg von Hasan Kivran

SaisonLigaPlatzierungPunkteSUN
2015/16Landesliga Bayern Südost (6. Liga)124211914
2016/17Landesliga Bayern Südost (6. Liga)64914711
2017/18Landesliga Bayern Südost (6. Liga)1451434
2018/19Bayernliga Süd (5. Liga)1682156
2019/20Regionalliga Bayern1541733

Türkgücü-Boss Kothny: "Mittelfristig sehe ich uns als Nummer zwei hinter dem FC Bayern"

Wie sehen Ihre Ambitionen konkret aus?

Kothny: Mittelfristig sehe ich uns als Nummer zwei hinter dem FC Bayern, das ist rein sportlich unser klares Ziel. Davon abgesehen haben wir natürlich keine Trainingsanlage mit der gleichen Qualität wie 1860, auch die Tradition und die Masse an Fans sind natürlich nicht vergleichbar. Es gibt bei allen Vereinen in München und dem nächsten Umland komplett andere Voraussetzungen. Bei Unterhaching etwa wird viel auf den eigenen Nachwuchs gesetzt, was sehr erfolgreich ist. Trotzdem ist für mich 1860 der größere Rivale. Wir spielen beide im Grünwalder Stadion und die Löwen haben den noch größeren Namen in Deutschland.

Was darf man sportlich in dieser Saison von Türkgücü erwarten?

Kothny: Der nächste Aufstieg wurde intern nicht als Ziel ausgerufen, so viel ist klar. Wir wollen uns in der 3. Liga etablieren, das wird im ersten Jahr schwierig genug. Unser Ziel ist ein Platz im gesicherten Mittelfeld, zudem wollen wir vor 1860 und Unterhaching stehen. Grundsätzlich würde ich den Löwen aber auch die Meisterschaft gönnen, wenn wir hinter ihnen auf Platz zwei stehen.

Dennoch ist die 2. Bundesliga mittelfristig das Ziel?

Kothny: Bevor wir an einen Aufstieg denken, müssen wir uns erst infrastrukturell besser aufstellen. Wir trainieren aktuell noch auf einer Bezirkssportanlage, auf der auch andere Vereine und Schulen ihren Sport ausüben. Wir haben kein Nachwuchsleistungszentrum, dazu gibt es immer noch die alles beherrschende Stadionfrage, die nur um ein Jahr verschoben wurde. Es fehlt also noch vieles. Die Stadt München ist jetzt am Zug, dass wir ähnliche Voraussetzungen wie die anderen Münchner Vereine haben.

Gibt es intern ein zeitliches Ziel für den Aufstieg?

Kothny: Unser Präsident hat auf der letzten Mitgliederversammlung das Jahr 2023 als Zeitpunkt für den Aufstieg ausgerufen. Wenn die Voraussetzungen stimmen, würde ich ihn aber auch früher nehmen. Unsere Blickrichtung geht ganz klar nach oben.

Wo sehen Sie Türkgücü in zehn Jahren?

Kothny: Am liebsten in der Bundesliga - auch wenn das noch in weiter Ferne liegt. Klar ist doch, dass man den Blick immer eher nach oben als nach unten richten sollte.

Wie wollen Sie es schaffen, sich von der finanziellen Abhängigkeit von Hasan Kivran zu lösen und auf eigenen Beinen zu stehen?

Kothny: Aktuell wird ein etwaiges finanzielles Defizit durch unseren Präsidenten gedeckt beziehungsweise ausgeglichen. Für uns ist es deshalb extrem wichtig, direkt im ersten Jahr in der 3. Liga eine gute Saison zu spielen und positiv aufzufallen. Nur dann kann unser Sponsoring-Umfeld wachsen. Die Unternehmen müssen auf dieses einmalige Projekt des "Migranten-Vereins" aufmerksam gemacht werden. Wir haben eine überregionale und große Zielgruppe. Ich hoffe, dass wir schon während der Saison neue Partner finden werden.

Ex-Nationalspieler Cacau "verfolgt das Geschehen sehr genau"

Einer der bekanntesten Ex-Spieler von Türkgücü ist der ehemalige Bundesliga-Stürmer Cacau. Besteht zu ihm noch Kontakt?

Kothny: Mit Cacau habe ich tatsächlich vor Kurzem erstmals telefoniert. Er verfolgt das Geschehen rund um unseren Verein sehr genau. Zudem ist er als Integrationsbeauftragter des DFB natürlich ein Kontakt, den man sicherlich das eine oder andere Mal gut brauchen kann. Es gibt keine Pläne, ihn direkt miteinzubeziehen, aber als großes Aushängeschild, das man mit Türkgücü in Verbindung bringt, ist er auf jeden Fall eine Hilfe. Er ist schon jemand, der uns Türen öffnen kann, sei es bei der Vermarktung oder bei der Suche nach neuen Sponsoren. Inzwischen ist es allgemein bekannt, dass Cacau seine erste Profistation bei uns hatte.

Haben Sie ihn zu einem Stadion-Besuch eingeladen?

Kothny: Natürlich! Ich habe es ihm angeboten, dass er bei unserem ersten Heimspiel gegen Kaiserslautern vorbeischauen kann und herzlich willkommen ist. Ob er es zeitlich schaffen wird, weiß ich nicht. Aber im Laufe der Saison wird er uns auf jeden Fall besuchen. Wir haben auch weitere Ex-Spieler eingeladen aus der erfolgreichen Bayernliga-Zeit in den Siebzigern. Manch einer hat anschließend ja auch bei bekannten Vereinen wie Galatasaray oder Besiktas in der Türkei gespielt. Wir wollen diese Vereinslegenden wieder zusammenbringen und der alten Generation zeigen, was wir heute geschafft haben.

Wie wichtig ist es für den Klub, die türkischen Wurzeln zu leben und zu repräsentieren?

Kothny: Wir blicken immer in Richtung Türkei und die Türkei blickt auch auf uns. Das sieht man am stärksten auf unserer Website und unseren Social-Media-Kanälen, die wir zweisprachig aufziehen. Dort besuchen und verfolgen uns immer mehr Fans aus der Türkei, was uns natürlich sehr freut. Wir realisieren, dass das Interesse und die Aufmerksamkeit stetig größer werden. Die Türkei ist eine wichtige Zielgruppe für uns, auch in puncto möglicher Sponsoren. Wir wollen den Bezug zu unseren türkischen Gründungsvätern natürlich behalten und diese Werte verkörpern.

Welche Werte sind damit gemeint?

Kothny: In erster Linie die Offenheit für die verschiedensten Kulturen. Unser neuer Leitspruch heißt deswegen auch: Tradition bewahren, Kulturen verbinden. Diese Weltoffenheit ist für uns das Wichtigste. Der Verein wurde von türkischen Gastarbeitern gegründet. Das ist unsere Geschichte und damit identifizieren wir uns. Wir sehen uns auch ganz klar in einer Vorreiter-Rolle, die wir einnehmen müssen im deutschen Profi-Fußball. Wir wollen ein Beispiel sein, um zu zeigen, wie wichtig Integration in diesem Land ist. Die heutige Wirtschaftskraft in Deutschland verdanken wir zu einem großen Teil Gastarbeitern aus diversen Nationen, die mitgeholfen haben, dieses Land aufzubauen und zu stärken. Und das wollen wir erneut zeigen: Es kann gemeinsam etwas geschaffen werden. Deutschland ist bereit, auch einem Verein wie Türkgücü München eine Heimat zu geben.

Wie wichtig sind türkische Identifikationsfiguren wie Kapitän Sercan Sararer für das Umfeld?

Kothny: Natürlich herrscht im Fußball das Leistungsprinzip. Wenn du aber gar keinen türkischen Spieler in deinen Reihen hast, verlierst du die Glaubwürdigkeit. Wenn wir einen Türken und einen Deutschen scouten und beide Spieler gleich gut sind und gleich viel kosten, dann würden wir uns für den Türken entscheiden.