Der Grenzgänger

Von Stefan Rommel
Luka Modric wechselte im Sommer 2012 von den Tottenham Hotspur zu Real Madrid
© getty
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In der Hauptsache bleibt seine Rolle aber die des Ballträgers. In Mourinhos System mit vielen (Diagonal-)Bällen auf die konternden Dribbler Ronaldo und Di Maria wirkte Modric phasenweise verloren, wenn ein weiter Schlag nach dem anderen über seinen Kopf segelte - und die Angriffe am Boden zumeist in die Füße von Mesut Özil gespielt wurden. Jetzt ist Özil nicht mehr da und Madrids Stil hat sich entwickelt zu einem auf Ballbesitz und Positionsspiel orientierten Spiel.

Als klassischer Sechser sind viele Elemente seines Spiels ebenso verschenkt wie auf der Position hinter den Spitzen. Madrid gönnte sich den Luxus, im Sommer mit Asier Illarramendi den hoffnungsvollsten defensiven Mittelfeldspieler und in Isco den begabtesten Spielmacher der Primera Division zuzukaufen. Würde man die beiden Zugänge kreuzen, heraus käme wohl so ein Spieler wie Modric. Kaum verwunderlich, dass der sich auf der Halbposition am wohlsten fühlt, und hier seine Fähigkeiten besonders zur Geltung kommen.

Sein tiefer Körperschwerpunkt, seine Technik und seine Dribbelstärke helfen ihm auch unter hohem Gegner- und Zeitdruck in Eins-gegen-Eins-Situationen aus der Bredouille, die Seitenlinie als "besten Verteidiger" (Pep Guardiola) lässt Modric, der ehemalige Zentrumspieler, nur selten gelten. Vorausschauend und antizipativ kann er sich auch aus engsten Konstellationen befreien, seine strategischen Fähigkeiten sind enorm: Modric sucht sich immer bereits vor der Ballannahme mehrere mögliche Auswege, er scheint die Rochaden der Gegner vorausahnen zu können.

Gegenstück zu Busquets-Xavi-Iniesta

Ist der Ball im Besitz der Königlichen, flaniert Modric in dessen Dunstkreis. Er sucht den Ball und seine Mitspieler suchen mittlerweile auch ihn. Über 1000 Pässe hat Modric so in der gegnerischen Hälfte an den eigenen Mann gebracht. Im teaminternen Ranking liegt er damit unangefochten an der Spitze. Und in Europas Top-5-Ligen gibt es keinen anderen Spieler mit fünf oder mehr Assists, der ähnlich eingebunden ist in das Spiel seiner Mannschaft.

Für Real Madrid als Klub sind das erfreuliche Neuigkeiten. Jahrelang gehörten dem FC Barcelona die Schlagzeilen, wenn es um die dominanteste Mittelfeldformation der Welt ging. Busquets, Xavi und Iniesta waren als Trio unerreicht. Vielleicht sind sie es auf gewisse Weise immer noch, aber Reals Troika hat die Lücke nahezu geschlossen. Und für die Fans der Königlichen stellt sich die Frage ohnehin nicht mehr.

Manchmal ruft das Bernabeu nun auch seinen Namen. Ganz geheuer sind ihm die Ovationen der Anhängerschaft nicht. Er hält sich gerne aus allem raus. Wenn sich in vorderster Linie Benzema, Bale und Ronaldo mal wieder uneins waren, wer denn nun den finalen Abschluss hätte tätigen sollen und sich anblaffen, oder wenn sich in einer hitzigen Partie mal wieder massenhaft Spieler untereinander kabbeln und nicht mehr nur verbal aufeinander losgehen, ist Modric stets außen vor.

Zu viel Getöse ist ihm fremd, darin unterscheidet er sich fundamental zu Teilen seiner Kollegen. Modric ist jetzt 28 Jahre alt, hat 73 Länderspiele für sein Heimatland bestritten und weit über 500 als Profi. Er ist verheiratet mit Vanja und hat zwei Kinder, Ema und Ivano. Der Hausmann ist er nicht nur auf dem Papier.

Kein typisches Fußballerleben

Die Familie hat sich im Nobelvorort La Moraleja im Norden der Stadt zurückgezogen. "Ich genieße mein Leben in Spanien. Madrid ist eine große und wunderschöne Stadt, mit großen Parks, in denen ich gerne spazieren gehe. Es gibt viele große Plätze und Museen, auch historische Bauten. Und trotzdem bin ich eher der Typ, der zu Hause bleibt. Dort fühle ich mich mit meiner Frau und meinen Kindern am wohlsten. Ich spiele mit meinen Kindern, wir schauen ein paar Zeichentrickserien - was alle anderen Familien eben auch so tun."

Irgendwo in der Nachbarschaft residiert auch Ronaldo, aber das ist eher ein Zufall. Von CR7s Strahlkraft außerhalb des Platzes besitzt Modric keinen Funken, und wenn er mal ein paar Tage oder sogar Wochen Zeit hat, taucht er nicht ab ins Madrider Nachtleben, sondern verabschiedet sich nach Hause. Dann sind ihm die heimische Adriaküste und ein Treffen mit den Verwandten in Zadar doch lieber.

Hier ist er aufgewachsen, hier hat er die schlimmsten Momente seines Lebens erlebt. Als er sechs Jahre alt war, musste seine Familie vor dem Bürgerkrieg fliehen. Die Modrics wurden in einem Hotel in Zadar untergebracht, weil sein Vater Soldat war und die Armee das Gebäude zusätzlich gesichert hatte. Die Spielplätze der Umgebung waren längst zerstört, also trafen sich die Kinder und Jugendlichen in der Tiefgarage, um Fußball zu spielen.

Der Lenker des Spiels

Heute spielt er beim populärsten Klub der Welt. Für Real hat er vor dem Saisonfinale schon mehr Spiele absolviert als in der kompletten letzten Saison, 24 Mal stand er alleine in der Primera Division in der Startelf. Nur Pepe, Sergio Ramos, Ronaldo und Karim Benzema standen bisher länger auf dem Feld. Nicht umsonst behauptet Sportdirektor Predrag Mijatovic, Modric sei "neben Ronaldo der wichtigste Spieler von Real Madrid".

In Spanien nennen sie Spieler wie ihn "volante", den Lenker des Spiels. Modric pendelt zwischen den Spielabschnitten und stellt den fließenden Übergang her zwischen den defensiv ausgerichteten Linien und dem Angriff, der in Reals 4-3-3-System nicht nur quantitativ überdurchschnittlich gut besetzt ist.

An die gehobenen Ansprüche in Madrid hat sich Modric längst gewöhnt. Schon in der vergangenen Saison ließ er seine Fähigkeiten aufblitzen, er durfte sie nur nicht permanent unter Beweis stellen. "Mourinhos Taktik war nie ein Problem für mich", sagt er rückblickend trotzdem. Am Ende seiner Entwicklung sieht sich Luka Modric auch noch nicht.

"Ich spiele bei Real Madrid - das ist der Klub auf der Welt, in dem du dich nie zurücklehnen kannst. Was gestern war, kann morgen schon nicht mehr funktionieren. Die Fans, der Klub: alle sind so fordernd, du musst dich immer weiter verbessern", sagt er. "Der Druck ist enorm. Aber damit habe ich nie ein Problem gehabt. Ich mag Druck - er macht aus mir einen besseren Spieler."

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